Ein seltsamer Ort zum Sterben

admin | Posted 02/10/2013 | Belletristik, Krimi | Keine Kommentare »

Text: Dominik Roth
Puh. Soll man ihn nun mögen oder nicht, diesen Sheldon Horowitz? 82 Jahre, Amerikaner jüdischer Abstammung, Kriegsveteran – und eventuell dement. Oder doch nur altersstarrsinnig? Auf jeden Fall kann er den Leser ungeheuerlich nerven. Aber auch zu Lachausbrüchen zwingen. Was „Ein seltsamer Ort zum Sterben“ definitiv zu einem besonderen Genuss macht…

Ausgerechnet in Norwegen ist er gelandet, unser Protagonist. Hier gibt es kaum Juden, aber seine Enkeltochter hat darauf bestanden, dass der Witwer seinen Lebensabend bei seinen ihm verbliebenen Verwandten verbringen soll. Statt in New York beginnt der Tagesablauf also in einem kleinen Vorort von Oslo. In einem Land, dessen Sprache er nicht spricht.

Was aber eigentlich kaum einen Unterschied für Sheldon Horowitz ausmacht – als ehemaliger Kämpfer im Korea-Krieg hat er Dinge erlebt, über die er viel zu spät geredet hat und die ihm dann keiner glauben wollte. Nun vermischen sich die Erlebnisse seines Lebens zu einem einzigen Brei, seine Umgebung und das Geschehen um ihn herum nimmt er mit ganz eigener Wahrnehmung in sich auf. Kauzig, würden die einen sagen. Die meisten seiner Mitmenschen – nicht zuletzt seine Enkeltochter – glauben, dass der alte Kerl geistig gewaltig abgebaut hat.

Und trotzdem ist Sheldon Horowitz ein Mann der Tat – zum Beispiel, als die Frau, die über ihm wohnt und vermutlich aus dem Balkan stammt, mit einem kleinen Jungen auf dem Arm an seiner Tür Sturm klingelt. Sie scheint verfolgt zu werden – Sheldon gelingt es gerade so, sich mit dem Jungen zu verstecken. Die Mutter des Kindes wird ermordet – fortan befindet sich der 82jährige Kriegsveteran auf der Flucht mit einem Kind, dessen Sprache er nicht spricht, verfolgt von Leuten, von denen er nicht weiß, was sie wollen. Und trotzdem scheint der Protagonist seinen Widersachern immer einen Schritt voraus zu sein – mehrere Male überrascht er die Verfolger durch seine Bauernschläue. Was dem Leser durchaus imponiert – auch wenn einem die alterskluge Geschwätzigkeit des Charakters zwischendurch auf den Wecker gehen kann.

Genauso ambivalent wie sein Protagonist ist die Genrezugehörigkeit des Romans. „Ein seltsamer Ort zum Sterben“ ist Krimi, Familienroman und anspruchsvolle Tragikkomödie in einem. Auch das Thema Krieg nimmt eine zentrale Position in der Geschichte ein – durch sein patriotisches Kämpfen in Korea ermunterte Sheldon seinen Sohn, sich für den Vietnamkrieg zu melden. Damit beraubte sich Sheldon Horowitz seines einzigen Kindes – der Sohn fiel im Gefecht. Dass die Jagd auf das Kind irgend etwas mit dem noch gar nicht lange zurückliegenden Krieg auf dem Balkan zu tun hat, scheint den Kreis zu schließen und macht aus dem Roman ein umfangreiches Geschichtspanorama, das die Abscheulichkeit der menschlichen Rasse aufzeigt.

Keine Frage, Derek B. Miller – selbst gebürtiger Amerikaner, der mittlerweile in Norwegen lebt – hat ein vielschichtiges Buch geschrieben, das den Leser fordert. Dass die Lektüre trotzdem recht vergnüglich ist, ist dabei ein großer Verdienst des Autors – und seines Hauptcharakters. Alte, kauzige Männer haben doch einfach das gewisse Etwas, so anstrengend sie auch sein mögen.
Also: nicht entmutigen lassen, sondern weiterlesen. Belohnt werden sie mit einer tollen Geschichte und philosophischen Gedanken aus der Sicht eines alten Mannes. Ob Sie ihn am Ende für weise oder dumm halten, bleibt Ihnen überlassen. Zweifelsohne ist er aber ungemein witzig.

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Titel:
Ein seltsamer Ort zum Sterben

ISBN-13:
9783499230868

Autor:
Miller, Derek B.; Roth, Olaf (Übersetzung)

Verlag:
Rowohlt TB.

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