Pressetext zur Werkausgabe – Müller / Die verlorene Bibliothek

Walter Mehring
MÜLLER – CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE
Roman
272 Seiten, geb., claassen Verlag GmbH,
Düsseldorf, DM 28,–

DIE VERLORENE BIBLIOTHEK
Autobiographie einer Kultur
320 Seiten, geb., claassen Verlag GmbH,
Düsseldorf, DM 29,80

Die Bucher Walter Mehrings, nach dem K iege meist in fehlerhaften Ausgaben oder in schlechten Reprints herausgebracht, erscheinen nun zum ersten Mal in einer sorgfältig edierten und vom Autor durchgesehenen Werkausgabe. Der ctaassen-Verlag verbindet mit dieser Ausgabe die Hoffnung, daß Mehring, “einer der wenigen großen Satiriker, die Deutschland in diesem Jahrhundert hervorgebrach hat” (Jürgen Serke), endlich den ihm gebührenden Platz in der deutschen Literatur findet. Denn der Tucholsky-Freund, den Hermann Kesten mit Heine und Villon verglich, ist bei uns immer noch ein weitgehend Unbekannter, ein zwischeen allen Stühlen sitzender ‘Exilierter’.

Müller - Chronik einer deutschen Sippe (1978)

Müller – Chronik einer deutschen Sippe (1978)

Walter Mehring hat – und das ist bezeichnend für ihn – den MÜLLER-Roman als Band 1 der Werk-Ausgabe ausgewählt. Die CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE, Parodie und Paraphrase auf Gustaf Freytags “Ahnen”, ist eine – wie es scheint: zeitlose Satire auf den ewigen Untertan. Gleichgültig, ob sie Milesius, Mülibert, Mulobrad oder Mühlicher hießen, immer haben sich die Müllers getreu dem preußischen Kasernenhof-Dogma “Nur nicht auffallen!” durch die Geschichte geschlagen, “haben das Heidentum abgeschworen, als es die Staatsraison von ihnen verlangte, dem Teufel widerstanden, als er auf Erden umging, sie wurden gut lutherisch zugleich mit ihren Fürsten, haben jeder Einberufung zum Heerdienst Folge geleistet, ihrem Herrn und Kaiser gedient unter der Monarchie wie in der Republik.” (Walter Mehring)

Grundlage des Romans sind die Chroniken, Urkunden und Dokumente, auf die der Pg un Tacitus-§pezialist Dr. Armin Müller, Oberlehrer im Berliner Kgl. Wilhelmsgymnasium, 1933 gestoßen ist, als er im Zuge der allgemeinen Forderung nach Rassenreinheit den Beleg seines Ariertums zu erbringen hatte. Walter Mehring hat die Chronik der Müllers mit großem Einfühlungsvermögen in die literarischen Stile der Epochen und mit dem toternsten Witz des Satirikers aufgezeichnet. Das Buch wird bleiben, solange es MÜLLERS gibt…

Die verlorene Bibliothek, Autobiografie einer Kultur (1978)

Die verlorene Bibliothek, Autobiografie einer Kultur (1978)

Als die 1951 in New York herausgebrachte LOST LIBRARY als DIE VERLORENE BIBLIOTHEK. AUTOBIOGRAPHIE EINER KULTUR erstmals in deutscher Sprache erschien, schrieb Walter Mehring über die Entstehung des Buches: “Der Entschluß, die Lebensgeschichte einer Literatur – genauer gesagt: die Fabel einer mir verwandten Bibliothek – zu erzählen, kam mir auf der anderen Erdhälfte in Amerika, auf einer New England-Farm, deren Entlegenheit… mich wieder lehrte, Schritt für Schritt des Gelesenen mich zu erinnern.”

DIE VERLORENE BIBLIOTHEK zeigt Walter Mehring als den großen Kenner der Weltliteratur. Seine AUTOBIOGRAPHIE EINER KULTUR ist Literatur- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, ist zugleich – und das macht ihren besonderen Reiz und ihre Authentizität aus – e r l e b t e L i t e r a t u r aus der Feder eines Z e i t g e n o s s e n, der mit der Berliner Dada-Bewegung da-da-i-sierte, zu Herwarth Waldens “Sturm”-Kreis gehörte, Mitbegründer des Max Reinhardt-Kabaretts ‘Schall und Rauch’ war und mit den “Dichtern und Denkern” seiner Zeit (streitbaren) Umgang pflegte. Erinnerungen und Begegnungen – und doch nicht nur das.

Walter Mehring nimmt die Werke von Dante, Büchner, Balzac, Hegel, Fichte, Freud u.v.a. aus den Regalen der väterlichen Bibliothek und legt vor dem verblüfften Leser literarische Traditionslinien frei, streitet im Geiste des aufgeklärten Europäers, kommentiert als unbeugsamer Humanist. Dabei ist DIE VERLORENE BIBLIOTHEK kein Werk trocken philosophierender Gelehrsamkeit, sondern ein literarisch-kritisches Feuerwerk, das in seiner Anschaulichkeit, Lebendigkeit und Sprachgewalt in der – europäischen Literatur ohnegleichen ist.

MÜLLER. CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE und DIE VERLORENE BIBLIOTHEK. AUTOBIOGRAPHIE EINER KULTUR sind die ersten beiden Bände der Walter-Mehring-Werkausgabe im claassen-Verlag. 1979 wird von Walter Mehring als dritter Band der Werkausgabe das noch nicht veröffentlichte Buch, das er jetzt vollendet hat, “WIR MÜSSEN WEITER… Fragmente aus dem Exil” erscheinen. Die Werkausgabe wird herausgegeben von Christoph Buchwald.

Walter Mehring,
Lyriker, Essayist, Erzähler, Dramatiker, Film- und Funkautor und Übersetzer wurde am 29. April 1896 in Berlin geboren. Mehring gehört zu den Gründern des “Politischen Cabarets“ in Berlin und schrieb u.a. Texte für Max Reinhardts Kabarett “Schall und Rauch”. Seine von Tucholsky gerühmten Gedichte, Lieder und Chansons machten ihn früh berühmt und – verhaßt: viele seiner Bücher landeten am 10.Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen. Walter Mehring entging seiner Verhaftung durch die SA nur knapp, emigrierte, wurde 1939 in Frankreich interniert und entkam 1941 in die USA. Nach dem Kriege kehrte Walter Mehring nach Europa zurück. Er lebt heute zurückgezogen in Zürich.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als “Besprechungsunterlage” mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo
Die Nacht des Tyrannen

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Pressetext zur Werkausgabe – Die Nacht des Tyrannen

Die Nacht des Tyrannen (1983)

Die Nacht des Tyrannen (1983)

Walter Mehring
Die Nacht des Tyrannen – Roman -
Herausgegeben von Christoph Buchwald
144 Seiten, geb.,
DM 24,–, Sfr. 22,30, Ös 182,40,
ISBN 3-546-46455-9

Walter Mehrings Abrechnung mit der Diktatur

“Als Martinez Llalado das Gebäude des Präsidenten verließ, sprang ein jugendlicher, schlanker Mann in hellgrauem Sakko aus der Reihe der Neugierigen und gab einige Schüsse aus nächster Nähe auf ihn ab.”

So beginnt Mehrings Roman, der zuerst 1937 in der Schweiz veröffenlicht wurde. Llalado ist der Typ eines Führers, der die Problematik der Tyrannis “rein” verkörpert, unabhängig von allen zeitgenössischen Vorbildern. Er geht den Weg eines Außenseiters, der sich für die erlittenen Erniedrigungen rächt, indem er die unwissende Landbevölkerung gegen die Regierung, die Republik, die Zivilisation organisiert. Seine Gegner, die Sozialisten und die Republikaner konnten sich bislang nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen ihn einigen. Nun, in der Nacht nach dem Attentat, entscheidet sich das Schicksal der Demokratie.

“Die Nacht des Tyrannen” ist ein spannender, meisterhaft erzählter Roman, der nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Autor:
Walter Mehring, geboren 1896 in Berlin, gestorben 1981 in Zürich. Im Rahmen der Werkausgabe liegen bisher vor: “Müller – Chronik einer deutschen Sippe”, “Die verlorene Bibliothek”, “Die  höllische Komödie” , “Paris in Brand”, “Wir müssen weiter”, “Chronik der Lustbarkeiten”, “Staatenlos im Nirgendwo”, “Algier oder Die 13 Oasenwunder/Westnordwestviertelwest” und “Verrufene Malerei/Berlin DADA.

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Müller / Die verlorene Bibliothek
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo

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Derfflingerstraße 3 – Hier stand das Geburtshaus Walter Mehrings

Derfflingerstraße 3 in Berlin Tiergarten. Hier befand sich das Geburtshaus Walter Mehrings

Derfflingerstraße 3 in Berlin-Tiergarten lautete die Anschrift der Familie Mehring. Hier verbrachte Walter Mehring seine Kindheit. Und hier lebte seine Mutter bis zur Deportation. Allerdings ist das Haus zerstört worden. Der Eingang zur Derfflingerstraße 3 ist heute einer zu einem Mehrfamilienhaus aus der Nachkriegszeit. Nichts erinnert an Walter Mehring, Vater Sigmar Mehring oder Mutter Hedwig Stein; keine Gedenktafel, kein Stolperstein. Das gilt auch für Walter Mehrings Jugendfreund Paul Citroen, der Maler und Fotografen, der in der Derfflingerstraße 21 aufwuchs.

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Pressetext zur Werkausgabe – Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo

Walter Mehring
CHRONIK  DER LUSTBARKEITEN
Die Gedichte, Lieder und Chansons 1918-1933
536 Seiten, Pappband, claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, DM 38,–

STAATENLOS IM NIRGENDWO
Die Gedichte, Lieder und Chansons 1933-1974
276 Seiten, Pappband, claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, DM 28,–

Beide Bände zusammen in Kassette: DM 58,–

Walter Mehrings Hauptwerk, die Gedichte, Lieder und Chansons aus über 50 Jahren, verstreut publiziert in 15 Gedicht- und Auswahlbänden sowie in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften, erscheinen nun zum ersten Mal gesammelt.

Chronik der Lustbarkeiten (1981)

Chronik der Lustbarkeiten (1981)

Der erste Band, die CHRONIK DER LUSTBARKEITEN, enthält die Gedichte von 1918 bis 1933: von den ersten, in Herwarth Waldens “Sturm veröffentlichten expressionistischen “Verben-Kaskaden” bis zu der berühmt gewordenen “Sage vom großen Krebs”, die in der “Weltbühne” erschien, als Mehring bereits im Zug nach Paris saß und einem mehr als 20jährigen Exil entgegenfuhr. Viele dieser Gedichte, insbesondere die skandalträchtigen Dada-Verse und die politischen Satiren, sind später nie wieder gedruckt worden. Der Leser wird also Entdeckungen machen können und neben den “Schlagern” aus Mehrings ( beraus erflolgreicher) Kabarettzeit unbekannte (zum Teil in Buchform noch nie publizierte) Gedichte und Songs finden. Er wird feststellen, daß Mehring sehr viel mehr ist als der Kabarettdichter aus Max Reinhards (sic!) “Schall und Rauch” oder Trude Hesterbergs “Wilder Bühne”. Er wird einen Lyriker entdecken, der in seiner Poesie neue und auf verblüffende Weise moderne Ausdrucksformen gefunden hat. Mit welcher intuitiven Sicherheit er Litanei, Bänkelsang, Gassenhauer, Chanson, Couplet und Ballade auf ganz eigene, bisher nie dagewesene Weise verwendete, macht die CHRONIK DER LUSTBARKEITEN schlagend deutlich.

Mehrings Balladen und Chansons über die großen und kleinen Leute, über Polizeipräsidenten, Kaiser, Seeleute, Fememörder, Spießer und politische Rattenfänger enthalten “akkurat die krasse Wahrheit” (Max Herrmann-Neiße), und fast visionär nehmen viele vorweg, was 1933 politische Wirklichkeit werden sollte. Provozierend und sensibel trafen sie die Zeitstimmung, spiegeln eine ganze Epoche, und sind doch – heute wieder gelesen – viel mehr als Zeitgedichte: die “herrlich gereimten Lieder von einem in Deutschland fast nie gesehenen Wortreichtrum” (Tucholsky) gehören zum festen Bestand der Poesie dieses Jahrhunderts. Nicht nur Brecht hat von Mehring gelernt; Tucholsky schrieb in einer begeisterten Rezension: “unfaßbar die Technik, wie der Refrain an die Vorstrophe herangeflogen kommt – vom Himmel hoch, da kommt er her. (…) Grund genug, diese Chansons doppelt zu lieben.”

Staatenlos im Nirgendwo (1981)

Staatenlos im Nirgendwo (1981)

Die Gedichte des zweiten Versbandes, STAATENLOS IM NIRGENDWO, sind fast ausschließlich im Exil entstanden. Mit trotziger Melancholie und tönender Verzweiflung über “das bißchen Vaterland” und das, was im Reich passierte, schrieb Mehring Verse, die das Lebensgefühl der Exilierten paradigmatisch zum Ausdruck brachten. Die “Ode an Berlin”, “Die kleinen Hotels” oder der “Emigrantenchoral” gehören neben den schon im amerikanischen Exil berühmt gewordenen 12 “Briefen aus der Mitternacht” sicher zum besten, was zwischen 1933 und 1945 zu diesem Thema geschrieben wurde.

Auch im zweiten Band sind zahlreiche Gedichte, nach Hitlers Machtantritt in verschiedenen antifaschistischen Zeitschriften in Prag, Paris, Zürich, New York, Buenos Aires u.a. erschienen, zum ersten Mal in Buchform veröffentlicht. Zwei Gedichte, eines aus dem amerikanischen Exil und ein weiteres aus dem Jahre 1966, sind Erstveröffentlichungen.

Die CHRONIK DER LUSTBARKEITEN ebenso wie STAATENLOS IM NIRGENDWO enthalten Gedichtfassungen in endgültiger Textgestalt. Die Anmerkungen geben zu den einzelnen Gedichten bibliographische und inhaltliche Hinweise (Erstdruck, Überarbeitungen, zeitgeschichtliche Erläuterungen). Ein ausführliches Nachwort des Herausgebers zu jedem Band führt den Leser in Biographie und Werk Mehrings ein. Im Anhang sind jeweils zeitgenössische Kritiken zu den einzelnen Versbänden abgedruckt, u.a. von Kurt Tucholsky, Max Herrmann-Neiße, Joseph Roth, Hans Sahl, George Grosz u.v.a.

Grosz hat Mehring den “Villon von der Spree” genannt, andere haben ihn mit Heinrich Heine verglichen, und doch ist die vielschichtige, frappierend “heutige” Poesie Mehrings mit solchen Kategorisierungen kaum zu fassen. Der Leser hat nun zum ersten Mal die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen von diesem großen Dichter Walter Mehring, der sich als Satiriker radikal mit seiner Zeit auseinandergesetzt hat und mit seinem Werk doch weit über sie hinausweist – wie alle große Dichtung.

Walter Mehring
wurde am 29. April 1896 in Berlin geboren. Die ersten Gedichte veröffentlichte er 1918 in Herwarth Waldens “Sturm” und in verschiedenen Dada-
Zeitschriften. Seine Gedichte, Lieder und Chansons machten ihn früh berühmt und bald bei den Nationalsozialisten verhaßt. 1933 entging Mehring nur knapp seiner Verhaftung durch die SA, er emigrierte, wurde 1939 und 1940 in Frankreich interniert und entkam 1941 in die USA. Nach dem Kriege kehrte er nach Europa zurück. Heute lebt er in einem Pflegeheim in Zürich.

In der Walter-Mehring-Werkausgabe bei claassen sind erschienen: “Müller. Chronik einer deutschen Sippe”. Roman; “Die verlorene Bibliothek”. Autobiographie einer Kultur; “Wir müssen weiter”. Fragmente aus dem Exil; “Die höllische Komödie”, Drei Dramen; “Paris in Brand”. Roman; “Algier oder Die 13 Oasenwunder/Westnordwestviertelwest”. Zwei Novellen; Die Walter-Mehring-Werkausgabe wird herausgegeben
von Christoph Buchwald.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als “Besprechungsunterlage” mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Müller / Die verlorene Bibliothek
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Die Nacht des Tyrannen

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Pressetext zur Werkausgabe – Verrufene Malerei – Berlin DADA

Frühjahr 1983 – Claassen

Walter Mehring
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Erinnerungen eines Zeitgenossen
Herausgegeben und mit einem Nachwort
von Christoph Buchwald
336 Seiten, 26 Abb. sw., Pappband DM 38,–,
ÖS 288,80 – Sfrs 35,–
ISBN 3-546-46454-0

Walter Mehring über die Geburtsstunde der modernen Malerei in Paris und die DADA-Szene in Berlin

Verrufene Malerei - Berlin DADA

Verrufene Malerei – Berlin DADA

Was Walter Mehrings berühmt gewordene “Verlorene Bibliothek” für die Literatur ist, ist die “Verrufene Malere’” für die bildende Kunst: ein witziges, überaus kenntnisreiches Erinnerungsbuch über die “Geburtsstunde der modernen Malerei”,geschil ert von einem, der dabei war.

“Berlin DADA” dokumentiert den Wechsel Walter Mehrings vom Kreis um Herwath Waldens “Sturm” ins politisch-revolutionär sich gebärende Lager der Dadaisten.

Abgeschlossen wird dieser neunte Band der Werkausgabe durch ein erläuterndes, biographisches Nachwort , einen Aufsatz von George Grosz über den Maler Walter Mehring sowie zeitgenössische Rezensionen der beiden Bücher, die 1958 bzw. 1959 zum ersten Mal erschienen. Die Texte ten übereraschende Einblicke in eine revolutionäre Umbruchdekade der modernen Malerei und Literatur.

Autor:
Walter Mehring, geboren 1896 in Berlin, gestorben 1981 in Zürich, gehort zu den Gründern des “Politischen Kabaretts” in Berlin und schrieb u.a. Text für Max Reinhardts “Schall und Rauch”. Seine Gedichte, Lieder und Chansons machten ihn früh berühmt und – verhaßt:  viele seiner Bücher  wurden am 10. Mai 1933 verbrannt. Walter Mehring entging nur knapp Verhaftung durch die Gestapo, emigrierte, wurde 1939 und 1941 in Frankeich interniert und entkam 1941 in die USA. Nach dem Kriege kehrte er nach Europa zurück und lebte zurückgezogen in Zürich.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als “Besprechungsunterlage” mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Müller – Chronik einer deutschen Sippe / Die verlorene Bibliothek
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Müller / Die verlorene Bibliothek
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo
Die Nacht des Tyrannen

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Anthony Heilbut ist über “Die verlorene Bibliothek” erstaunt

Anthony Heilbut, der Sohn emigrierter deutscher Eltern, hat 1983 eine große Monografie über die Emigration in die USA vorgelegt. In ihr bespricht er auch “Die verlorene Bibliothek”. Zwar stimmen nicht alle Fakten. So war richard Huelsenbeck Herausgeber des Dada-Almanach von 1920. Er ist also nicht Walter Mehrings Buchm, auch wenn Mehring Texte beisteuerte. Dennoch ist der Auszug aus dem 480 Seiten starken Taschenbuch lesenswert, weil er den Blick auf Mehring nicht mit der rein deutschen Brille wirft. Un in einem Jahr, in dem “Die verlorene Bibliothek” neu im Elster-Verlag aufgelegt wurde, sind solche Fundstellen umso lesenswerter. (A.O.)

Den vielleicht wehmütigsten Abgesang auf die Emigrantenkultur stimmte unerwarteterweise Walter Mehring an. Im Unterschied zu den anderen Schriftstellern war er ein echter  Berliner, dort geboren und Sohn des Zeitungsverlegers Franz Mehring, der einst Rosa Luxemburg unterstützt hatte. Sein kulturelles Debüt hatte Walter Mehring im Alter von zweiundzwanzig ]ahren gegeben, als er zusammen mit seinem Freund George Grosz eine Dada-Matinee auf die Bühne brachte. Höhepunkt der Show war ein Wettrennen zwischen einer Nähmaschine und einer Schreibmaschine. Zwei Jahre später erschien, illustriert von George Grosz und verlegt von Wieland Herzfelde, sein Dada-Almanach von 1920. Mehrings Gedichte erinnern an Pop-Lyrik (“Berlin, dein Tänzer ist der Tod – Foxtrott und Jazz -”), und das Kabarett war ihr Forum. Als Berlins führender Kabarett-Dichter fand Mehring bald Eingang in die Kreise um Brecht, Grosz und Reinhardt. Lange vor der überschätzten, unausgegorenen Pop-Poesie der sechziger Jahre schuf Mehring etwas wirklich Neues, verflocht Töne und Bilder zu Rhythmen seiner Stadt – ein Foxtrott am Rande des Abgrunds.

Mehrings Talent war nicht nur, wie Grosz vermerkte, beseelt von François Villon und Heine, sondern auch von anderen, überraschend literarischen Vorbildern. Der französische  Vaganten-Dichter und der frankophile deutsche Jude waren in der Tat angemessene geistige Ahnen. Mehring selbst verbrachte die zwanziger Jahre zum großen Teil in Paris. Tucholsky pries ihn als den ersten, der Berlin so sehe, wie die Welt gewöhnt sei, Paris zu sehen. Anfang der dreißiger ]ahre wollten die Nazis ihn verhaften. Sie fanden ihn wie gewöhnlich in einem Café, doch Mehring gab vor, nicht er selbst zu sein, entkam seinen Häschern und kehrte nach Paris zurück. Dort verlebte er die dreißiger jahre inmitten seiner Mitexilanten, und der Galgenhumor, mit dem er sie unterhielt, ließ auch den alten Berliner Kabarett-Geist  überleben. Während dieser Zeit entfremdete er sich zunehmend seinen marxistischen Freunden, die ihre Ideologie je nach Weisung Moskaus änderten. Der loyale Kommunist
Wieland Herzfelde hat Mehring die Abwendung von der Sowjetunion nie verziehen und warf ihm vor, deren Krieg mit Finnland (1939) ganz einfach mißverstanden zu haben. In einem Brief, den er Mehring zum fünfzigsten Geburtstag schrieb, nannte er ihn einen “bastard”.

Aus Frankreich entkam Mehring über Marseille und erreichte 1941 die USA. Er verbrachte die übliche unerfreuliehe Zeit in Hollywood und ging dann nach New York, wo auch seine alte Freundin Hertha Pauli und ehemalige Dadaisten-Kollegen wie Huelsenbeck, Grosz und Herzfelde lebten. 1944 erschien eine Sammlung seiner Gedichte, illustriert von George Grosz und übersetzt von einem linken amerikanischen Freund Erwin Piscators.  Vorübergehend arbeitete Mehring auch für die Propaganda-Abteilung des Office of Strategic Service und brachte sich später als Arbeiter in einer Fabrik auf Long Island durch.

1951 veröffentlichte er The Lost Library: Autobiography of a Culture, das er zum Teil auf der Tabakfarm eines Pazifisten und Jazzmusikers in New England geschrieben hatte. Wer hätte solch ein Buch von ihm erwartet? Mehring gedenkt der Berliner Bibliothek seines Vaters und bekennt sich damit zu der gelehrten humanistischen Tradition, der er  entstammte und die er mit seinem eigenen populären Stil einst schmähte. Aber irgendwie brachte die amerikanische Umgebung eine Annäherung zwischen Vater und Sohn, hoher Kultur und Kabarett. Mehring beschwört die Tradition mit jenem echten Berliner Ton, keck, dicht und sehr smart. Wenn er will, weiß er mit literarischer Mimesis so sorgsam umzugehen wie Erich Auerbach. Doch öfter noch ist er von ganz erdgebundener Respektlosigkeit: Marx ist ein unlesbarer alter Langeweiler, Nietzsche und Schopenhauer hat die Syphilis den Verstand geraubt. Mit Melancholie hat er als typischer Emigrant nichts im Sinn. Gegen den Kummer über die verlorene Bibliothek empfiehlt er gute Laune und guten Sex, nicht ein besseres Buch, sondern einen besseren Orgasmus.

Doch trotz seines smarten Tons ist es kein glückliches Buch, und am traurigsten ist es da, wo Mehring in literarischen Schätzen schwelgt und zugleich erkennt, wie nichtig und ohne Wert sie in der gegenwärtigen Zeit waren. Als Kabarettdichter und -komponist verstand Mehring sich auf sprachliche Rhythmen. Er sah, daß sich eine Veränderung der Wirklichkeit in der Grammatik widerspiegeln kann, noch bevor die Betroffenen sie wahrnehmen. Sprache vermag nicht viel, aber sie kann den Leser auf das vorbereiten, was in der Zukunft auf ihn wartet. Davon war Mehring überzeugt, und darum nahm er auch gegen Gide Partei für Proust. Gide hatte dem Iüngeren “willkürliche Behandlung der Zeiten” und “verschwenderischen Mißbrauch des Subjunctivs” vorgeworfen. Gide, so Mehring, sah nicht, daß Proust der Grammatik und der Syntax von Weissagung und prophetischen Träumen folgte und daß sein Subjunctiv der “Subjunctiv des Zweifels” war. Dieser letzte glänzende Gedanke ist nicht nur gültig für die Ereignisse in Prousts Roman, er trifft auch das Emigrantenleben, denn im Bewußtsein vergangenen Verrats und Betrugs – “der Korruption aller Bindungen” – weckte jeder erfüllte Wunsch Argwohn. Der Subjunctiv des Zweifels mißbilligte sehnendes Verlangen und gestattete eine schützende Distanz zu der inneren Gewißheit, daß unsere Hoffnungen entweder banal oder zum Scheitern verurteilt sind.

Die Bibliothek ist verloren. Die Weisheit, die sie enthielt, ist verstreut in Zeit und Raum, unendlich weit entfernt von einer New-England-Farm des Jahres 1950. “All diese Dinge existieren nur noch im Plusquamperfekt oder in einem passé defini”: Die Angelegenheit hat ihre grammatische Form gefunden und ist damit erledigt. Kundig zu lesen sei des Emigranten größtes Talent, schreibt Mehring, doch gibt er zu, daß die Besinnung auf Vergangenes ein müßiges Unterfangen sei, obwohl doch sein Buch beweist, daß es gerade jene Besinnung war, die den Emigranten half, durchzuhalten. Was bleibt? Was hat noch Sinn? Politisches  Engagement jedenlalls nicht, wenn es nach Mehring geht. Am besten ist es noch, nach “Korrektur seiner selbst” zu streben: ein Rückzug oder Ausweg, der nicht weniger in die Enge führt als der Weg von Berlin auf eine Tabakfarm. Das Nächstbeste ist die Fähigkeit, andere zu unterhalten. In einer letzten Berliner Posse verrät man seine ernsthafte Seite und zieht sich auf die Komödie zurück. Einen Galgenhumoristen hängt man nicht: Die Emigration hat ihn gelehrt, daß es sich auszahlt, sein lnnerstes zu verbergen.

(Anthony Heilbut: Kultur ohne Heimat – Deutsche Emigranten in den USA nach 1930; Reinbek: rororo 1991; S. 281-283).

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Willy Haas erinnert sich an die Piscator Bühne

Sein eigenes Theater war einige Jahre hindurch ein Berliner Ereignis allerersten Ranges: unvergeßlich – aber auf eine seltsam kühle Art unvergeßlich. Die Desillusionsbühne – ein
kompliziertes Eisengerüst mit Vorsprüngen, Vorhängen, ausgesparten Räumen, Rampen, Gängen, Wendeltreppen – hatte er wohl von den frühen Theatermeistern des russischen „Proletkults“, Meyerhold, Tairoff und anderen übernommen. Was er damit anfing, war manchmal großartig. Ich erinnere mich an „Rasputin“ von Alexeij K. Tolstoj, an ein Drama von Leo Lanja, an Walter Mehrings „Kaufmann von Berlin , vor allem an Tollers „Hoppla – wir leben!“, die penetrante Satire auf die Politiker der Weimarer Republiksverfassung Politiker. Piscator spielte im Grunde auf einem Jahrmarktsgerüst wie es Goethe vom echten Theaterleiter verlangt hatte. Aber er setzte mit seiner Riesenmaschinerie das Firmament, Sonne, Mond und Sterne, Erde und zuletzt den Höllenschlund in Bewegung, er arbeitete mit mehreren Drehscheiben, mit versenkbarer Bühne,Wandelgürtel, Film, Scheinwerfern, Geräuschmusik . . . er ging auf die Nerven los, er hatte ein großartiges, unbesiegliches Bühnentemperament. In einer Vorstellung wie etwa „Rasputin“ begann er gleichsam mit der Schöpfung der Welt und des Klassenkampfes, dann kam Karl Marx, der Zar, Rasputin, Lenin, die Diktatur des Proletariats, die klassenlose Welt . . . es war eine abgekürzte Schulfibel der marxistischen Weltgeschichte.

Aber es war ungemein interessant. Es war trotz allem dramatisch, theatralisch, zuweilen ganz hinreißend. Die Blütezeit Piscators dauerte nicht lange – nur ein paar Jahre. Es kam dann das völlig abstrakte „Lehrstück“ Bert Brechts, das ganz primitive, naturalistische Thesendrama Friedrich Wolfs. Sie wurden von den Partei-Orthodoxen der KPD vorgezogen, nicht Piscators revuehafte Riesenpropaganda-Schau.

(Willy Haas: DIE LITERARISCHE WELT – ERINNERUNGEN; München: PAUL LIST VERLAG, 1957; S. 145f.)

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Hans Baumgartner macht auf “Die verlorene Bibliothek” aufmerksam

Der Elster Verlag gibt einen Newsletter heraus, in dem Besprechungen zu den von ihm verlgten Bücher an Abonnenten geschickt werden. Die kleine Zeitschrift im PDF-Format heißt “Lesezeichen”. In der Ausgabe III/2013 hat Hans Baumgartner einen Text über Mehring und “Die verlorene Bibliothek” erschienen:

Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek
Aus der Zeit gefallen

"Die verlorene Bibliothek" aus dem Elster Verlag

“Die verlorene Bibliothek” aus dem Elster Verlag

Achtzig Jahre nach den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen wird «Die verlorene Bibliothek» von Walter Mehring (1896-1981) neu aufgelegt – es ist die intellektuelle
Antwort auf die große Barbarei.

Von Tag zu Tag saß er im Pfauen und bestellte sein Einerli Weißen, so wie Heiri Gretler am  runden Tisch in der Ecke seinen Roten, aber meist allein, und immer mit Notizheft, am  Schreiben. Seit seiner Rückkehr aus den Staaten lebte er wieder in den kleinen Hotels, ab den 70iger-Jahren meist in Zürich, im Florhof, Urban, Opera, manchmal in Ascona, nur  selten in Deutschland, wo ihm in München sein 800 Seiten Manuskript «Die verbrannten Dichter», vielleicht sein Lebenswerk, abhanden kam. In Zürich traf nur ein fremder schwarzer Koffer ein.

Immer hatte er gerade noch flüchten können, nicht ohne List aus drei Lagern, und in Berlin gewarnt nur wenige Tage vor dem Reichtagsbrand (1933), in Wien nach dem Anschluss (1938) mit dem Zug über die Schweiz nach Paris, in Marseille Dank Varian Fry mit dem letzten Schiff, der Wyoming, nach Martinique (1941). Bei Metro Goldwin Mayer hatte er wie andere Emigranten einen einjährigen Scheinvertrag, nur schreiben sollte er nicht. Und er fand dort auch kein Publikum, so wie Heinrich Mann.

Ganz anders war das in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik gewesen. Der Name Walter Mehring war bekannt, war geschätzt von den einen und gehasst von denen, die als dunkle Macht des Grauens Deutschland in den Griff bekommen sollten. Mehring traf mit seiner messerscharfen Lyrik den Rhythmus der Zeit. Er war einer der wichtigsten Exponenten der Dada-Bewegung in Berlin. Kurt Tucholsky nannte ihn «unser aller Meister». Als Texter des Kabaretts «Schall und Rauch» von Max Reinhardt machte er das, was man Furore nennt. Von 1921 bis 1928 lebt er als Korrespondent in Paris. 1929 kam es zum Skandal, als an der Volksbühne sein Stück «Der Kaufmann von Berlin» aufgeführt wurde. Draußen marschierte die SA auf und drinnen sorgten die Nazis gewaltsam für Tumult. In der Berliner Tageszeitung «Der Angriff» forderte Joseph Goebbels 1933 mit großen Lettern «An den Galgen» Mehrings Liquidation. Sein letzter Beitrag für die «Weltbühne» von Carl von Ossietzky, «Die Sage vom bösen Krebs», einen Tag vor dem Reichstagsbrand erschienen, bedeutet auch deren Ende.

«Halte mich, ]unge», starb 1918 der Vater beim Vorlesen, Kants «Kritik der reinen Vernunft» in der Hand. Sigmar Mehring hinterließ seinem Sohn eine umfangreiche Bibliothek «aus Tausenden von Bänden, jeder ein Anathema seiner weißen  Aufklärungsmagie, kraft der er, der fortschrittsgläubige Atheist, sich gegen die Rückfälle ins Werwolftum gefeit geglaubt hatte». Der Sohn konnte sie noch teilweise nach Wien hinüberretten, wo sie aber bei einer Hausdurchsuchung von der SA innert weniger Stunden zerstört wurde. Im Exil in den USA begann Mehring sein großartiges Kopfprojekt, den Wiederaufbau der väterlichen Bibliothek im Geiste und deren Umformung zum Buch. Der amerikanische Verleger setzte 1951 den treffenden Untertitel unter «The Lost Library»; das Buch steht ohne jede Übertreibung für die meisterhafte «Autobiografie einer Kultur».

Zwischen allen Stühlen Die Rückkehr nach Europa 1953 war schwierig. Auf Mehring, den scharfen Formulierer und Neunmalklugen, hatte in der deutschen Aufbruchsstimmung niemand gewartet. Der Gruppe 47 waren die eigenen Kriegserlebnisse genug, weiter  zurückblicken wollte man nicht. Dem Wunsch, vom Nullpunkt auszugehen, stand das erlebte Wissen Mehrings diametral entgegen. Manche griffen auch zu absurden Vorwürfen, unterstellten ihm einen «vulgären Antikommunismus», um ihn auszugrenzen. Mehring hatte eine direkte Linie von Karl Marx zu den Nationalsozialisten und weiter zur RAF gezogen, mit wie immer überzeugendem Scharfsinn. «Egozentrische Eitelkeit» war ihm eigen, war Teil seines künstlerischen Antriebs, aber auch seines Schmerzes als vereinsamter Staatenloser. Auch die «Weltwochen» klagte er in einem Brief an François Bondy, wolle vom Plädoyer seiner lyrischen Weltanschauung, von ihm vorgetragen im Theater am Neumarkt, nichts berichten.

Es gab Ausnahmen. In der kriegsverschonten Schweiz war es ein Geistesverwandter, der sich zweifach angesprochen fühlte: «Er (Mehring) war ein leidenschaftlicher Antiideologe, ein großer Lyriker.» Friedrich Dürrenmatt arbeitete am Zürcher Schauspielhaus, und traf dort im Pfauen öfters auf Mehring, lud ihn auch zu sich nach Hause ein, wo er ihn malte, wie ihn zuvor seine Freunde George Grosz und Robert Delaunay portraitiert hatten, Dürrenmatt wusste gut um die Befindlichkeiten Mehrings: «Sein größter Wunsch war es, wieder gelesen zu werden, nur kein Operettenkomiker aus der Mottenkiste wollte er sein. Man hat ihn aufs Chanson, aufs Kabarett geschoben, das Lyrische nicht ernst genommen».

Dürrenmatt leistete auch für «Die verlorene Bibliothek» Fürsprache: «Sein wichtigstes Buch, ein poetisches grandioses Durcheinander, ein unentwirrbarer Knäuel von Vergangenheit.» Die Wirkung dieser und anderer Fürsprecher war begrenzt. Mehring lebte und lebte, machte es niemandem und nichts einfach, weigerte sich zurück nach Deutschland zu gehen, den deutschen Pass anzunehmen. Dabei war er stets freundlich im Umgang, ja bescheiden im Auftreten, nur – die Kant`sche Schule vielleicht – kategorisch im Urteil. Maja Beutler traf ihn für ein Radioportrait kurz vor seinem Ableben 1981 in Zürich – ein bewegendes Tondokument entstand und ein bitteres Fazit der Schriftstellerin blieb: «Unsere Zeit hat ihn vergessen, bevor er gestorben war.» Aber das Werk lebt. Wer als Leser einraucht in dieses literarische Panoptikum, der kann sich verlieren in der Fülle der Informationen, der Geistesblitze, der bestechenden Formulierungen. Kein leichtverdauliches, aber ein geistig nahrhaftes Gericht. Die Bibliothek als Schutzwall, so verstand der Sohn das Legat seines Vaters, niedergerissen von den Werwölfen, literarisch wieder aufgerichtet.

Hans Baumgartner

Walter Mehring
Die verlorene Bibbliothek – Autobiografie einer Kultur
Mit einem Nachwort von Martin Dreyfus
336 Seiten, gebunden, Fr, 39.80 I Euro (D) 24.80
ISBN: 978-3-906065-02-1
Erscheint April 2013

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Orte einst und jetzt (3): Derfflingerstraße in Berlin Tiergarten

Derfflingerstraße, von der Kurfürstenstraße aus gesehen (Aufnahme wahrscheinlich vor 1918) ; Quelle: www.luise-berlin.de

Derfflingerstraße, von der Kurfürstenstraße aus gesehen (Aufnahme wahrscheinlich vor 1918) ; Quelle: www.luise-berlin.de

Hier in Berlin Tiergarten in der Derfflingerstraße ist Walter Mehring aufgewachsen. In der gleichen Straße wie Erwin Blumenfeld und Paul Citroën, mit dem er stets in Kontakt blieb. Allerdings zeigt diese Ansicht die Straße von Süden, also von der Kurfürstenstraße. Die Familie Sigmar, Hedwig und Walter Mehring wohnte aber im nördlichen Teil. In der Derfflingerstraße hatte Bruno Cassierer seinen Verlag, hier war das Französische Gymnasium, eine bekannte Privatklinik und die Häuser zeugten von einer besseren Wohngegend.

Derfflingerstraße in Berlin von der Kurfürstenstraße im Jahr 2013

Derfflingerstraße in Berlin von der Kurfürstenstraße im Jahr 2013

Mehr Orte einst und jetzt:
Königliches Wilhelms-Gymnasium – Sony-Center
Café Herrenhof in Wien

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Johannes R. Becher berichtet von seinem Paris-Aufenthalt im Exil

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten flohen viele Politiker, Intelektuelle, Künstler ins Exil. Unter ihnen waren viele Kommunisten, Sozialdemokraten und viele politisch unabhängige, aber in klarer Opposition zu den Nazis befindliche Menschen wie Walter Mehring. Der Schriftsteller und Kommunist Johannes R. Becher will wie viele andere zunächsteine Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten mitschmieden. Von der Komintern in Moskau erhält er den Auftrag, eine literarische Einheitsfront zu formen. Dafür reist er viel und hält sich sehr lange in Paris auf. Im folgenden Textauszug erinnert sich Johannes R. Becher daran. Der Text zeigt auch, was der Komintern und den Kommunisten 1935/1935 wichtig war. Unter anderem berichtet Becher auch, dass er sich mit Walter Mehring getroffen hat. Der Text zeigt exemplarisch wie eingeschränkt die Offenheit der Kommunisten für Andersdenkende war. (A.O.)

Besonders in Paris macht es sich bemerkbar, daß meine Reise gerade in die Monate fiel, wo besonders die prominenten Schriftsteller verreist waren. Auch von unseren Genossen waren im Anfang nur wenige in Paris anwesend, so daß ich längere Zeit mit Warten verbringen mußte.

Viele von den Genossen (Seghers, Schönstedt, Toni, Kantorowicz etc.) sind meistens mit einigen Funktionen belastet, so daß ihr Einsatz für den Bund und für den Schutzverband Deutscher Schriftsteller verhältnismäßig gering ist. Die meisten Genossen waren an der Herstellung des „Braunbuchs” beteiligt und somit die letzten Monate besonders stark in Anspruch genommen. Sowohl in der Arbeit des Bundes wie in der Arbeit des Schutzverbandes war während der Sommermonate eine vollkommene Pause eingetreten. Die Stärke der Mitglieder des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller betrug ca. 30 Genossen, die des Schutzverbancles ungefähr 150 Kollegen. Nach einer kurzen Vorbesprechung mit der Fraktionsleitung beschlossen wir, eine mehrtägige Konferenz über die wichtigsten Fragen abzuhalten. In dieser Konferenz wurden die wichtigsten praktischen, ideologischen und organisatorischen Fragen durchgesprochen. Es zeigte sich eine ziemlich bedeutende Ungleichheit in der Entwicklung der verschiedenen Genossen. Genossen, die in Deutschland keine Beziehung zum Bunde hatten, sind heute im Bunde und müssen innerhalb der kurzen Zeit und dazu in der Emigration, losgelöst von der direkten Beziehung zur Arbeiterbewegung, all die literarisch-theoretischen Erkenntnisse nachholen, die die Organisierten, das heißt andere Genossen, innerhalb von vielen Iahren sich errungen hatten. Wir beschlossen daher, sofort zwei Arbeitsgemeinschaften einzurichten, und zwar eine über literaturtheoretische Probleme, in der ganz besonders auch die Geschichte des Bundes und seiner literaturtheoretischen Entwicklung, insbesondere die Frage des Trotzkismus in der Literatur, systematisch behandelt werden soll. In der zweiten Arbeitsgemeinschaft, unter der Leitung des Genossen Weinert, sollen besonders die neuen Formen praktiziert Werden. In einer Besprechung ınit dem Vertreter der deutschen Partei äußerte auch dieser den Wunsch, daß die Ortsgruppe Paris gerade in dieser Richtung der deutschen Partei behilflich sein sollte.

(…)

Unsere Genossen belieferten in Paris insbesondere auch zwei Zeitschriften: „Die Aktion” und die „Blauen Hefte”. Die Mitarbeiten an der „Aktion“ werden in letzter Zeit eingestellt, nachdem sie ganz offen französisch-imperialistische Interessen vertritt, und die Mitarbeiten an den „Blauen Heften” erscheinen ebenfalls zweifelhaft, um so mehr, als ihr Redakteur ein gewisser Ullmann – Pseudonym für Lherman – ist, ein sowohl in Deutschland wie in Österreich wegen Betrugs vorbestraftes Subjekt, und da auch hier die Gefahr besteht, daß die Geldquellen aus der französischen Regierung nahestehenden Kreisen stammen. Im übrigen stellen die „Blauen Hefte” ein buntes Mischmasch klar von parteifeindlichen Beiträgen und Beiträgen unserer eigenen Schriftsteller, von zionistischen Apologien usw. usw. – Wie tief teilweise das theoretische Niveau unserer in Paris lebenden Schriftsteller steht, zeigt ein Beitrag von Kantorowicz in der früheren „Aktion”, wo er von dem „freien und glücklichen Land, das Frankreich ist”, spricht und vorschlägt, die deutschen Emigranten sollten von Französischen Familien eingeladen werden, um auf diese Weise die beiden besten Vertreter der deutschen und französischen Kultur miteinander zu verschmelzen. Die theoretische Unklarheit kommt ebenfalls in dem Kulturteil des „Braunbuchs” zum Ausdruck, wo ziemlich unterschiedslos alle verbrannten und verbannten Schriftsteller behandelt werden.

Durch meine vorzeitige Abreise von Paris konnte ich leider den Zeitschriftenplan nicht mehr verwirklichen. Zu gleicher Zeit besprachen die Parteivertreter mit mir den Plan einer großen repräsentativen Tageszeitung, an der die Schriftsteller mit größter Intensität mitarbeiten könnten. Ich wies ihnen gegenüber hin auf die Notwendigkeit eines Feuilletons, was prinzipiell zugesagt wurde. In den Gesprächen mit dem Genossen Biha entwickelte dieser den Plan einer besonders für Deutschland bestimmten Kulturzeitschrift, so daß auch hier eine Möglichkeit fiir das Eingreifen der Schriftsteller vorhanden ist. Ganz besonders wichtig war in der Konferenz die eingehende Aussprache darüber, wieweit die in der Emigration lebenden Schriftsteller der deutschen Arbeiterbewegung zu Hilfe kommen könnten. Es wurde von mehreren Seiten betont, daß in Deutschland eine starke Stimmung gegen die emigrierten Schriftsteller vorhanden sei und daß man diese Stimmung auch dadurch liquidieren müsse, daß man von außen her Arbeiten für Deutschland liefere. Eine Anzahl solcher Projekte, illegale Kleinbüchlein usw., in der Emigration herzustellen, wurde besprochen und sollte in der Arbeitsgemeinschaft des Genossen Weinert systematisch weitergeführt werden. (…)  Besonders Genosse Kantorowicz möchte diese Zeit benutzen, um seine mangelnden theoretischen Fähigkeiten aufzufüllen. Mit Plivier und Walter Mehring hatten Genosse Kisch und ich längere Aussprachen, deren Ergebnis befriedigend war. Beide erklärten, sowohl an den „Neuen Deutschen Blättern” wie auch an der IL mitarbeiten zu wollen und andere Schriftsteller in weitestem Maße dafür zu interessieren. Plivier gab mir für die IL einen größeren Beitrag mit (…).

Ich sprach ferner noch mit einigen linksbürgerlichen Schriftstellern. Bei ihnen allen fand ich zwar eine Bereitschaft, mit uns zu arbeiten, aber gleichzeitig auch eine gewisse Furcht, in der Emigration hervorzutreten, aus Angst, ausgewiesen zu werden, oder aber, weil sie noch bestimmte Verbindungen mit Deutschland nicht preisgeben möchten.

(…)

Was die Emigrationsstimmung der Pariser Gruppe betrifft, so muß zunächst festgestellt werden, daß die Leitung der Parteifraktion außerordentlich schwach ist, daß man, wie mir mitgeteilt wurde, in der Parteifraktion darüber diskutiert: war der Volksentscheid richtig oder nicht, und daß verschiedene Fragen unserer Genossen unbeantwortet blieben. Wenn man bedenkt, daß die einzige in breiter Öffentlichkeit geführte Polemik gegen den Trotzkismus im „Gegen-Angriff” vom Genossen Frei gegen Schlamm geführt wurde, so muß man feststellen, daß diese Arbeit der Polemik absolut ungenügend war. Überhaupt macht sich die Tendenz, wie ich auch später in Prag feststellte, bemerkbar, daß die große Emigrationspanik sich sublimiert und jetzt in der Form trotzkistischer Fragestellung usw. auftritt, so daß man zunächst, wenn man noch die grobe Emigrationspanik in Erinnerung hat, sehr leicht geneigt ist anzunehmen, die Emigrationsstimmung sei völlig überwunden.”

(Johannes R. Becher: Publizistik I – 1912 – 1938; Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1977 (i. e.: Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Bd. 15); s. 393 ff.

 

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