Product-Placement-App
Artefakt aus der sehr nahen Zukunft
Wie auch immer literarische Texte in Zukunft von Menschen „gelesen“ werden, die Geräte werden den Text analysieren. Sie werden ihn mit dem bisherigen Leseverhalten des Users, mit seinen Einkäufen bei Amazon, seinen Emails, dem Browserverlauf, seinen Kreditkartendaten und gegenwärtigem Kontostand abgleichen, um dann individuell zugeschnittene Werbung im Text einzubetten.
Nachdem Amazon bisher Geld mit der Distribution von Literatur verdient hat und dabei den stationären Buchhandel abgeschafft hat und gegenwärtig die Verlage ausschaltet, werden bald auch noch die Inhalte literarischer Texte in die Wertschöpfungskette miteinbezogen. Die Autoren aber werden nichts an der Auswertung ihrer Texte verdienen.
Dabei wäre es so einfach…
Sie haben es vielleicht nicht bemerkt, aber in dieser vierminütigen Lesung von Bret Easton Ellis’ Roman „American Psycho“ wurden 15 Marken und Produkte erwähnt, mit deren Werbung der Autor Geld verdienen könnte.
Das Werbepotential literarischer Texte thematisieren die Paradoxical-Print-Publisher von TRAUMAWIEN in ihrem konzeptuellen Meisterwerk „American Psycho“: Sie schickten den Text von Ellis’ Roman Seite für Seite zwischen Googlemail-Konten hin und her. Der GoogleAdWords-Algorithmus analysierte den Text und bot die entsprechende Werbung zu den Marken im Text gleich neben dem Mail-Fenster an. Diese Werbung fügten die Autoren als Fußnoten in „American Psycho“ ein und löschten dann den Romantext. Der neue „American Psycho“ visualisiert die Potentiale der Werbung im literarischen Text und zeigt uns, wie nah die oben entworfene Zukunft ist: Sie ist schon da.
Die Literatur, insbesondere auch die deutsche Popliteratur, hat einen entscheidenden Fehler gemacht: Unentgeltlich zählten die Autoren Markennamen und Produkte auf, um sie als Teil eines Lifestyles anzuzitieren. Für diese direkte Werbung sahen sie keinen Pfennig.
Heute gehen die Gewinnmargen der Verlage und Autoren immer weiter zurück, und bald wird alles noch viel schlimmer: Die Digitalität öffnet der Piraterie die Tore und alle wollen eh nur noch Lolcats „lesen“. Der einzige Weg für Verlage und Autoren heute noch Geld mit Literatur zu verdienen, ist zwangsläufig die Werbung.
Wenn aber schon Amazon oder sonst wer den Text komplett mit auf den Leser zugeschnittener Werbung und individuellen Produktempfehlungen umstellt, wie kann der Autor dann noch selbst Geld mit der Werbung verdienen?
Das Stichwort ist Vertrauen. Leser vertrauen ihren Autoren blind.
Im Marketing weiß längst jeder, dass die Empfehlung eines Freundes mehr wert ist als die beste Werbung. Und wer ist der Autor, wenn nicht der beste Freund seines Lesers? Würde sonst der Leser seinem Autor unendlich geduldig dabei zuhören, wie der in einer wie auch immer literarisch überformten Geschichte doch immer nur die gleichen Kindheitstraumata, Minderwertigkeitskomplexe und seinen Kulturpessimismus verarbeitet? Wenn ein Produkt im Text steht, den der Autor unter Qualen aus seinem Innersten geschält hat, kann es ja nicht schlecht sein. Weil der Autor der beste Freund des Lesers ist, ist er auch der beste Verkäufer.
Aber natürlich wollen Autoren keine Verkäufer sein. Sie sind Künstler. Und sie können noch nicht mal programmieren. Sie haben nur ihren Text. Und da muss die Werbung rein, ohne dass es dem Autor weh tut. Am besten, ohne dass er oder der Leser es merkt. Durch Product Placement. Und jetzt kommt unsere App ins Spiel… Einfach die App runterladen und mit Werbung im eigenen Text Geld verdienen.
Die App analysiert den Text und ersetzt alle Konsumgüter durch Produkt- oder Markennamen aus dem Pool der teilnehmenden Firmen: Eine Zigarette wird zur Marlboro, Kaffee zu Dallmayr, Smartphone zu iPhone usw.
Ist der Text einmal ins System eingespeist und seine spezifische semantische Struktur wie ein Fingerabdruck dem Autor zugewiesen worden, wird der Text kostenfrei veröffentlicht. Piraterie ist damit kein Problem mehr. Die App kann den Weg des Textes durch Netz verfolgen und ihn jederzeit anhand seiner Mikrostruktur identifizieren. Sie registriert die Zugriffe des Lesers auf den Text, egal ob auf Webseiten, Smartphones, E-Readern oder GoogleGlasses. Die App gleicht den Content des Textes mit dem Surf- und Einkaufsverhalten der Leser ab und stellt bei späterer Übereinstimmung von Content und Kauf automatisch Rechnungen an die Firmen.
Das Revenue-Modell ist mehrstufig: Für eine einfache Ansicht der Homepage bezahlen die Firmen den Autor in Centbeträgen, tätigt der Leser gar direkt einen Kauf, erhält der Autor Prozente am Gewinn. Die Marge ist gestaffelt, je schneller der Leser kauft, desto höher die Provision des Autors.
(Dieser Modus Einkünfte aus kostenfrei publizierten Kulturprodukten zu generieren wird in Zukunft natürlich nicht auf die Literatur beschränkt bleiben. Die Literatur ist nur ein Pilotprojekt, da sie hochstrukturierte und einfach zu analysierende Informationen beinhaltet. Zukünftig werden alle „Hinweisgeber“ bei einem Online-Kauf eines Produkts mitverdienen – egal ob der Käufer durch Film, Journalismus, klassische Werbung, Musiksong oder den besten Freund vom Produkt überzeugt wurde. Jede Bewegung des Käufers wird im Netz verfolgt und so kann nachgewiesen werden, wer den Käufer zum Kauf entscheidend beeinflusst hat.)
Mit diesem System verdienen Autoren nicht nur besser, endlich können Autoren ihre Texte auch umsonst verbreiten und haben damit eine potentiell unbegrenzte Leserschaft.
Was ändert sich noch für den Text?
- Die App aktualisiert bereits erschienene Texte und schlägt entsprechende Marken vor. Anhand der Wortfelder im Text, die mit den vorhandenen Daten im Netz abgeglichen, werden milieugerechte Marken identifiziert. Der Protagonist in Faserland wird zum Beispiel Camel, Gauloises, Parisiennes oder Marlboro rauchen, Lucky Strike, Pall Mall, American Spirit und F16 können ausgeschlossen werden. Je größer die Backlist der Verlage, desto lauter klingelt die Kasse.
- Damit werden Jahrhunderte alte Wälzer plötzlich wieder interessant. Wenn Raskolnikow die alte Frau mit einem Beil von Hornbach erschlägt (“Es gibt immer was zu tun”), Faust in Auerbachs Keller ein Vplus Lemon kippt und James Incandenza seine Filme von Kodak entwickeln lässt, gewinnen diese Bücher auch gleich neue Leser: Die Konsumenten der jeweiligen Produkte.
- Die App bietet verschiedene Sets und Settings an: Das Hipster-Set mit ClubMate, American Spirit und Fairtrade-Moccachino, das Gothic-Set mit Trinkhörnern, Met und Mittelaltermärkten. Diese Sets werden fortlaufend aktualisiert. Die Recherche für Milieutexte wird damit ungemein erleichtert: Autoren müssen sich nicht mehr in den Prenzlauer Berg wagen, um herauszufinden, welches Getränk diese Woche en vogue ist, – sollten sie den Drang verspüren, unbedingt über dieses Milieu schreiben zu müssen (was ja viele tun).
- Bestseller-Autoren dürfen Exklusivverträge abschließen. Wenn Frank Schätzing sich heute schon für Mey auszieht, warum sollte dann nicht auch sein nächster Protagonist ebendiese Feinripp-Boxer tragen? Allen anderen Autoren wird die Nutzung des Markennamens verboten.
- Das Buch-Buch bleibt werbefrei. Doch die Verlage, die es heute noch als höchstes Kulturgut heraufbeschwören, werden das alte Geschäftsmodell schneller beerdigen als Harry Potter „Avada Kedavra“ sagen kann. Die Buch-Buch-Puristen werden in einem Wald leben wie in Fahrenheit 451 und sich gegenseitig den ganzen Tag ihre werbefreien Geschichten vorlesen.
- Manche Texte werden nur geschrieben werden, um bestimmte Marken darin prominent zu platzieren. Die wahre Kunst der Autoren wird es sein, einen literarischen Text zu schreiben und eine möglichst hohe Klickrate auf die thematisierten Produkte zu generieren, ohne das die Leser in ihrem hochkulturellen Genuss gestört werden. „Werde Schriftsteller – für Zahnpasta und Vogelfutter“ – dieser Slogan der Werbeagentur von Scholz and Friends war noch nie so wahr.
- Ist die App erst einmal etabliert, werden die Texte richtig flüssig. Wortfeldanalyse und Milieugenauigkeit stellen sich als bloße Türöffner heraus, welche die Zweifel kritischer Autoren ausgeräumt haben. Jetzt werden die Produkte Leserindividuell variiert: Von einem Text entstehen undendlich viele Varianten. Ein Buch kann seine grundsätzliche Aussage ändern, wenn der Protagonist statt Fritz-Cola Coca-Cola trinkt. Vom Hipster bis zum White-Trash können sich dann alle in der Literatur wiederfinden. Endlich!
- Wenn die App genügend Text analysiert hat, beginnt sie ihre eigenen literarischen Werbe-Texte zu schreiben. Die Leser werden nach der Übergangszeit, die unsere App überbrückt, dann auch soweit sein, nicht mehr dem Autor, sondern der Maschine als ihrem besten Freund vollends zu vertrauen.