Nona
Die toten im trüben Wasser des Mapocho ist ein Roman, der den ganzheitlichen Charakter eines historischen Diskurses herausfordert. Interessantwerweise muß die Historie Chiles beim Lesen nicht bekannt sein, ohne einen Verlust dabei zu erleiden. Die Mechanismen einer Diktatur ähneln sich zu sehr, als daß man völlig den Zusammenhang verlieren könnte. Was man an diesem Roman versteht, ist paradoxerweise überhaupt nur das Rätsel. Man findet in den besten Werken lateinamerikanischer Literatur eine Besonderheit, die sämtliche Grenzen miteinander verschmilzt ohne artifiziell, aufgesetzt oder bemüht zu wirken. Man findet darin etwas, das es überhaupt nur dort gibt. So ein Roman von zartem Umfang, mit spärlicher Handlung, der mit Auflösungen, Trug, Lügen spielt, ohne das Spiel in den Vordergrund zu rücken, der einiges über das Leben sagt, ohne eigentlich weise, moralisch oder esoterisch zu sein, würde nahezu überall leicht in die Hose gehen, aber Nona Fernández hat jenes Quentchen Poesie im Blut, jene Fabulierlust, die direkt und ohne Umschweife genau jenes Zentrum der Lektürefähigkeit – und ich kann hier nur von mir sprechen – anvisiert, das tatsächlich Leselust erzeugt, wenn der richtig Autor (hier ist es eben eine Autorin) es mit genau den richtigen Worten zu stimulieren weiß.