«Tannöd» ab 19.11.im Kino!
Petra Bohm | Posted 17/11/2009 | Krimis, Preise und Events | Keine Kommentare »
Gelungene Verfilmung einer beklemmenden Gesellschaftsstudie…
Verfilmungen von Bestsellern sind eine undankbare Sache. Zu groß sind die Erwartungen der Leser. Regisseurin Bettina Oberli ist mit ihrer Adaption des Kriminalromans «Tannöd» von Andrea Maria Schenkel eine gelungene Verfilmung gelungen. Nicht zu nah und doch nah genug an der Romanvorlage erzählt sie die Geschichte um den grausamen Mord an einer ganzen Bauernfamilie auf einem bayerischen Hof in der Ödnis. Wie auch Schenkel beschränkt sich Oberli nicht auf den Stoff als Krimi, sondern zeichnet eine Gesellschaftsstudie – wirft die Frage nach Schuld und Verantwortung in einer Gemeinschaft auf. Dank großartiger Schauspieler, darunter Julia Jentsch und Monica Bleibtreu in einer ihrer letzten Rollen, ist «Tannöd» ein beklemmender wie nachdenklich stimmender Film.
Einsam liegt der Tannöd-Hof im blauschwarzen Tannenwald. Nur dunkle Wege führen von dem Dorf zu dem Gehöft, wo die gesamte Familie Danner grausam und unbemerkt von den Dorfbewohnern mit einer Kreuzhacke erschlagen wurde, selbst die Kinder und die neue Magd. Auch wenn ein Landstreicher schnell von den Dorfbewohnern verdächtigt wird, kann es jeder gewesen sein. Denn wundern tut die Tat keinen so recht, war der alte Tyrann Danner doch bei allen verhasst, die gesamte Familie den Menschen suspekt und angsteinflößend. Die bigotte Frau sprach mit keinem und schaute weg, wenn sich ihr Mann an der Tochter verging. Auf dem Hof lebte die Sünde, der Teufel.
Zwei Jahre nach der Tat kommt die größtenteils von Oberli erfundene junge Kathrin (Julia Jentsch) in das Dorf, um ihre Mutter zu begraben. Zurückhaltend und wie aus einer anderen Welt steigt Kathrin bei strahlendem Sonnenschein aus dem Bus. Schenkel hatte den realen Fall aus den 1920er Jahren schon in ihrem Roman in die 50er Jahre verlegt, was Oberli und Drehbuchautorin Petra Lüschow übernommen haben. Kathrin sieht frisch, sauber, jung aus und steht damit im krassen Kontrast zu der Dunkelheit, dem Dreck und der Wand aus Schweigen, die im Dorf herrschen. Doch nach und nach taucht sie immer weiter in die Dorfgemeinschaft ein, lernt die Bigotterie, Gewalt, Verlogenheit, das Misstrauen und den gegenseitigen Hass kennen. Und sie merkt, dass sie selbst mehr mit dem Fall zu tun hat, als ihr lieb ist.
Der Mörder der Danners ist da immer noch nicht gefunden. Fast jeder hätte einen Grund gehabt, doch alle schauen weg. Einzig die schrullige Traudl Krieger (Monica Bleibtreu), deren Schwester als Magd auch auf dem Danner-Hof ermordet wurde, legt immer wieder den Finger in die Wunde, spricht Dinge aus, die sonst keiner zu sagen wagt.
Die von Schenkel in Interview-ähnlichen Mosaikstücken erzählte Geschichte schildert Oberli in Rückblenden. Hier die brutale Tat und das Leben der Danners, dort das Jetzt mit der jungen zunächst ahnungslosen Kathrin. Doch nach und nach vermischen sich die Bilder. Wie stark Misstrauen und Missgunst weiter in dem Dorf herrschen, wird klar. Und über alldem erklingen immer wieder die von Mutter Danner leise genuschelten Gebete.
«Der Film ist nicht im klassischen Sinne als Krimi angelegt mit einer Ermittlerin, die dem Täter auf die Spur kommt», sagte Julia Jentsch in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Wie in dem Roman tappe auch der Zuschauer lange im Dunkeln. Zum Schluss ahne man zwar, wer der Täter ist. «Aber es ist eben nicht nur ein Schuldiger, das wäre zu einfach.» Zu einfach wäre auch zu glauben, dass so ein Netz aus Lügen und Schweigen nur in der vermeintlichen Idylle einer dörflichen Gemeinschaft möglich wäre. Und so geht der Zuschauer fast benommen und mit einem sehr beklemmenden Gefühl aus dem Kino, wozu auch die dunklen, gewaltigen Bilder der bayerischen Ödnis und die dramatische Musik beitragen.
{cms:image:2}dpa-Interview mit Julia Jentsch: Frage nach Verantwortung stellt sich täglich
Die Frage nach Schuld und Verantwortung in einer Gesellschaft stellt sich für die Schauspielerin Julia Jentsch täglich. Deswegen ist für die 31-Jährige ihr aktueller Film «Tannöd» nach dem Bestseller von Andrea Maria Schenkel auch weit mehr als ein Krimi, der in einer längst vergangenen Zeit an einem sehr speziellen Ort spielt. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa sprach Jentsch («Sophie Scholl – die letzten Tage», «Effi Briest») über den Film und seine Interpretationsmöglichkeiten, seine Krimiqualitäten und ihre Arbeit mit Monica Bleibtreu.
Frau Jentsch, was hat Sie an diesem düsteren Stoff aus «Tannöd» gereizt, dass Sie die Hauptrolle übernommen haben.
Julia Jentsch: «Als ich den Roman gelesen habe, konnte ich mir gar nicht vorstellen, wie man da einen Film draus machen kann. Aber dann hat mir die Regisseurin Bettina Oberli erklärt, was ihr an dem Stoff wichtig ist – und zwar sowohl das Unheimliche und Krimihafte, aber auch die Psychologie und Verhaltensmodelle in einer Gesellschaft. Es geht ja um die Frage nach der Schuld und der Verantwortung, die sich jeder in diesem Dorf stellen muss. Das fand ich sehr spannend. Zudem ist der Film eben kein Krimi im klassischen Sinne mit einem Ermittler und einem eindeutigen Täter. Wie den Roman auch muss man den Film sehr vorsichtig lesen. Es geht nicht darum, nur einen Schuldigen zu finden. Das wäre zu einfach. Es gibt nicht nur eine Lösung, vielmehr zeigt der Film für mich verschiedene Erklärungsansätze für das Verbrechen auf. Dabei tappt der Zuschauer sehr lange im Dunkeln.»
Sie sind in Berlin aufgewachsen, leben in München. Waren Ihnen da die Geschehnisse in diesem bayerischen Dorf inmitten von dunklen Tannenwäldern, die Oberli in die 50er Jahre verlegt, nicht sehr fremd?
Julia Jentsch: «Ich seh’ das gar nicht so weit weg von mir und uns heute. Für mich ist dieses Thema sehr zeitlos, weil es ja darum geht, welche Zeichen in der Gesellschaft wahrgenommen werden und wie die Menschen darauf reagieren. Man liest ja täglich Meldungen in der Zeitung, bei denen man sich fragt, ob jemand ein Verbrechen nicht hätte verhindern können. Warum keiner etwas gesehen hat und wer an tragischen Ereignissen oder auch Verbrechen eine Mitschuld trägt.»
In «Tannöd» haben Sie mit Monica Bleibtreu in einem ihrer letzten Filme zusammengearbeitet. Was haben Sie gedacht, als Sie im Mai 2009 hörten, dass sie gestorben ist?
Julia Jentsch: «Es hat mich total überrascht, obwohl ich von ihrer Krankheit wusste. Aber ich habe sie bei den Dreharbeiten als so tatkräftig und lebensfroh erlebt. Sie war ja eine komplett andere Generation, aber das fiel so gar nicht auf, weil sie ein sehr frisches Auftreten hatte und extrem lustig war. Und ich bin natürlich sehr dankbar für diese Begegnung und dass ich sie in ihrer Arbeit erleben durfte. Monica Bleibtreu war sehr kollegial und alles andere als eine Diva.»
© Britta Schmeis/dpa