Die große Stunde des SEO
LitFlow stellt die Autoren der Zukunft vor (1)
In seiner Untersuchung Das postmoderne Wissen beschrieb Francois Lyotard 1979, wie der Fortschritt postmoderner Gesellschaften von deren Zugang zum Wissen bestimmt wird. Dieser Zugang definiert sich gegenwärtig nicht mehr nur über die Möglichkeit, auf Daten zuzugreifen. Er definiert sich vor allem über die Auffindbarkeit der relevanten Informationen im Datenwust.
Mit dem exponentiellen Wachstum der verfügbaren Daten und ihrer ubiquitären Zugänglichkeit im Netz hat eine grundlegende Verschiebung stattgefunden. Um überkommenes Wissen einsatzfähig zu halten, ist nicht mehr nur die Übersetzungsarbeit in die informatischen Medien nötig. Die Pflicht einer intelligenten Archivierung gesellt sich dazu. Indexikalisierung, Verschlagwortung, Cross-Referencing und Content-Programmierung – sie bestimmen die Bedingungen und Möglichkeiten der nächsten Gesellschaft.
In Zeiten des Informations-Überschusses dreht sich dementsprechend alles um die intelligente Organisation von Informationen. Nicht ohne Grund basiert der Erfolg des größten IT-Unternehmens der Welt auf einer „einfachen“ Suchmaschine. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Suchmaschinen in Zukunft bestimmen werden, wer und was im Netz auffindbar und damit überhaupt erst sichtbar ist. Alle Daten sind gleich. Doch die von Suchmaschinen auffindbaren sind gleicher.
Das ist die große Stunde des SEO. Denn er sorgt dafür, den Content von Websites suchmaschinenoptimiert aufzubereiten. Damit wird er in Zukunft nicht nur einer der wertvollsten und teuersten Mitarbeiter in IT-Unternehmern sein. Auch für die Literaturbranche gilt: In den nächsten Literatur-Teams und den nächsten Verlagen wird der SEO ein unverzichtbarer Bestandteil. Mehr noch: Die erfolgreichsten unter den nächsten Autoren werden selbst die SEOs sein.
Weil das mit Sicherheit so sein wird, geben wir heute schon acht Prognosen zur Konvergenz von SEO und Autorschaft. Wer im Literaturbetrieb zukünftig vorne mitspielen will, sollte sich heute schon auf folgendes einstellen:
1. Die nächsten Autoren werden ihre Texte suchmaschinenoptimiert schreiben. Das heißt: Unique Content – es dürfen keine identischen Textteile auffindbar sein. Gliederung durch einfache HTML-Formatierung: Titel (als h1 geschrieben), Zwischenüberschriften (in h2 bis h6) und Aufzählung mit Bulletpoints. Die Keyword-Dichte sollte 2 bis 4 Prozent betragen. Eine Textlänge von mindestens 250 Wörtern muss dem Inhalt gerecht sein, also keine Worthülsen oder leeren Phrasen. Wichtige Synonyme des Keywords sollten verwendet werden.
2. Nach jedem Algorithmuswechsel der großen Suchmaschinen müssen die Texte neu geschrieben und optimiert werden. Damit werden die nächsten Texte flüssig. Alte Texte, die nicht mehr aktualisiert werden, verschwinden auf die Seiten 100-110 der Suchmaschinen. Sie sind damit definitiv tot.
3. Durch Article Spinning werden die Texte minimal verändert und mehrfach veröffentlicht, um ein breiteres Spektrum von Suchanfragen abdecken zu können. Im Journalismus ist diese Praxis längst üblich. Was heute noch Skandale wie den um Wissenschaftsjournalist Jonah Lehrer auslöst, ist in Wirklichkeit richtungsweisend. Lehrer baute Artikel für verschiedene Publikationen aus den gleichen Bausteinen zusammen und änderte nur die grobe Stoßrichtung der Artikel. Das war visionär. Dass er gleichzeitig noch Zitate von Bob Dylan erfand, war vielleicht nicht ganz korrekt, steigerte aber sicher die Klicks per Suchanfragen.
4. Ein neues Product Placement wird in die nächste Literatur Einzug halten. Verleger und Autoren werden die bekanntesten Marken dafür bezahlen müssen, ihre Produkte in ihren Texten verwenden zu dürfen, um wahrgenommen zu werden. Ob die großen Konzerne Interesse haben, ihre Produkte in literarischen Kontexten konsumieren zu lassen und wie viel sie sich dafür bezahlen lassen, wird sich zeigen müssen.
5. Es wird Programme geben, die Texte auf ihre Auffindbarkeit hin optimieren (es gibt sie schon). Der Autor, der das beste Programm schreibt, hat den größten Langzeiterfolg. Auch die im Text platzierten Produkte können automatisch je nach Vertragslage oder Produktupdate ausgetauscht werden, sodass Texte nie nach dem muffigen Klamotten des letzten Jahrhunderts riechen werden.
6. Es wird sich ein neuer, digitaler literarischer Aktionismus entwickeln. Mit Suchmaschinen-Bombings werden subversive Autoren-Aktionskünstler-Kollektive Anschläge auf die Hegemonie der Suchmaschinen-Algorithmen verüben, um ihren Texten eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen.
7. Auf den SEO-Titel und die Meta-Description wird mehr Zeit verwandt als auf den Text. Denn sie verkaufen in Zukunft die Texte. Ockhams Rasiermesser gleich wird der literarische Text dabei auf eine geballte Inhaltsangabe zusammengekürzt. Diese Texte werden kunstvoller als Haikus und informativer als News-Ticker sein. Sie werden damit zur eigentlichen nächsten Literatur der nächsten Autoren.
8. Die nächsten Autoren werden ihre Texte untereinander vernetzen, um die Suchmaschinen-Treffer zu erhöhen. Zunächst werden nur die eigenen Texte aufeinander bezogen. Dann werden auch Links zu den Texten anderer Autoren gesetzt. Dabei wird es aber nicht bleiben. Figuren und Schauplätze werden die Texte wechseln. Die Texte werden auf Videos und Bilder verweisen. Die nächste Literatur ist transmediale Teamarbeit. Die nächste Literatur ist die der Intertextualität.
schöne zusammenfassung einiger techniken, welche nicht erst sei vorgestern gängige mechanismen im internet darstellen? jeder praktikant in einer online redaktion arbeitet so, ist ein article spinner. ok, dann ist er halt zusätzlich noch ein poet.mehr …
nette linksammlung. einige ganz wesentliche korrekturen vor allem bei punkt 4, und ab in den dissertations-spinner damit.mehr …
anyway — keeps me hot
bin ich ein dissertations-spinner oder wie
[...] Die erfolgreichsten unter den nächsten Autoren werden selbst die SEOs sein….Coop Sasuk RoietIn seiner Untersuchung Das postmoderne Wissen beschrieb Francois Lyotard 1979, wie der Fortschritt postmoderner Gesellschaften von deren Zugang zum Wissen bestimmt wird. Dieser Zugang definiert sich gegenwärtig nicht mehr nur über die Möglichkeit, auf Daten zuzugreifen. Er definiert sich vor allem über die Auffindbarkeit der relevanten Informationen im Datenwust.Mit dem exponentiellen Wachstum der verfügbaren Daten und ihrer ubiquitären Zugänglichkeit im Netz hat eine grundlegende Verschiebung stattgefunden. Um überkommenes Wissen einsatzfähig zu halten, ist nicht mehr nur die Übersetzungsarbeit in die informatischen Medien nötig. Die Pflicht einer intelligenten Archivierung gesellt sich dazu. Indexikalisierung, Verschlagwortung, Cross-Referencing und Content-Programmierung – sie bestimmen die Bedingungen und Möglichkeiten der nächsten Gesellschaft. [...]
SEOing-Skandal bei Wikipedia: http://t3n.de/news/skandal-um-korrupte-415631/