Samstag Nachmittag 17 Uhr, gefühlte 32 Grad, draußen scheint die Sonne, drinnen wedeln sich ca. 10 Menschen Luft zu und lassen sich von Bridge Marklands Lecture Performance King-ing the Drag in der Brotfabrik eine Geschichtslektion erteilen.
Zwischen den einzelnen Abschnitten ihrer Drag-Performance vermitteln unterhaltsame Anekdoten ein Gefühl für die Anfänge der Drag Szene der 90er in Berlin und New York. Beschämte Gesichter müssen mehrfach verneinen; von Diane Torr haben viele im Publikum noch nie was gehört und auch bei den GlamRock Bands der Siebziger versagen einige (Autorin eingeschlossen).
Durch die Fragerunde im Anschluss an Vortrag und Performancefragmente entsteht ein Austausch zwischen Menschen verschiedener Generationen, sexueller Identitäten und kultureller Hintergründe.
Ist Queer ein „state of mind“ und keine automatische Konsequenz sexuellen Begehrens? Wie hat sich die Szene durch Professionalisierung aber auch durch die Verdrängung und Schließung diverser Spielstätten verändert? Wo kreuzen und inspirieren sich Drag im Alltag und auf der Bühne wechselseitig?
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Nach einer kurzen Verschnaufpause geht’s weiter an die Spree. Im Radialsystem präsentierten Judith Sánchez Ruíz und Edivaldo Ernesto ein energiegeladenes Tanzstück (und auch heute sind die beiden dort mit einem anderen Stück zu sehen).
Duette und Soli wechseln sich rasant ab, die live gemischte elektronische Musik von Thomas Proksch gibt den Puls vor. In Noise ist alles perfekt abgestimmt, das Licht, die Outfits – und dennoch sind viele der schnellen Bewegungen improvisiert.
Der Bewegungsreichtum lässt die vielfältigen tänzerischen Hintergründe der beiden Künstler_innen erkennen: von filigranen Handchoreographien hinzu imposanten Kraftübungen ist alles dabei.
Das Tempo der fast einstündigen Ganzkörperschnappatmung ist stellenweise überwältigend. Die spärlichen Requisiten, im wesentlichen Zeitungen und ein Tisch, vor allem aber Auszüge einer Rede von Professor Patrick Loch Otieno Lumumba aus dem Jahr 2015 zu Bürgerkriegen und Identitätskrisen des afrikanischen Kontinents geben den Zuschauer_innen ein Gerüst.
Spätestens durch die provokant ungeschönte Rede wird deutlich was zumindest ein Thema des Stücks ist. Ohne direkte Erwähnung von Rassismus oder Kolonialismus, kommt dennoch die Tragik der Entwicklung seit den anti-kolonialen Befreiungskriegen (nonverbal) zur Sprache. Auch wenn das Postkoloniale den Berliner Kulturraum zur Zeit enorm prägt, die derzeitige BerlinBiennale ist nur das aktuelleste Beispiel für diesen begrüßenswerten Trend, ändert das nichts daran, dass die meisten Ausstellungsbesucher_innen oder Theatergänger_innen insgeheim doch ganz froh sind nicht allzu oft in ihren Zeitungen oder newsfeeds mit der harschen Realität eines Teil des afrikanischen Kontinents konfrontiert zu werden. Ein bisschen Kolonialerinnerung oder -ästhetik lässt sich in jedem Fall einfacher verdauen als ein Hinweis auf die brutale Jetztzeit, deren Komplexität eine Suche nach Schuldigen und eine eigene Positionierung erheblich erschwert. Die Frage nach der Identität einer jungen afrikanischen Generation ist ebenfalls eine seltene auf europäischen Bühnen und gehört doch auch dringend hierher.
Das Medium Tanz, in Verbindung mit den Theater-, Music-, und Toncollageelementen, vermag diese Realität vielfach vermittelt und gebrochen spürbar zu machen. Wer sich auf die Bewegungen und das Wechselspiel von Licht und Klang einlässt, kann in diesen wunderschönen und beeindruckenden Bewegungen Andeutungen auf Verdrängtes, Äußerungen von Widerstand und Wut und die Spuren eines andauernden Kampfes aber auch Zärtlichkeit, Trauer und Hoffnung erkennen.
Es lohnt sich in Zukunft nach Auftritten der zwei Tänzer_innenin in Berlin Ausschau zu halten, auf das nächste PAF müssen wir ja wieder ein Jahr warten.
©Zeichnungen Oliver Thie
© Thie/Thaa productions