„Es ist einfacher, für Erwachsene zu schreiben“

admin | Posted 08/11/2013 | Autoren, Belletristik | Keine Kommentare »

Foto: Peter Peitsch

Federica de Cesco gehen die Ideen niemals aus. Ihr neuer Erwachsenenroman „Tochter des Windes“ vereinigt einmal mehr alle Elemente, die das Publikum an den Geschichten der Autorin so liebt.

Interview: Erik Brühlmann

Books: Federica de Cesco, «Tochter des Windes» erzählt die Geschichte des Deutschen Rainer, der sich in die Japanerin Mia verliebt, ihr in die Heimat folgt und dort ein in jeder Hinsicht völlig neues Leben entdeckt. Dieser Roman liest sich wie eine Einführung in die Geschichte und Kultur Japans…

Federica de Cesco: Eine lockere Einführung, ja. Es gibt ja viele solche Romane, Essays und so weiter, die viel komplizierter sind. Ich hingegen habe versucht, das Thema mit dem Humor anzugehen, der den Japanern eigen ist. Hört man Japanern zu, wie sie über ihre Geschichte sprechen, lacht man sich schief!

Haben Sie wegen des Charakters der Geschichte auf eine klassische Hauptfigur verzichtet und stattdessen eine Gruppe wichtiger Figuren eingeführt, von denen jede einen gleichwertigen Platz einnimmt?

Genau! Ich wollte Japan anhand von Protagonisten aus vielen verschiedenen Schichten und Positionen porträtieren.

Eine der Hauptfiguren ist Rainer Steckborn, ein Ausländer. Er fürchtet, von einem Fettnäpfchen ins andere zu treten, als er sich auf das Abenteuer Japan einlässt. Es geht wohl vielen Ausländern so…

Ja, alle Gaijin – Nichtjapaner – erleben die erste Begegnung mit Japan auf diese Weise. Als ich vor 40 Jahren das erste Mal nach Japan ging, fragte ich meinen japanischen Mann Kazuyuki Kitamura: Chéri, was darf ich in Japan nicht machen? Seine Antwort: Du darfst alles machen, was du willst, ausser in den Hauspantoffeln zur Toilette gehen. Dafür gibt es spezielle Plastikpantoffeln. Ich dachte erst an hygienische Gründe, doch mein Mann klärte mich auf, dass die Toilette ein heiliger Ort sei, den man nicht mit normalen Pantoffeln verunreinigen dürfe. Eigentlich kann man sich als Gaijin mühelos in Japan zurechtfinden, wenn man eines in Erinnerung behält: Leistet man sich einen Fauxpas, brechen die Einheimischen zwar in schallendes Gelächter aus. Allerdings lachen sie nicht über einen, sondern mit einem. Anschliessend erklären sie einem geduldig, was man falsch gemacht hat.

Eine solche Erfahrung macht auch Rainer. Sind die Japaner also nicht so kühl und ernst, wie man immer denkt?

Im Gegenteil ist es so, dass die Japaner die Ernsthaftigkeit der Gaijin nicht mögen! Die Japaner sind sehr stolz und sehr scheu und machen deshalb fast nie den ersten Schritt auf einen zu. Das empfinden wir mitunter als Reserviertheit. Geht man aber auf Japaner zu, sind sie sehr herzlich und geben sich die grösste Mühe, sich auf die Eigenheiten der Ausländer einzustellen.

Überzeichnen Sie zuweilen Ihre Figuren, um Ihre Anliegen deutlich zu machen? Mia, Rainers japanische Freundin, wird ja zum Beispiel als schon fast tölpelhaft geschildert.

Ich habe in 40 Jahren nur einmal eine ungeschickte Japanerin getroffen! Japanerinnen beherrschen in der Regel ihre Hände und Finger so gut, dass man sich wie ein Trampeltier vorkommt. Eine ungeschickte Japanerin ist also tatsächlich eine Exotin, da brauche ich nichts zu überzeichnen.

Und wie steht es mit Tante Azai, die trotz ihrer extrem schroffen, abweisenden Art von Mia fast schon verehrt wird?

Auch hier beschreibe ich nur die japanische Mentalität. Das Alter ist verehrungswürdig, denn Alter bedeutet Erfahrung – und diese gilt als kostbares Gut. Deshalb haben die Seniorinnen und Senioren in Japan auch Narrenfreiheit, sie können sich «ungestraft» über Konventionen hinwegsetzen und werden trotzdem respektiert. Diesen Respekt fordern sie auch unverhohlen ein. Allerdings ist die Lebenserwartung in Japan sehr hoch, sodass die ganz Alten den jüngeren Alten damit auch gehörig auf die Nerven gehen können.

Sowohl Tante Azai als auch Mia entstammen einer Familie von Ninja. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Weil wir zwei Frauen in unserem Bekanntenkreis haben, die aus solchen Familien stammen. Eine ist wie Mia Architektin, die andere betreibt eine Sake-Brauerei.

Allerdings stellen Sie die «Windmenschen», wie die Ninja auch genannt werden, nicht als hinterhältige, Wurfsterne schleudernde Schattenkrieger dar…

Das waren sie schon auch. Ninja wurden häufig von Shogunen und Samurai dafür eingesetzt, ihnen den Weg zu ebnen, und sie arbeiteten auch als Spione. Aber sie waren eben auch hervorragende Architekten, Ärzte, Planer und Apotheker – diese Traditionen leben bei ihren Nachkommen fort. Ninja waren in der Regel überdurchschnittlich intelligente Menschen, was damals eine Frage des Überlebens war.

Uns Europäer fasziniert Japan auch deswegen, weil es uns wie eine unmögliche Mischung aus Zukunftsgläubigkeit, Konzentration auf den Moment und Verwurzelung in der Vergangenheit vorkommt. Diese «Dreifaltigkeit» kommt in «Tochter des Windes» immer wieder zum Ausdruck.

Sie ist auch Teil des japanischen Alltags. Ein Beispiel: Ein junger Mann kann zu einem Schrein gehen und ganz profan darum bitten, dass er sein Examen besteht. Damit beleidigt man die Götter nicht, denn sie sind ja dafür da, uns zu helfen. Im Gegenzug dafür macht man die Götter glücklich, indem man ihnen zeigt, wie schön und perfekt sie die Menschen geschaffen haben, wenn man ausgelassen feiert oder seiner Freude freien Lauf lässt. Sich vor den Göttern in den Staub zu werfen, kommt gar nicht in Frage! Etwas ernster wird es bei der Ahnenverehrung, denn die Ahnen lösen sich nicht einfach in Luft auf, sondern sind allgegenwärtig, leben in ihren Nachkommen weiter.

… und melden sich manchmal in der Gegenwart – wie Yodo-dono, die Ahnin von Mia und Tante Azai …

Man schreibt Frauen besondere Kräfte zu, die es ihnen erlauben, positiv in die Gegenwart einzugreifen. Yodo-dono erscheint daher jeweils warnend, wenn Gefahr bevorsteht. Stirbt eine Frau aber im Zorn, kann sie auch viel Unheil anrichten, wie ich es in «Die Augen des Schmetterlings» beschrieben habe.

Glauben Sie an solche übernatürlichen Begebenheiten?

Einmal fragte mich eine Leserin, ob ich einen Draht zum Übersinnlichen habe. Ich sagte: Ja, aber der hängt locker! Im Allgemeinen halte ich es mit Shakespeare: «Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt.»

Fast schon übernatürlich wirkt auch die Szene am Ende der Geschichte, als die Katzen die Bewohner der Insel Tashiro-Jima vor der Katastrophe warnen wollen, die letztlich zum Unglück in Fukushima führte …

Diese Geschichte ist authentisch! Die Katzen retteten die Inselbewohner, indem sie mit ihren Jungen zum Katzenschrein auf dem höchsten Punkt der Insel rannten. Da merkten die Menschen, dass etwas im Argen liegt, und folgten den Tieren zum Glück. In Japan herrscht sowieso eine «Neko-Mania», eine Katzenbegeisterung.

Sie haben ja selbst auch eine Katze!

Sie heisst Ninja und ist unsere Maneki-Neko – unsere Glückskatze.

In diesem dramatischen Höhepunkt des Buchs zeigen Sie auch wieder einige typisch japanische Eigenschaften.

Ja, die enorme Fähigkeit der Japaner zur Resilienz, ihren Fatalismus und wiederum die Wichtigkeit der Älteren. Nach der Katastrophe wussten die Älteren – wie zum Beispiel Mias Onkel Matsuo –, was zu tun ist. Sie brachten die Jungen dazu anzupacken, schützten sie aber gleichzeitig vor dem Schlimmsten. Das zeigt die Szene, in der die älteren Inselbewohner die Jungen daran hindern, ihnen beim Bergen der Leichen zu helfen. Dass es zu solchen Katastrophen kommen kann, nimmt man hin. Japan ist eben anfällig für Erdbeben, damit lebt man. Es ist zwar entsetzlich, aber nicht zu ändern.

War Fukushima für Sie der Auslöser, «Tochter des Windes» zu schreiben?

Nein, auch wenn mein Mann und ich zwei Wochen vor dem Ereignis in der Region waren und wir viele Betroffene kennen. Mein Mann gab mir vor etwa drei Jahren den Anstoss für das Buch, als er mir sagte, dass der Genbaku-Dom – heute eine Gedenkstätte für den amerikanischen Atombombenangriff – vom tschechischen Architekten Jan Letzel erbaut wurde. Das fand ich so interessant, dass mein Mann und ich zum Recherchieren nach Prag fuhren und dort feststellten, dass Letzel in seiner Heimat gar nicht bekannt ist. Daraus entstand schliesslich das Buch.

Trotz allem Positiven, über das wir bisher gesprochen haben, üben Sie in «Tochter des Windes» auch Kritik an der japanischen Gesellschaft.

Natürlich, das muss auch so sein. Japan ist keine perfekte Gesellschaft. Vor allem die Technokraten und Politiker stehen bei der Bevölkerung alles andere als hoch im Kurs. Das bekommt man als Aussenstehender jedoch nicht mit, da es den Japanern nicht liegt, mit Plakaten und Parolen auf die Strasse zu gehen und ihrem Ärger Luft zu machen. Szenen, wie sie sich in Griechenland und in der Türkei abgespielt haben, sind in Japan undenkbar.

Auch den Technikglauben beurteilen Sie kritisch…

Ebenso wie die Japaner nach Fukushima, als klar wurde, dass Technik eben nicht nur Gutes bringt und dass man recht hilflos sein kann, wenn die Technik im entscheidenden Moment nicht mehr funktioniert. Das merken auch Rainer und Mia, als sie nach dem Beben auf der Insel festsitzen und alle Hände voll damit zu tun haben, einen Tag nach dem anderen zu überleben.

Also glauben Sie, dass die Natur am Ende – Technik hin oder her – das letzte Wort haben wird?

Aber natürlich! Wobei ich sowieso ziemlich überzeugt bin, dass der Mensch es irgendwann schaffen wird, sich selbst zu zerstören, ohne dass die Natur dabei nachhelfen muss.

Steht für diese Übermacht der Natur in gewissem Sinn das intelligente Haus, in dem Mia wohnt und das nach dem Beben eigentlich auch nicht viel mehr als eine Wohnhöhle ist?

Genau – und das Haus funktioniert ja allein deshalb nicht mehr, weil es keinen Strom mehr gibt. Die Szenen, die ich beschreibe, sind wirklich passiert: Nach dem Beben in Tokyo funktionierte bei all den schönen, teuren, intelligenten Häusern ohne Strom nichts mehr. Also mussten die Menschen mit ihren Einkäufen 30 oder mehr Stockwerke zu Fuss hochgehen, nur um dann gleich wieder mit gefüllten Nachttöpfen nach unten zu marschieren.

Szenen, die einen schmunzeln lassen, auch wenn sie im Grunde tragisch sind…

So ist doch das Leben. Tragik und Komik liegen manchmal so dicht beieinander! Genau das habe ich in «Tochter des Windes» darzustellen versucht.

«Tochter des Windes» ist – auch wenn der Titel vielleicht anderes vermuten lässt – ein Buch für Erwachsene. Ist das schwieriger zu schreiben als ein Buch für Jugendliche?

Es stimmt, der Titel ist etwas unglücklich und deutet auf Mädchenliteratur hin. Aber auf den Titel kann man als Autorin nicht immer Einfluss nehmen. Doch um die Frage zu beantworten: Erwachsenengeschichten sind wesentlich einfacher zu schreiben. Das liegt zum einen daran, dass ich für Erwachsene einfach drauflos schreiben kann in der Annahme, dass die Lesenden es dann schon verstehen werden. Für Jugendliche muss ich meine Sprache anpassen, sie bis zu einem gewissen Grad vereinfachen. Auch die Themensuche gestaltet sich für Jugendliche schwieriger. Man kann nur Themen behandeln, welche die Jugendlichen beschäftigen, und muss gleichzeitig Geschichten finden, die aus dem Leben gegriffen sind.

Im Buch fragt sich Rainer, wie und in welcher Umgebung Autoren überhaupt schreiben. Wie schreiben Sie denn?

Ich brauche Kaffee, schwarze Schokolade und einen Computer. Dazu kommen ein solider Lebenswandel und ein Mass an Selbstdisziplin, das ich von meiner Mutter vermittelt bekam. Das ist im Grund schon alles!

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