Das Buch ist ein Ort

Bob Stein und SocialBook

Wir lesen anders. Die technologischen Bedingungen haben sich verändert, die Bedingungen für Formen und auch für Inhalte.  Aber wie wollen wir, wie werden wir lesen? Bob Stein, Gründer und Co-Direktor des Institute for the Future of the Book und Mitglied des LitFlow-Thinktank, hat dafür klare Antworten. “The radical” – so  hat John Brockman bereits 1996 Bob Stein charakterisiert. Und tatsächlich: Auf die Frage bei einer Veranstaltung im vergangenen Jahr, ob nun mit der Technologie des kollaborativen Schreibens der Tod des individuellen Autors ansteht, sagte Stein schlicht: “Ja.”

Seine Vision ist, dass die Grenzen zwischen Lesen und Schreiben porös und Leser immer mehr auch zu Produzenten werden: “Our grandchildren will assume that reading with others, i.e. social reading, is the ‘natural’ way to read. They will be amazed to realize that in our day reading was something one did alone. Reading by one’s self will seem as antiquated as silent movies are to us.”

Wenn das passiert, hat Bob Stein einen großen Anteil daran. 1992 veröffentlichte die von ihm gegründete Voyager Company die ersten E-Books, darunter Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams und Michael Crichtons Jurassic Park. Schon in den 80er Jahren, so Stein, musste man aufhören, über die Materialität von Büchern nachzudenken, wenn man auf der Höhe der Zeit bleiben wollte. Man musste stattdessen überlegen, was man mit Büchern macht und wie man sie benutzt. Bob Stein nannte Bücher – im Absetzung zu den Medien des 20. Jahrhunderts, die von den Produzenten gesteuert werden und in denen der Nutzer nur Konsument ist - fortan nur noch “nutzergesteuert”.

Network Books

2006 entwickelte das Institute for the Future of the Book die Network Books – diesmal in Absetzung zu Ebooks, die nichts weiter als eine digitale Printversion herstellen. Eine erste Version der Network Books war Gamer Theory von McKenzie Wark. Wark suchte nach einer Möglichkeit für neue Text- und Publikationsformen irgendwo zwischen den multiplen Öffentlichkeiten der Blogosphäre und dem Schwarmwissen von Wikipedia. Wark begrenzte seine Texte auf Absatzlänge und präsentierte das Buch online als Folge von nummerierten Karteikarten. Kommentare wurden nicht wie sonst unter den Text, sondern neben den Karten platziert.

Auf die Dynamik der Kommentaraktivität und auch auf ihren Bezug zum Text hatte diese kleine Änderung enormen Einfluss. Die Hierarchien zwischen Autor und Leser wurden eingeebnet. Autoren und Kommentatoren befanden sich plötzlich im selben Raum und schrieben auf Augenhöhe.

Im November 2008 führte das Institute for the Future of the Book diese Initiative von Wark mit einem Social-Reading- und Writing-Projekt zu Doris Lessings The Golden Notebook fort. In einer Spalte ist der Text von Doris Lessing zu lesen, daneben die Kommentare von sieben Autorinnen, die sich zuvor nicht kannten. Das allein schon erzeugte eine neue Qualität literarischer Kommunikation unter Online-Bedingungen.

Books in Browsers Internet Archive San Francisco 27 October 2011 from synch101

SocialBook

Die bisherigen Projekte führt Bob Stein 2012 mit SocialBook als Online-Plattform für Social Reading zusammen.  Jetzt können Leser Anmerkungen, Kommentare, Notizen teilen. Und sie können sich gegenseitig kommentieren. Die Lektüre findet in Gruppen statt, deren Größe frei bestimmt werden kann. Kommentare können über Twitter und Facebook verbreitet werden. Die Interaktion mit dem Text findet auf vielen Ebenen statt, asynchron oder live, lesend, schreibend oder beides zugleich.

Für Bob Stein wird damit etwas realisiert, was die alte Buchkultur immer gern ausgeblendet hat: die sozialen Aspekte des Lesens. Die aber, betont Bob Stein, setzt man nicht einfach in ihr Recht, indem man sie Texte von der gedruckten Seite auf den Bildschirm bringt. Gemeinsames Lesen ermöglicht auch gemeinsames Denken. Die Grenzen des Einzelnen werden verschoben, wenn nicht gar aufgelöst.