Wenn sich so viele Autoren in der heutigen Zeit eines naiven Realismus bedienen, liegt das, so meine ich, an der Angst vor einer völlig aus dem Ruder gelaufenen und von uns erfundenen Wirklichkeit. Dabei geht es nicht um “gut” oder “schlecht” schreiben, sondern darum, sich das Schreiben zu trauen. Schreiben nun hat nicht wenig mit unserer Wirklichkeitskonstruktion zu tun, viele Autoren werden ahnen, dass sie mit dem Erfinden eines Textes ebenfalls ein Stück Wirklichkeit erfinden, diese dadurch verändern – und somit auch ihr eigenes Bewusstsein. Sich an einem Geländer entlang zu hangeln, das über dem Abgrund jemand angebracht hat, ist mit Sicherheit vernünftig; davon auszugehen, das Geländer sei objektiv notwendig, nicht.
Die “reale” Welt ist gleichermaßen “erfunden” wie die von Natur aus bereits fiktive Literatur. Hieraus ergibt sich eine doppelte Fiktivität, und die Literatur, die auf der Höhe konstruktivistischer Einsichten ist, ist eine Literatur, die die Tatsache ihrer Konstruiertheit anklingen lässt. Eine “postmoderne Literatur” gab es zu allen Zeiten, ob man nur Aristophanes (Die Wespen), Shakespeare (Hamlet), Tieck (Der gestiefelte Kater) – es gäbe da viele Beispiele mehr – heranziehen möchte, bleibt sich gleich. Das Postmoderne taucht überall dort auf, wo eine überkommene Vorstellung überwunden werden soll. Das scheint mir kaum notwendiger zu sein als heute. So werden all jene, die nicht daran glauben, dass die Erde eine Scheibe ist, zu postmodernen Denkern.