Startseitekardinalität der leeren mengeManchmal sogar in Töpfen

Als sie ging, zerriß die Zeit. Ein Reißverschluß neben meinem Ohr wurde entweder geöffnet oder geschlossen. Von diesem Zeitpunkt an war ich allein.
Sie ist unsichtbar wie alle guten Dinge; aber auch wenn sie unsichtbar ist, heißt das noch lange nicht, daß sie keinen Körper besitzt. Hier ist sie unsichtbar, draußen ist sie irgendwo, niemand weiß, wo. Sie würde allerdings behaupten, sie wisse es ganz genau, sie würde sagen: „Ich befinde mich gerade an der Ecke Tournelle.“
Sie scheint von einer erstaunlichen Einbildungskraft beherrscht zu sein, wenn sie so schlendert, als habe sie kein Ziel, den Kopf bewegt, als beobachte sie die Menschen um sich herum, die Schaufenster, die Stimmen, das Fließen der Straße. Sie bildet sich ein, sie setze einen Fuß vor den anderen, bildet sich ein, aus dem Zimmer gegangen zu sein, um eine bestimmte Stunde die Tür geschlossen zu haben, einen Weg zu gehen, den sie aus der Erinnerung heraus kennt, um dann, nach einer gewissen Zeitspanne, an ein Ziel zu gelangen, das sie ganz bewußt angesteuert habe.
Von außen wirkt das Hotel, als ob es in einem Zug aus der Erde gestampft worden wäre, viele Stellen unverputzt.
Das wuchtige morsche Bett unter dem Fenster, das sehr kurzgeraten ist. Zwei Koffer, meine zwei einzigen Koffer, die abgetakelten Behelfsmöbel, die allesamt nach Wurmscheiße riechen, ein Tisch mit Ornamenten an den Beinen, zwei Stühle, die nicht zum Arrangement gehören, nervöses Wippen, ein muffiger Schrank, in dem verborgen Kleiderbügel aus Draht hängen.
Ein Schrank, nicht wahr? Darin steckt die Energie! Sie ist in Schachteln, Schränken, manchmal sogar in Töpfen eingesperrt, und Energie ist Erinnerung! Oh, es wird wahrscheinlich nur der Teufel selbst wissen, warum sich Erinnerungen gerne vergraben, dort wo es garantiert dunkel ist.
Es bewegt sich nichts, egal wie oft ich zum Fenster gehe, nachsehe. Es ist wie in einer Geisterstadt, kein Lärm, kein Mensch, kein Fahrzeug. Eine stille Stunde, eine verlassene Stunde. Ich sehe hinaus, ich sehe immer nur aus allem hinaus. Aus meinem Körper, dem Fenster. Die prophetischen Winde, die an die Tür klopfen. Ränkespiele der Isobaren, Taupunkt über dem schweißgetränkten Laken zahlreicher Liebesnächte mit ihrer intimen Akrobatik, mit ihrem Kesselkrieg, der so manches Haar gekrümmt. Du stehst in diesem Traumfunkeln, stehst da, bist nackt wie der Sonnenschein, mit deinen wunderschönen Mammas, deiner Scham, wo ich hingehöre, woraus ich komme, in die ich hinein muß, will ich jemals wieder komplett sein, an deinen Brüsten liegen. Du nährst mich, deine Säfte sind meine Nahrung, sind mir Notwendigkeit, zu leben. Deine Lippen sind die Kissen meines Schlafes, deine Bewegungen sind die Architektur meines Universums. Ich erinnere mich daran, wie es früher war, ohne dich.


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