Scherbenhaftigkeit
Scherben sind mir interessante Artefakte. Ein irdener Krug in Scherben bedeutet, dass es einst einen irdenen Krug gab. Der Krug, der also (und es bleibt eine fröhliche Vermutung) in seiner stolzen Intaktheit Flüssigkeiten transportierte (oder Wetterfrösche) ist heute nur in seiner Scherbenhaftigkeit akzeptabel. Das hat einen einfachen Grund: als antikes Gefäß bestünde er in seiner Hauptache nur noch aus einem Kapital- und Sammlerwert, seine eigentliche Existenz wäre nur eine Geschichte, die diesen Wert untermalen soll. Die Scherbe, bei der es natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass sie sich ebenfalls in einer schmucken Vitrine wiederfindet, ist das wirkliche Prunkstück. Fänden wir stets nur eine intakte Vergangenheit vor, fänden wir überhaupt je ein Ganzes, wären wir doch ein erhebliches Stück weit unserer Fabulierkunst beraubt.
Ich entdecke, dass viele Szenen unmöglich zusammengeschlossen werden dürfen. Die Wiederkehr der Symbole bestätigt die Unerschöpflichkeit zu findender Scherben. Da ich nun Texte aus drei Jahrzehnten bearbeite, geht es nicht mehr um Sinn- sondern Energieeinheiten. Für mich haben nur Texte Belang, die an einem Stück geschrieben werden. Oh, ein guter Text ist wie konzentrierter Urin.
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