Die Nachtwachen des Bonaventura

Wir wissen nicht, wer der geheimnisvolle Verfasser war, der 1804 unter dem Pseudonym Bonaventura seine Nachtwachen in dem kleinen sächsischen Ort Penig veröffentlichte und damit eine Perle der “Schwarzen Romantik” hinterließ. Warum das Werk schlußendlich August Klingemann zugesprochen wurde, stützt sich vornehmlich auf zwei Indizien. Da wäre erstens ein Tagebucheintrag, neben dem ein Werkverzeichnis aufgeführt zu lesen ist. Die Nachtwachen sind dort vermerkt. Das zweite Indiz stützt sich auf einen Vergleich mit dem Grundwortschatz der anderen Werke Klingemanns, der eine verblüffende Übereinstimmung mit den Nachtwachen erkennen läßt. Hingegen muß gesagt werden, daß es auch andere Argumente gibt, die gegen die Autorenschaft sprechen. Zuvorderst, daß es sich bei den Nachtwachen um ein kunstanschauliches Bekenntnis handelt, um ein parodistisches Spiel mit derart hohem Anspruch, wie man es in den Werken Klingemanns sonst nirgends antrifft.
Wir können allerdings sagen, daß es dem Werk selbst gut zu Gesicht steht, ein Mysterium um die Urheberschaft zu weben. Nahezu jeder damals bekannte Autor wurde des Werkes bereits verdächtigt, allen voran der Naturphilosoph Schelling, der nicht selten seine lyrischen Beiträge mit ‘Bonaventura’ unterzeichnete. Auch dessen Ehefrau Caroline wurde als Autorin genannt; es wurde auf Parallelen mit den Werken E.T.A Hoffmanns, Brentanos und auch auf Achim von Arnim hingewiesen. Ob es sich zuletzt gar um eine Gemeinschaftsproduktion handelte, wie es der Theorie der Romantik durchaus entsprochen hätte? Friedrich Schlegel und Novalis sprachen doch recht unmißverständlich von einer ‘Symphilosophie’, einer ‘Sympoesie’ und schließlich von einem ‘absoluten Buch’.
Im Bonaventuta treffen wir auf das Irrenhaus Welt und die Aufforderung zum Nihilismus. Hier also treten wir in die wirkliche Nacht hinaus, nicht ohne in dieser Satire eingerahmt so manches zu erkennen, was wir heute nicht anders formulieren. Im Grunde hat sich nichts in eine andere Richtung entwickelt, die Possenspiele der Menschheit wiederholen sich unentwegt und es endet alles im Nichts. Das Konstruktionsprinzip besteht bereits hier aus einem Labyrinth der Formen- und Perspektivenvielfalt, die nicht mehr auf eine Kausalität oder Finalität abzielen, sondern in einer Arabeskentechnik die zerlegten Handlungsteile darbieten, wie es weit über die Romantik hinaus bis in unsere Tage hinein anzutreffen ist. Um so erstaunlicher, daß die Nachtwachen niemals den Rang als ein Klassiker der Moderne behaupten konnten, der ihnen durchaus zusteht.

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