Niedergang

Petra Bohm | Posted 24/09/2013 | Belletristik | Keine Kommentare »

Die Geschichte eines jungen Pärchens, das in den Schweizer Bergen eine Bergtour unternimmt. Doch der Aufstieg führt zum “Niedergang” ihrer Beziehung. Kühl und sparsam auf sprachlich höchstem Niveau erzählt…

Nur 208 Seiten lang ist das Zweipersonen-Stück von Roman Graf, es gibt auch nur einen einzigen Schauplatz – den Berg – und eine Zeitebene. Doch gerade diese Reduktion richtet des Focus des Lesers auf das Wesentliche.

Der 30-jährige Schweizer André lebt in Berlin. Er will seiner Freundin Louise aus Mecklenburg-Vorpommern die Schönheit der Berge zeigen und hat monatelang akribisch die Besteigung eines Dreitausenders geplant. Eine richtige Bergtour von 3 Tagen mit schwieriger Kletterpartie kurz vor dem Gipfel – eigentlich zu schwierig für Ungeübte.
Am Tag des Aufbruchs herrscht Dauerregen, Louise wirkt lustlos, André ist genervt – das hatte er sich anders vorgestellt. Überhaupt: André. Der ist dem Leser von Anfang an nicht unbedingt sympathisch, wirkt egozentrisch, später rücksichtslos und man fragt sich schnell, ob er mit der Wanderung tatsächlich Louise eine Freude machen möchte oder die junge Frau nur beeindrucken, für sich gewinnen, will.

Mit Mühe erreichen die beiden am Abend das erste Ziel, aber der nächste Tag stimmt versöhnlich – die Sonne scheint, die Fernsicht ist grossartig. Trotzdem gibt Louise in der Steinwüste schliesslich auf – verlässt ihren Freund und kehrt allein zurück ins Tal.

Besonders an dieser Stelle habe ich mich gefragt, was das für ein Mensch sein muss, der seiner angeblich geliebten Freundin zuerst eine schwierige Tour zumutet und sie dann auch noch alleine absteigen lässt. Diese Frage spielt aber in Grafs Roman keine Rolle, im Gegenteil – André fühlt sich im Stich gelassen, steigt stur alleine weiter auf und im zweiten Teil des Buches geht es nur noch um seine Innen- und Aussenerlebnisse. André stösst bald an seine Grenzen, trotzdem läuft er immer weiter. In der steinigen Einsamkeit schöpft er seine Kraft nur aus Willensstärke, Kindheitserinnerungen und Traumbildern. Den Gipfel zu bezwingen, seinen Plan durchzuziehen wird zur fixen Idee, einer fatalen Idee…

Für alle Liebhaber sprachlich ausgefeilter Literatur eine unbedingte Empfehlung

“Graf erzählt mit einer präzisen und dichten Sprache, so kühl und distanziert, dass es einem beim Lesen kalt den Rücken runterläuft.” (SonntagsBlick (CH))

Roman Graf, geboren 1978 in Winterthur, arbeitete nach seiner Ausbildung zum Forstwart in verschiedenen Berufen und studierte am Leipziger Literaturinstitut. Für seinen ersten Roman “Herr Blanc” und einen Gedichtband erhielt er zahlreise Preise, unter anderem den Mara-Cassens-Preis 2009 und den Förderpreis des Bremer Literaturpreises 2010. Roman Graf lebt in Berlin.

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