Ludwig Tieck – Franz Sternbald

(Vorwort zur „Liebhaberbibliothek“ der Edition Neue Moderne, die 2008 vorläufig auf Eis gelegt wurde, weil sie ein anderen Verlag übernehmen wird. Das Projekt wurde bereits für 2010 oder 2011 inauguriert. Alle Bände werden von mir bevorwortet sein.)

Mit Franz Sternbald legte Tieck den frühen romantischen Roman vor, der bereits alle von der frühromantischen Poetik geforderten Merkamle aufweist. Zunächst ist er fragmentarisch angelegt, montiert einzelne Teile in einem arabesk angelegten Stil ineinander und vermischt die Gattungen. Ebenfalls ist das durchgängige Erscheinungsbild des romantischen Romans, nämlich die geschichtsphilosophische, ästhetiktheoretische und poetologischen Passagenvielfalt hierin bereits vertreten, so daß Friedrich Schlegel freudig mizuteilen weiß, daß der Sternbald nach dem Don Quixote als erster romantischer Roman zu betrachten sei und noch über Goethes Wilhelm Meister stehe – jenem Roman, an dem sich seinerzeit alles rieb und der nach anfänglichen Enthusiasmus einhellig als „albern“ und „unpoetisch“ abgekanzelt wurde.
Für die frühromantischen Romane ergibt sich in thematischer Hinsicht eine Dominanz des Bildungs- und Entwicklungsmotivs, das entweder an Goethes Meister anknüpfte oder sich davon abzusetzen trachtete. Die Komplexe Liebe, Künstlertum, Gesellschaft und Geschichte bekamen einen überragenden Platz zugewiesen. In der Romantik wurde der Künstler als einzig legitimer Held des Bildungsromans bestimmt, somit der Künstlerroman definiert. Ziel war es, die künstlerische Sonderstellung gegenüber Gesellschaft und Wirklichkeit auszuprägen und somit die Kunst gegenüber den Zumutungen der philiströsen Welt abzudichten. Ludwig Tieck machte hierzu den ersten entscheidenden Schritt, noch bevor Novalis den Griffel fasste und seinen Ofterdingen papierte. Die Struktur der Reise – neben der Liebe das Kernthema der Romantik schlechthin, berücksichtigt die psychologische Komponente der nach innen gerichteten Schau derart, daß sie die verdrängten und vergessenen Schichten geradezu aufreißen will. So ist die Reise stets auch ein Weg hin zum eigenen Selbst, die oberflächlichen Ortsveränderungen nur begleitendes Thema.

Michael Perkampus, Zürich 2008

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.