>Abbruch und Auftakt

>Wenn man sich verabschiedet, sollte man verabschiedet bleiben. Wie ungemütlich, wenn man an einer anderen Stelle (und dann noch unter einem anderen Namen) wieder auftaucht! Micky Winter ist also Michael Perkampus. Kein Geheimnis, natürlich nicht. Das Ganze hat einen bitteren Nachgeschmack, wenn man bedenkt, dass ich ja durchaus DIE VERANDA hätte weiterführen können, nach einer kurzen Auszeit etwa, die ich mir ja schon ab und zu genommen hatte. Ich aber sage: Nein; es war mir nicht möglich. Die Veranda ist Geschichte, unverrückbar. Bevor ich jetzt ausrufe: es lebe der Kryptoporticus! sehe ich mich genötigt, einige Dinge klar zu stellen. Nicht in der Absicht einer Rechtfertigung, viel mehr, um meine Position für mich selbst zu darzustellen.
Seit etwas mehr als 22 Jahren bin ich freier Schriftsteller. So frei nämlich war ich, dass ich ein Studium hinwarf, durch die Weltgeschichte mäanderte und mir eine Menge Unannehmlichkeiten zulegte, vor denen ich dann wiederum flüchten konnte. Ganz im Sinne der poète maudits betrachtete ich mich als einen Streuner, dem eben die Gunst der Stunde verwehrt blieb. In Wirklichkeit habe ich zwar sehr viel geschrieben, aber nie ein wirkliches Interesse an einer Veröffentlichung gehegt. Darum kümmerte ich mich so gut wie überhaupt nicht. Ich gehöre zu jenen (falls es ‘jene’ überhaupt gibt), die glauben, der Literaturbetrieb in Deutschland ist ein Scheißhaus, die Deutsche Literatur lächerlich und uninteressant – und vor allem: Poesie habe Kunst zu sein; jene die das aber Proklamieren, sind unten durch. Verkaufen sich nicht, basta. Stimmt ja auch. Jetzt tut das in unserer ach so güldenen Zeit des Mitmach-Webs dem Schreiben keinen Abbruch. Quasi jeder tut es. Schön, die sich noch für geheimnisvoll-elitär halten, tun es vielleicht nicht (aber sie würden gern!), aber es darf doch jeder seine Gedichtchen und Glossen anbieten. Etwas ähnliches habe ich bereits in einem Aufsatz (Literarische Weblogs) gesagt. Ob ich es so gemeint habe, weiß ich nicht. Das Medium verändert das Schreiben. Obwohl ich meine Werke immer noch primär mit der Hand schreibe (und dann abtippe), habe ich herausgefunden, dass ein Weblog meinem Partikularismus gut tut. Einen zusammenhängenden Text gibt es meiner Meinung nach nicht, da halte ich es mit Schmidt und seinen Gedankenspielen. Wie neidisch müssten elenden Schreiberlinge eigentlich auf die Musik sein, zu der ja alle Künste streben; wie schön ein Bild, in dem alles ‘gesagt’ ist. Wir dagegen verändern unentwegt bereits Gedachtes, fertig werden können wir nicht, bleiben somit die großen (oder kleinen) Unvollender. Ich aber mag das, es entspricht meiner Vision von Konstruktivismus.
Neulich also tippte ich mich auf einer kleinen gelben Schreibmaschine durch den Wust einer Hinterlassenschaft an Notizen, um zumindest den Versuch zu wagen, das ein oder andere zu Ende zu bringen, da fiel mir auf, dass ich mir wesentlich leichter tat, wenn ich das Weblog auch als Schreibmaschine nutze. Man meint vielleicht, dieser Gedanke hätte mir schon früher kommen können, was ich aber sagen will, ist viel weitreichender: man kann meine Arbeit zwischen zwei Deckel pressen (man muss es vielleicht irgendwann sogar, denn ein Buch ist für einen Leser durch nichts zu toppen), aber wirkliches Leuchten überkommt meine Texte erst dann, wenn man sich hindurchzappen kann. Für mein Vorhaben aber, das war mir bald klar, bräuchte ich mehrere solcher Weblogs, ich durfte zumindest thematische nichts durcheinanderbringen. Also habe ich begonnen, den Roman SANSTEINBURG zu programmieren (und arbeite selbstverständlich noch daran), der KRYPTOPORTICUS ist eine Art Verteiler, ein Hauptzentrum, etwas, in dem ich gedankenlos plaudern kann, ohne dass es (wie auf der Veranda) ein unsägliches Durcheinander gibt. Das ist das Eine. Zum Anderen komme ich noch.

4 Gedanken zu „>Abbruch und Auftakt“

  1. >Ich bin erstaunt. Und erfreut.

    Wie sich Schreiben ändert durch Medien (und die Körperlichkeit, die sie fordern), das hat mich auch immer schon beschäftigt. Am PC z.B. habe ich nie geschrieben, am Laptop jetzt dauernd. Ich fertige Gedankentexte beim Laufen, im Unterwegs-Sein, immer schon. Deshalb ist das für mich so ideal; ich habe das Laptop immer dabei und schreibe schnell auf den Knien. Dann renne ich wieder los. Der Schreibtisch war noch nie was für mich.

    Ich lese. Was Sie schreiben. Dafür, immerhin, setze ich mich hin. Denn lesen beim Rennen, das kann ich (noch) nicht.

    Herzliche Grüße

    Melusine

  2. >Der Anachronismus ist das Eigentliche. Wie sehr wir alle Kinder unserer Zeit sind, plagt mich so manches Mal. Ich dachte mir, es wäre doch möglich, dass ich zurück zur Gaslaterne kehre, zu Räucherschinken im Schuppen und zu Pferdemist auf den Strassen. Das ist es auch, es fällt mir leicht, aus der Zeit zu fallen. Dann aber sind da die ungeahnten Möglichkeiten unserer modernen Errungenschaften, die mich näher an die Frage: Was sind wir Menschen wirklich? bringen. Die Bestätigung einer merkwürdigen Präsenz, die gleichzeitig saudumm und intelligent ist, spirituell und organisch wie Kuhmist, hilfsbereit und brutal undsoweiter. Da ich mein Werk bin, muss ich der Frage auf den Grund gehen, was das eigentlich ist: Ich, Werk.
    Wie ich sehe, sind Sie vor dem nächsten Evolutionsschritt. Wir gehen einer Körperlosigkeit entgegen, die uns irgendwann in den Zustand des reinen Gedankens führen wird. Die Morphogenese packt uns überall.

  3. >Was für (Verzeihen Sie, ich beharre auf dem Geschlechterunterschied, den Sie ja schon mal neutralisieren wollten) "männlicher Satz": Da ich mein Werk bin.

    Den Evolutionsschritt, den Sie mich machen sehen, den erlebe ich noch nicht, viel eher Regression: Wie ein Kind alles nur über den Körper begreift, muss ich mich bewegen, um denken und schreiben zu können. Alle Reinheit bleibt mir fremd, auch der "reine Gedanke", das weiß ich schon lange. Weil die Gedanken mir nur was taugen, wenn sie zugleich "saudumm und intelligent" (also "unrein") sind (wie, damit´s auch mal was zu lachen gibt: die von Kant. Klüger geht´s nicht. Aber er hat gar keine AHNUNG.)

  4. >Das mit Kant finde ich in der Tat sehr gut getroffen. Dies war auch tatsächlich immer der Zwiespalt, den ich selbst empfand. Allerdings haben viele Philosophen ein in sich geschlossenes, kühles, aber in diesem System stimmiges Weltbild erfunden. So halte ich Kant (ja auch Hegel) für einen Künstler, der eine Eisskulptur in den Schnee föhnte, die aber ganz schnell wieder schmolz, sobald sich die Sonne sehen liess.

    Der männliche Satz… ich glaube schon zu verstehen, was Sie meinen. Vielleicht sind es auch Sätze eines steifen Kindes, mit Trotz verbunden, die eine männliche Aura wirken. Andererseits ist dieser Trotz berechtigt, wir sind alle unser Werk (im günstigsten Fall); auch beim Kochen merkt man die Handschrift des Individuums, also immer in der Kunst.

    Das eine Kind trotzt, das andere Kind begreift über den Körper, der ja mit dem Unterbewusstsein identisch ist.

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