Synonyma gibt es nicht

Eine ziemlich alte kleine Geschichte: Ein unfähiger Botschafter kommt zu seinem Vorgesetzten zurück. Der Botschafter entschuldigt sich: “Ja, die deutsche Sprache ist so schwer, immer bedeuten zwei Wörter das gleiche: speisen und essen, springen und hüpfen, schlagen und hauen, senden und schicken.”
Darauf der Chef: “Das stimmt nicht. Eine Volksmenge kann man speisen, aber nicht essen, eine Tasse springt, aber sie hüpft nicht, die Uhr kann schlagen, aber nicht hauen, und Sie sind ein Gesandter, aber kein geschickter.”

Aus: Franz Dornseiff. Der Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen

Es ist nach wie vor klar, daß der Autor von Rang sein Exemplar des Dornseiff in Ehren hält. Wie wenig solch genannte Autoren es derzeit gibt, wird ein Blick in die Bibliothek des betreffenden offenbaren. Es soll sogar kalauernde Schreiberchen geben, die gar nicht mit einem Lexikon hantieren – und, was noch schlimmer wiegt, jene, die sich auf die Recherche im www verlassen, was dann zu komischen, meist aber traurigen Ergebnissen führt.
Es gilt aber nach wie vor, was Peter Hacks schrieb: “Zwei Schriftsteller, die sich zusammentäten, hätten zwei Zimmer, zwei Schreibtische und den Dornseiff doppelt.”

Natürlich gibt es noch andere Nachschlagwerke, die nicht weniger unerlässlich sind für den, der an und mit der Deutschen Sprache arbeitet und nicht nur primitive Unterhaltung anbietet. Wehrle-Eggers: Deutscher Wortschatz, selbstverständlich, oder das Wörterbuch der Deutschen Sprache, mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart (1965) von Dr. Daniel Sanders. Aber von all diesen ist der Dornseiff der unabkömmlichste. Arno Schmidt hat nicht lange mit diesem trefflichen Buch gearbeitet, er bevorzugte den Wehrle-Eggers. Thomas Mann hat ihn hingegen sehr geschätzt.

Bekanntlich gibt es keine Synonyma in dem Sinn, daß in derselben Sprachgemeinschaft für einen Begriff mehrere miteinander vertauschbare Wörter zur Verfügung ständen. Der weitverbreitete, heute schon Konsens gewordene Irrtum, es gäbe Synonyma, führt an vielem vorbei, das für die Trefflichkeit aber verantworlich ist. Die Sprache wird zunehmend von jeglichen Komplikationen des Denkens gereinigt, sie leistet heute nicht mehr viel. Der Riesenorganismus unserer ausgewachsenen Kultursprache krankt. Die geforderte “Einfachheit” ist hierzulande nichts anderes als Denkschwäche. Denn Sprachschwäche ist Denkschwäche.
Ich erinnere mich, daß ich, bevor ich mich mit vollem Wahnsinn der Literatur ergab, ich Lexika las, Kataloge, Listen und Verzeichnisse. Das stand ganz im Kontrast zu meiner sonstigen Abneigung gegen Listen und Aufzählungen. Das Faszinosum lag aber daran, nur ein einziges Wort als den Stimulus zuzulassen, der schlußendlich zu allem führt. In den wirren Zeiten, die wir heute zu ertragen haben, ist die Wikipedia das unsäglichste Instrument, das – völlig unbeabsichtig, wie ich meine – zur Verblödung unserer breiten Bevölkerungsschicht mehr beiträgt als die tägliche Berieselung durch die Glotzkiste. Denn jeder sieht hinein und denkt, jetzt wüßte er was. Aber alles Wissen liegt ausschließlich im Wort, das jegliche Existenz begründet – und sogar das, was man sich nicht mehr denken kann.

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.