Literarisch Fliegen
admin | Posted 21/03/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Wie ich lernte auf Reisen zu lesen.
Schreiben kann man nicht überall. Thomas Mann fiel es schwer, in Amerika zu schreiben. Ihm fehlte, was humorlose Soziologen “muttersprachliches Umfeld” nennen. Manche brauchen fürs kreative Schreiben ein bestimmtes Stehpult, eine ganz eigene Beleuchtung, eine feste Stunde am Tag wie Siegfried Lenz oder auch alles zusammen. Schreiben ist, wenn es über das Alltägliche wie Rechnungen oder Telefonbücher oder Einkaufszettel zu verfassen hinausgeht, ein Ritual. Wenn das nicht stimmt, kann man nicht schreiben.
Ich zum Beispiel war wirklich überrascht, dass es mir gelang, einen ganzen Zeitungsartikel zu verfassen, ohne dabei eine Pfeife zu rauchen. Ich hatte es mir eben so angewöhnt, zur Selbstvergewisserung sozusagen. Damals musste ich sehr viel schreiben, 200 bis 300 Zeilen pro Tag, und ich glaubte, es ohne dieses Ritual – die erste Zeile nicht ohne die anbrennende Pfeife, die letzte bei deren Verlöschen – nicht schaffen zu können. Ein Irrtum, wohl die Ausnahme.
China mit Kohl und Irving
Lesen indes sieht man die Leute überall. Manche Leute leisten sich dabei verrückte Sachen; haben den Stöpsel ihres iPods im Ohr und lesen Erzählungen von Haruki Murakami. Wobei Murakami den ganzen Mann fordert, schließlich entführt er seinen Leser mit diesen realistischen Verrücktheiten in raumgreifende Paralleluniversen, die keinen Platz lassen fürs Musikhören.
Selbst Normalmenschen haben ihr Lesen ähnlich ritualisiert wie Schreiber ihr Schreiben. Sie tun es samstags nachmittags, begleitet von einem Latte Macchiato im Korbsessel, die Füße auf der antiken Truhe Marke Schlossherr. Selbst Männern dient der Friseurtermin als Alibi dafür, Sachen zu lesen, von denen sie behaupten, sie ansonsten nicht zu konsumieren. Der Mensch ist verführbar. Ich habe vor drei Monaten ein neues Leseritual erfunden.
Öfters geht es vom Düsseldorfer Flughafen nach Berlin. Stopp – ich muss anders anfangen. Einmal flog ich mit Helmut Kohl nach China, wo er die chinesische Generalität traf. Kohl flog dann zurück, um Deutschland weiter zu regieren.
Auf dem Rückflug schliefen alle mitgereisten Journalisten irgendwann ein. Nur ich nicht. Schuld war nicht Arbeit, sondern John Irvings “Zirkuskind”. Ein Indien-Roman, in dem es von skurrilen Figuren derart wimmelt, dass einem die Normalexistenz fragwürdig vorkommt. “Zirkuskind