Wie viel ist uns ein Menschenleben wert?
Petra Bohm | Posted 19/05/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »Diese provozierende Frage und noch viele andere philosophische Ansätze verpackt Lionel Shriver in der anrührenden Handlung ihres neuen Romans um den tiefgreifenden Wandel einer verloren geglaubten Ehe…
Schon lange hat sich die Beziehung zwischen Shep und Glynis in eine lieblose Zweckgemeinschaft verwandelt, in der Sprachlosigkeit und Gleichgültigkeit herrschen. Dabei gab es da mal diesen Traum: eines Tages auszuwandern und ein Leben “Teil B”, wie Shep es beschreibt, zu leben. Aber vielleicht hat er diesen Traum auch immer nur alleine gehabt, und Glynis hat nur mitgespielt, wenn sie ihre gemeinsamen Urlaubsreisen “Recherchereisen” genannt haben, immer mit dem Ziel, den idealen Auswanderungsplatz zu finden.
Vor Acht Jahren schon hat Shep seinen florierenden Handwerksbetrieb für fast 1 Mio Dollar verkaufen können und arbeitet seitdem als Angestellter in der eigenen Ex-Firma unter einem schrecklichen Chef – einem Ex-Angestellten. Shep hat immer für die Familie gesorgt aber auch immer für sein großes Lebensziel, das er übrigens “das Jenseits” nennt, gespart. Immer wieder wurde die Auswanderung aus Vernunftgründen verschoben, Glynis war es, die immer neue Argumente hatte. Kinder zu klein, in der Ausbildung, kurz vor dem Abschluss. Doch jetzt hat sich Shep entschlossen seinen Traum zu leben, notfalls auch allein. Seinen Job hat er gekündigt und die Flugtickets sind gekauft. Als er seiner Frau den Entschluss mitteilt, bekommt er nur einen lakonischen Satz zu hören: “Mir wäre es lieb, wenn du das nicht tätest. Ich fürchte, ich werde deine Krankenversicherung brauchen.” So kehrt Shep reumütig an seinen Arbeitsplatz zurück und kümmert sich von nun an aufopfernd um seine krebskranke Frau.
Mit Präzision und Anteilnahme beschreibt Lionel Shriver den tiefgreifenden Wandel dieser Ehe, in der eine lebensbedrohliche Krankheit auch eine Chance für neue Zärtlichkeit, Nähe und sogar funkelnden Humor bietet. Trotz der ernsten Thematik kein düsteres, sondern stellenweise sogar heiteres und immer tröstliches Buch.
Die FAZ fasst es zusammen:
“…Wie Glynis und Shep den fast aussichtslosen Kampf gegen die Krankheit aufnehmen, was das für jeden von ihnen und für ihre Ehe bedeutet, wie Familie und Freunde damit umgehen, sollte man selbst lesen. Denn ehrlicher, fesselnder und tröstlicher ist dem großen K in der Gegenwartsliteratur noch niemand begegnet.«
Lionel Shriver wurde bekannt durch ihren Roman “Wir müssen über Kevin reden”, die Geschichte eines Amokläufers und seiner Familie. Ihr letztes Buch “Liebespaarungen” beschäftigte sich mit der Frage “wie wäre mein Leben verlaufen, hätte ich es mit einem anderen Menschen verbracht.” Nun geht es um Krebs. Alles keine leichten Themen – trotzdem sind alle Bücher echte Page-Turner.