“Ich bedaure, dass wir uns nicht kennen”
admin | Posted 21/08/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Italo Calvinos Briefe lesen sich wie ein Who is Who
der Kulturgeschichte. Gleichzeitig erinnern sie an die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts.
Italo Calvino (1923-1985) ist jedem Kind in Italien ein
Begriff. Der auf Kuba geborene und in San Remo aufgewachsene Schriftsteller
gehört heute zur festen Schullektüre auf der Appenin-Halbinsel und zum
vergnüglichen Pflichtprogramm von Italienisch-Studenten an internationalen
Universitäten. Besonders mit seinen Werken "Wenn ein Reisender in einer
Winternacht" und der Trilogie "Unsere Verwandten" hat der Autor
Weltruhm erlangt. Neben seinen fantasievollen, oft märchenhaften Büchern hat
sich Calvino aber auch theoretisch mit dem Thema Literatur auseinandergesetzt.
Dies belegen vor allem Calvinos gesammelte Briefe, die der Hanser Verlag jetzt
unter dem Titel "Ich bedaure, dass wir uns nicht kennen"
herausgebracht hat.
Ob in seinen Schreiben an den Jugendfreund und Journalisten
Eugenio Scalfari, den sizilianischen Schriftsteller Leonardo Sciascia, den
kürzlich gestorbenen Meisterregisseur Michelangelo Antonioni oder den deutschen
Dichter Hans Magnus Enzensberger – die Liste seiner Briefpartner liest sich wie
ein Namenverzeichnis der Kulturgeschichte. Calvino, der unter anderem die
berühmte Zeitschrift "Menabo" herausgab und als Lektor tätig war,
verstand es dabei auch in seiner Korrespondenz, tiefsinnige literarische und
künstlerische Debatten anzufachen.
Gleichzeitig spiegelt der Band die großen Ereignisse des 20.
Jahrhunderts wider – von der kulturellen Neugründung nach dem Faschismus über
die Revolutionen in Lateinamerika bis hin zum Pariser Mai 1968 finden sich in
den Schreiben persönliche Überlegungen und Ansichten zur Weltpolitik.[pagebreak]
So gibt Calvino etwa Auskunft darüber, warum er nach dem
Krieg lieber in Turin als in San Remo lebte: "Ich bin jetzt über die
Weihnachtsfeiertage in San Remo, weil meine Familie hier lebt. Aber es behagt
mir hier nicht, weil San Remo eine Stadt von Boureois und Faulenzern ist,
deshalb lebe ich immer in Turin, wo ich Hunger und Kälte leide, aber mich zum
Arbeiten wohler fühle", schrieb er 1947 an den Schriftsteller Marcello
Venturi.
Vier Jahre zuvor berichtete er Eugenio Scalfari über seine
innere Zerrissenheit – und sparte dabei nicht mit deutlichen Worten: "Es
gibt Momente – ich schwöre es Dir – da fühle ich den überschäumenden Willen in
mir, ein großer Mann zu werden, und fast will mir ein Menschenleben zu kurz
erscheinen, um all das aufzunehmen, wozu ich mich in der Lage fühle. Dann
zerfleddre ich, franse aus und breche auseinander. (…) Mir fehlt jene
grundlegende Gabe des Burzioschen Weltenschöpfers, seine magische Kraft, die
Verwandlung der eigenen Angelegenheiten in Poesie. Mit einem Wort, ich sitze in
der Scheiße."
In anderen Briefen, etwa an den Dichter und Regisseur Pier
Paolo Pasolini – mit dem Calvino eine Hassliebe verband -, schwelgt er in
langen Ausführungen über die Nachkriegsliteratur, über Dialektschreiber und
Kriegserzählungen, über die Übersetzung von Volksmärchen und platonische
Motive. Die Briefe umfassen den Zeitraum von 1941 bis zu seinem Tod 1985. (dpa)
Italo Calvino
Ich bedaure, dass wir uns nicht kennen. Briefe 1941-1985
Hanser Verlag, 415 Seiten
26,70 Euro