Zwei «Kunzelmänner» von Carl-Johan Vallgren

Petra Bohm | Posted 07/12/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »

Schwuler Fälscher mit Sohn…

Wer hat wohl bessere Aussichten auf Liebe und ein erfülltes Leben: Ein heimlich schwuler Mann im Nazi- Deutschland der 30er Jahre oder ein offen pornosüchtiger Hetero- Single mit ganz vielen Sex-Partnerinnen aus der Gegenwart? Die Frage stellt sich in «Kunzelmann, Kunzelmann», dem Roman von Carl-Johan Vallgren – seinem ersten nach der «Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe» von 2004. Die Titelhelden sind Vater Viktor aus Deutschland und sein schwedischer Sohn Joakim.

Sie begegnen sich nur indirekt, als der Vater mit 83 stirbt und der knapp 40-jährige Sohn, bis über die Halskrause verschuldet, auf ein reiches Erbe durch die väterliche Kunstsammlung hofft. Stattdessen aber bekommt er nach und nach die bis dahin unbekannte Lebensgeschichte seines Vaters als homosexueller KZ-Gefangener und genialer Kunstfälscher offenbart, der nach dem Krieg in Schweden auch noch seine Identität fälscht.

Papa hat die Kunstsammlung einfach selbst gemalt und zu allem Überfluss auch noch vor dem nahenden Tod weitgehend zerstört. Der Sohn sieht das Erbe dahinschmelzen. Vallgren erzählt im Wechsel vom dramatischen Weg des Vaters durch eine für ihn feindselige und oft lebensgefährliche Gesellschaft und der Orientierungslosigkeit des Sohnes samt der ewigen Flucht vor Verantwortung und Erwachsenwerden.

Während der Vater zum perfekten Fälscher einzigartiger Kunstwerke wurde, weil er so als Außenseiter überleben konnte, muss der Sohn in einer Zeit zurechtkommen, in der Fälschung zum allseits achselzuckend akzeptierten Grundprinzip geworden ist.

Falsch sind auch die Busen der von Joakim vor dem Computer zwanghaft beglotzten Internet-Nymphen, aus dem Internet zusammengeklaut die Versatzstücke seiner Artikel als Gelegenheitsschreiber. Nicht mal die Perversionen seien heutzutage echt, seufzt der Pornofilmproduzent, mit dessen viel zu junger Freundin Joakim gern ins Bett geht.

Vallgren hat die Teile über den Sohn wohl bewusst auch sprachlich dem «sinnentleerten» Lebensstil der jüngeren Hauptfigur angepasst. Das mag manchen Leser ermüden bei dem langen Weg durch den 600-Seiten-Roman. Vom Vater hingegen erzählt Vallgren stringent, spannend, mit Empathie und sprachlich solide. Der 45-jährige Schwede hat selbst in Berlin gelebt und kennt die deutsche Geschichte gut.

Interessiert folgt man dem Weg Viktors von Berliner Schwulentreffs der 30er Jahre über eine Geldfälscher-Werkstatt im Konzentrationslager Sachsenhausen bis hin zur neuen Existenz als Stockholmer Kunstkonservator mit geheimer Fälscherwerkstatt. Viktors Sehnsucht nach Liebe zu einem Mann erfüllt sich nur kurz, weil auch im Norden in den 50er Jahren Homosexuelle erbarmungslos ausgegrenzt werden.

Die spannende Frage, warum und wie Viktor Vater wird, löst Vallgren recht melodramatisch auf. Das ist aber noch das reinste Kinderspiel im Vergleich zum Happy End für den Sohn. Der verwandelt sich auf den letzten Seiten wie im Märchen vom pornosüchtigen Loser zum innig liebenden Familienvater, versöhnt auch mit dem Vater.
© Thomas Borchert/dpa

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