Und ab dafür
Sony tauscht alte Bücher gegen neue eBook-Reader ein

Sony Reader vs Books © CNET UK/ SmartPlanet
Es gibt Sachen, die sind so unglaublich, dass man sie sich auch bei LitFlow nicht ausdenken kann. Zum Glück gibt es die Wirklichkeit. In der gehen die Auseinandersetzungen zwischen der alten Buchkultur und der nächsten Literatur auch heute wieder in eine neue Runde.
Diesmal erreicht uns eine Nachricht aus Sonys Reader Club. Dort plant man für Donnerstag, den 30. August, ein ganz besonderes Event zum Startverkauf des neuen eBook-Readers. Wer in den Store am Potsdamer Platz kommt, kann an einer erstaunlichen Tauschaktion teilnehmen. “Räumt Eure Bücherregale leer”, heißt es in der Ankündigung. “Die ersten hundert Teilnehmer der Reader Nacht haben zwischen 19 und 20 Uhr die Möglichkeit, einen ein Meter hohen Bücherstapel kostenlos gegen einen neuen Reader (PRS-T2) im Sony Store Berlin einzutauschen. Das heißt: Bringt einen Meter Buch vorbei und erhaltet bereits eine Woche vor offiziellem Marktstart den niegelnagelneuen Reader!”
Alt gegen neu. Was sich in der Fernseher- und Rasiererbranche als gutes Geschäft für Käufer und Verkäufer erwiesen hat, kann für den Buchhandel nicht schlecht sein. Doch geht es hier nicht mehr um den Austausch verschiedener Gerätegenerationen. Diesmal geht es um den Wechsel einer ganzen Kultur.

Fast ein Regalmeter “Symbolisches Kapital” © Zeitgeist/ Lau Design
Angriffspunkt ist ein Lebensstil, in dem das private Buchregal eine tragende Rolle spielt. Es dämmt nämlich nicht nur die Wände nach außen ab. Es schafft auch eine Wärme und Behaglichkeit, die dem Buchregalbesitzer zudem das Gefühl gibt, von einer großen Tradition umgeben und zugleich in ihr heimisch zu sein. Das dient einer inneren Aufwertung, die sich noch verstärkt, wenn Gäste anwesend sind, die sich von den angesammelten Bänden beeindrucken lassen. Auch wenn es, wie bei heutigen Privatbibliotheken üblich, in der Mehrzahl nur Taschenbücher sind, erzielt jedes Regalmeter hohe Quoten in der Kategorie “Symbolisches Kapital”. Allein die Tatsache, dass die Einspieler von Talking Heads in Nachrichtensendungen immer noch vor Bücherwänden gedreht werden, beweist das genug.
Mit der Markteinführung des neuen eBook-Readers von Sony scheint das obsolet. Ein Lebensstil, der mit Büchern vollgestellt ist, hat hier etwas Bedrückendes. Allein die Körperlichkeit der Bücher, ihr Gewicht, ihre Staubigkeit und ihr muffiger Geruch führen zu Beklemmungen. Schon allein, wenn man an den nächsten Umzug denkt, wird klar, dass Bücher nicht befreien, sondern belasten.
Der Soziologe Jeremy Rifkin hat in seinem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Buch “Access” darauf hingewiesen, dass wir in eine Epoche eintreten, in der das Eigentum und mit ihm die Idee, etwas besitzen zu müssen, langsam aber sicher verschwindet. Zugleich entstehen neue Lebensstile, in denen es um Leichtigkeit geht, um Dynamik, um Transformierbarkeit. “Der kurzfristige Zugang wird lukrativer scheinen als der Erwerb”, sagt Rifkin. “Aus Verkäufern und Käufern werden Anbieter und Nutzer.” Im Zentrum der Access-Kultur steht damit “ein völlig neuer Vorgang”. “Zur Ware werden nicht die Dinge, sondern die Beziehungen zwischen den Verhandlungs- und Vertragsparteien. Nur so erhalten sie Zugang zu materiellem und immateriellem Eigentum.

rose © Robert The
Bücher haben in dieser Kultur keinen richtigen Platz. Allenfalls noch, wie Rifkin vermutet, als Kunstobjekte. “Das Ende der Gutenberg-Ära wurde seit Jahren vorhergesagt”, resümiert der Soziologe. Nun zeige sich, wie Zugang zu Texten und Dokumenten auf elektronischem Wege Realität wird – nämlich “für die erste Generation junger Menschen, die mit Computern aufgewachsen ist und es bequemer findet, sich Informationen vom Bildschirm zu holen als sie auf einer gedruckten Seite zu lesen.”
Genau diese Generation erwartet man wohl zum Startverkauf des neuen eBook-Readers im Sony Store. Der einzige Haken: Die Kids, die da kommen, haben zuhause ja nicht mal einen halben Meter Bücher, den sie für den Tausch mit dem neuen Gerät anbieten könnten. Wahrscheinlich reichen drei Lustige Taschenbücher von Walt Disney nicht mal dazu, ein Gratis-App herunterzuladen.
Da liegt eine natürlich eine Lösung nah: Warum soll man die Bücher eigentlich nicht aus der Bibliothek der Eltern nehmen? Die haben doch genug davon gesammelt und lesen sie ohnehin nicht mehr. Eigentlich stehen die nur dumm rum und warten darauf, wieder in Bewegung gebracht zu werden.
Weil diese Idee so gut ist, richtet sich unsere Empfehlung, am Donnerstagabend in den Sony Store am Berliner Potsdamer Platz zu gehen, nicht an die jungen Leute. Sie geht an die Älteren von uns. Man sollte unbedingt vor Ort sein, um nachzuschauen, ob dort nicht von den eigenen Kindern das kulturelle Erbe gegen das nächste große Ding eingetauscht wird. Dass es so kommt, wird man wohl nicht verhindern können. Aber man sollte dabei gewesen sein, um irgendwann einmal seinen Enkeln davon zu erzählen.
Ein ausgesprochen guter, zugleich aber auch provokanter Artikel!
Als Werbeaktion ist die Idee von Sony großartig. Schade, dass ich nicht in Berlin lebe. Ich wäre schon alleine deshalb auf den Potsdamer Platz gegangen, weil ich das Spektakel gerne gesehen hätte.
Herzlichen Gruß
Huberta Weigl