Code is Poetry
Pär Thörn schreibt die nächste Literatur mit Algorithmen
Code Like a Poet. Pär Thörn, einer der interessantesten jüngeren Dichter und Performer aus Schweden, hat vor ein paar Jahren via copy & paste aus Einträgen bei Ledarna, einem Webforum für Unternehmer, einen Text generiert, der mehr Kapitalismuskritik entfaltet als die meisten politischen Analysen.
Kürzlich hat Thörn – nachdem er etwas Ähnliches schon mit Strindbergs Röda rummet gemacht hatte – Die Leiden des jungen Werthers nach der Ausgabe von 1774 Wort für Wort alphabetisch angeordnet und neu in Fraktur gesetzt. Mustergültig löst er damit ein, was der amerikanische Dichter Kenneth Goldsmith, Mitglied des LitFlow-Thinktanks, in seinem Buch Uncreative Writing von 2011 mit dem Leitspruch des Konzeptkünstlers Douglas Huebler auf den Punkt gebracht hat: “Die Welt ist voll von Texten; dem will ich nicht noch mehr hinzufügen.”
Thörn verschiebt die Wörter, aus denen Goethes Text besteht, ohne Sinn und Verstand. Genau darum geht es: jegliches Sinn- und Bedeutungsversprechen so auseinanderzunehmen, dass endlich wieder Raum für Neues entsteht. Nun liest man nicht mehr Goethes Werther, sondern eine Liste, eine Datenbank, konkrete Poesie, einen Remix, einen Angriff, eine positivistische Analyse, eine Partitur.
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Hinter allen Arbeiten Thörns steht die unbedingte Frage, wie man die alten Zeiten von Hypertext und ähnlichen Projekten, die eigentlich nur analoge Konzepte in digitalen Kontexten reproduzieren, hinter sich lässt und digitale Dichtung im eigentlichen Sinn herstellt.
Alles nichts neues, sagt Goldsmith: nicht nur die Moderne, auch frühere Epochen haben schon exzellente Beispiele dafür geliefert, wie Literatur avancierten Code generieren muss, um nicht nur auf der Höhe der Zeit zu sein, sondern gleich auch die nächste Literatur vorzubereiten.
Der Zergliederungsprozess, den es braucht, um Code für Maschinen im digitalen Zeitalter schreiben zu können, greift auf diese Tradition zurück und potenziert sie. Dafür lernen Schriftsteller wie Pär Thörn neue Lösungswege, auch Algorithmen genannt.
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Algorithmen, wie sie etwa Google verwendet, um Stichwörter oder Phrasen zu indizieren, waren deshalb für Thörn ein Ansatzpunkt, um loszulegen. Mit ihnen hat er experimentiert, um das unendliche Twitter-Gedicht I am herzustellen.
I am entwickelt sich durch stete, automatisierte Recherchen auf Twitter ständig weiter. Im Kern ist es ein Listengedicht, das in jeder Zeile mit den Worten “I am” beginnt. Der Schreibprozess wird durch einen Algorithmus im Programm erledigt, der die Suchergebnisse filtert. Das gute alte lyrische Ich dieses Gedichts steckt also in jeder Person, die in Zukunft die Wortfolge “I am” verwenden wird.

Pär Thörn I Am
Nachdem die Entscheidung feststand, Twitter als Basis für die Filter zu verwenden – statt etwa Google -, hat sich allerdings der grundlegende Unterschied zwischen Twitter und Literatur bemerkbar gemacht. Wenn man nämlich das unendliche Gedicht in der gleichen Geschwindigkeit sich generieren ließe, wie auf der ganzen Welt “I am …” getwittert wird, dann würde es unlesbar.
Also musste ein weiterer Filter eingebaut werden. Thörns Programm lässt einen gewissen Prozentsatz an Tweets aus, um die Geschwindigkeit zu reduzieren, mit der das Gedicht evolviert. Auch die nächste Literatur scheint noch immer langsamer sein zu müssen als die Welt, auf die sie sich bezieht.
thörns on!
so ein alter hut, das hab ich schon vor 30 jahren gemacht. und ich war sicher nicht der einzige.
ja, genau: schottelius und twitter: http://www.almostzara.com/wp-content/uploads/Twitter-old-school.jpg
ich meinte allgemein mit hilfe vonalgorithmrn oder programmlogik erzeugte / generierte literatur. “die nächste literatur”. ts. veröffentlicht lieber die “algorithmen”, wenn was neue literatur ist, dann das. oder bleibt bei der guten alten.