Dennis Etchison tut gut daran, in seinem erfrischenden Vorwort die herausragende Rolle der kurzen Erzählung für den phantastischen Literaturbereich herauszuheben und merkt an, daß die Tendenz der Leser zum Roman eher plakativ und Verlags-, das heißt Marktgewollt ist. Tatsächlich sind Romane meist breitgewalzte, vormals gute, Ideen – oder es sind mehrere Kurzgeschichten, die aneinandergekettet und hingepuzzelt werden. Etchison läßt Tennessee Williams zu Wort kommen: Es kommt auf die Konzentration an. Das Furchtbare muß komprimiert dargestellt werden. Das hatte ähnlich bereits Edgar Poe gefordert und erläutert das in seinem hervorragenden Essays “The Poetic Principle” und “The Philosophy of Composition” mit der Einheitlichkeit des Effekts:
“Und es liegt auf der Hand, daß solche Einheitlichkeit nimmermehr durchgehalten werden kann in Werken, welche nicht in einem Zuge zu Ende gelesen werden können.”
Wie man auch immer heutzutage dazu stehen mag, steht es für mich außer Frage, daß eine Kurzgeschichte das wahre Talent nicht verbergen kann, daß sie die Paradedisziplin der ganzen Literatur darstellt, was nicht automatisch bedeutet, daß es keine Romane gibt, die es lohnt, zu lesen.
The Blues and the Abstract Truth ist ein Jazz-Album von Oliver Nelson aus dem Jahre 1961. Desweiteren ist es der Titel einer Story von Barry N. Malzberg, die er zusammen mit Jack Dann geschrieben hat. Beide Autoren sind mehr im Science-Fiction-Bereich tätig als in der phantastischen Literatur, dort aber sehr erfolgreich.
Von wem nun die Jazz-Verweise in dieser kurzen Geschichte (dt. “Melancholie und die abstrakte Wahrheit“) ausgehen, ist leicht zu entdecken. In einem Interview von 2002 sagte Malzberg:
“Wenn Sie mich fragen, was ich liebe, werde ich antworten: Science Fiction. Ich denke, Science Fiction ist, gemeinsam mit Jazz, Amerikas großer Beitrag zur Weltkultur, genauso groß wie Jazz, genauso verschwenderisch und genauso wunderbar.”
Diese Erzählung würde ich als Midlife-Crisis-Horror bezeichnen. Sie ist nicht besonders weltbewegend, bedient sich allerdings der eigenwilligen Erzählhaltung des “Du” (Zweite Person).
Dreimal nominiert für den Bram Stoker Award in der Kategorie “Short Story” als Autor, und viermal für den Hugo Award als Herausgeber, hat Scott Edelmann mehr als 75 Kurzgeschichten verfasst, die in Magazinen wie “Twilight Zone” erschienen sind und deren Auflistung hier zu nichts führen würde, weil sie bei uns völlig unbekannt sind.
Bekannter hingegen sind seine Arbeiten für Marvel Comics wie Captain America oder X-Men.
Die Geschichte, um die es hier geht, heißt “Are you now?” (dt. “Sind Sie oder waren Sie?“), ein starkes, literarisches Stück, das in der McCarthy-Ära positioniert ist und in jedem Satz Anspielungen enthält, die man nicht ohne weiteres versteht, wenn man nicht genau weiß, um was es da ging. Hierzulande dürfte die Kenntnis über diese dunkle amerikanische Zeit, in der sich Freund gegen Freund wendete und viele Künstler zum Schweigen gebracht wurden – alles unter dem Banner der Hetzjagt gegen Kommunisten in den USA – noch viel weniger im Gedächtnis präsent sein als in den Staaten selbst. Scott Edelman vergrub sich in Bücher über jene Zeit und beschäftigtse sich mit den Anhörungen, in denen sehr oft die ominöse Frage “Are Yo Now?” auftauchte (was in der deutschen Übersetzung ohne Fußnote kaum einen Sinn ergibt.)
Lawrence Watt-Evans ist kein Autor phantastischer Literatur, sondern bekannt für seine Fantasy-Sagas wie die “Die Herren von Dus”. Da ich derartige Literatur nicht lese, kann ich dazu nichts sagen. Für die phantastische Literatur ist möglicherweise “The Nightmare People” interessant, das aber nicht in Übersetzung erhältlich ist.
In der von James Turner herausgegebenen Sammlung “Spur der Schatten. Neue Geschichten aus dem Cthulu-Mythos” (Bastei/Lübbe) taucht Watt-Evans mit der Verwurstelung von Lovecrafts “Pickman’s Modell” unter dem Titel “Pickman’s Modem” auf. In “Metahorror” bleibt “Stab” (dt. “Ein Stich“) eine der schwächeren Geschichten um einen Mörder, der mit seinem in jungen Jahren ausgeführten Todestich davongekommen ist und ihn nicht vergessen kann.
Auch Richard Matheson hat eine sehr knappe Erzählung beigesteuert, “Mutilator” (dt.”Verstümmler“) genannt. Seine Arbeiten seit “I am Legend” sind mehr oder weniger durchwachsen. Er legte stets mehr Wert darauf, mit dem Strom zu schwimmen, was ihn auf den Science Fiction-Boom der 50er Jahre aufspringen ließ und schließlich auch zum Film brachte (unter anderem schrieb er die Star Trek Folge “The Enemy Within (1966)).
Anne Rice konstatierte Mathesons Novelle “A Dress of White Silk” als frühen Einfluß, durch den sie auf phantastische Literatur überhaupt aufmerksam wurde. Und Steven Spielberg steckt ihn in einen Topf mit Bradbury und Asamov.”
Wie dem auch sei, “Verstümmler” hätte sich Etchison für diese Anthologie sparen können.
Die hochdotierte Autorin Joyce Carol Oates, die aus irgendeinem Grund den Literaturnobelpreis noch nicht gewonnen hat, hat mit “Martyrdom” eine harte Geschichte geschrieben, die auch von Jack Ketchum stammen könnte, wäre er ein besserer Autor. Sie trifft hervorragend die Definition von Oates Auffassung einer Horror-Geschichte:
“Sie besitzt immer eine stumpfe Körperlichkeit, die keine erkenntnistheoretische Exegese auzutreiben vermag.”
Und:
“Wir sind gezwungen, sie schnell zu lesen, mit einem steigenden Gefühl des Schreckens.”
Dieser “Schrecken” kommt in Form zweier paralell verlaufender Erzählstränge, die am Ende aufeinandertreffen.
Im ersten wird mit dem simulierten, dumpfen Bewußtsein einer Ratte die Jagt auf diese Spezies, die Folter im Labor usw. dargestellt. Im zweiten geht es um eine junge Frau, die von Geburt an nur als Lustmädchen betrachtet wird. Die Begegnung dieser beiden ist nicht nur ein symbolischer Klimax.
Kim Antieau hat mit “Briar Rose” (dt. “Heckenrose“) ein poetisches Stück geschaffen. Einer Parabel gleich wird einer jungen Frau, die ihre Erinnerung verloren hat, diese von einem mysteriösen Tätowierer auf die Haut gestochen. Gleichermaßen zeigt diese Geschichte eine Katharsis auf, als die über und über tätowierte Frau ihre schmerzhaften Erinnerungen an ihr Leben in Form ihrer Haut wieder verliert. Auch sie hat einige Beiträge zu “Twilight Zone” geliefert, ist darüber hinaus mehr für ihre Jugendbücher (Das Leuchten der Sternschnuppen) bekannt.