Glarean Magazin

Em. Lasker: «Der internationale Schachkongress St. Petersburg 1909»

Posted in Buch-Rezension, Emanuel Lasker, Rezensionen, Schach, Schach-Rezension by Walter Eigenmann on 28. April 2009

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Bedeutende Kommentierung eines bedeutenden Turniers

Walter Eigenmann

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lasker-schach-stpetersburg_coverDie Historie der Schach-Literatur hat, wie jede künstlerische oder zumindest kulturelle Ausprägung, ihre zahlreichen unverzichtbaren Glanzpunkte – Eckpfeiler einer jahrhundertelangen geistesgeschichtlichen Entwicklung. Dazu gehören u.v.a. die Schach-Monographien der ganz Großen, aber auch deren Tunier- bzw. Partien-Bücher – von Steinitz’ «The book of the Sixth American Chess Congress» (1891) bis zu Aljechins «New York 1924», von Botwinniks «Half a century of chess» (1984) bis zu Fischers «Meine 60 denkwürdigen Partien», und von Euwes «Amateur-Meister»-Bänden bis zu Kasparows «Meine großen Vorkämpfer». Ein weiterer (vieljähriger) Schach-Weltmeister mit produktiver Feder war der Deutsche Emanuel Lasker; sein berühmtes Turnierbuch «Der internationale Schachkongress zu St. Petersburg 1909» wird nun in der «Tschaturanga»-Reihe der Schweizer Edition Olms als Reprint der vor 100 Jahren in Berlin erschienen Originalausgabe neu aufgelegt.
Das «Petersburger» 1909 zählt in der weltweiten Turnier-Geschichte zu den bedeutendsten Schach-Anlässen überhaupt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am Start war (bis auf Tarrasch und Marshall) praktisch die gesamte Crème de la Crème des damaligen Spitzenschachs: Neben Lasker kreuzten u.a. Akiba Rubinstein, Rudolf Spielmann, Oldrich Duras, Richard Teichmann, Ossip Bernstein, Carl Schlechter, Savielly Tartakower, Milan Vidmar, Amos Burn und Jacques Mieses ihre Klingen. (Der damals 16 Jahre junge Aljechin war noch nicht reif fürs internationale Meister-Podium, gewann aber sensationell das zeitgleiche «Allrussische Nationalturnier». Sein Antipode Capablanca hatte 1911 in San Sebastian seinen großen Durchbruch).

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Nicht nur das Turnier – Lasker und Rubinstein teilten sich den Ersten Preis -, sondern auch Laskers Turnierbuch ist ein Edelstein der Schachgeschichte. Zurecht schreibt Isaak Linder in seiner amüsant und und detailreich geschriebenen «Einführung» über Laskers Kommentierstil, für Lasker sei das Bestreben charakteristisch, in seinen Kommentaren einen besonderen Akzent auf die taktischen und kombinatorischen Momente des Kampfes zu legen. Was nicht zufällig sei: «Diese Herangehensweise ergibt sich aus der gesamten Laskerschen Konzeption der gewaltigen Rolle der ästhetischen Wirkung des Schachs sowohl auf den Spielenden selbst als auch auf den Betrachter der Partie.» Linder weiter: «Die Anmerkungen Laskers zu den Partien dieser Veranstaltung tragen einen konkreten Charakter. Manchmal sind sie lakonisch, mitunter aber analytisch umfangreich. In einer Reihe von Fällen verweist er auf Fehler oder auf die Möglichkeit besserer Fortsetzungen. Obwohl Lasker dem Eröffnungsstadium größtenteils keine Aufmerksamkeit widmet, weil er um die Unbeständigkeit der Bewertung dieser oder jener Züge und Varianten weiß, zeigt er bisweisen dennoch seiner Meinung nach aussichtsreiche Wege auf.»

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Emanuel Lasker (1868-1941)

Die ideellen Grundsätze des genialen Weltmeisters und bedeutenden Philosophen Emanuel Lasker nicht nur für dieses Buch, sondern überhaupt im Leben und Stil schimmern sehr aufschlussreich auch in Laskers Buch-Vorwort selbst durch, wo er diese seine Sammlung aller 175 Petersburger Turnier-Partien aus dem Jahre 1909 folgendermaßen einleitet:

Wie die Meister des Jahres 1909 bei einer Zeitbeschränkung von 15 Zügen die Stunde Schach gespielt haben, und wie einer von ihnen in weniger als sechs Monaten die so entstandenen Partien mit Glossen versehen hat, berichtet dies Buch. Es ist eine Fundgrube für den, der Charakter und Denken erforschen will. Sodann ist es von Nutzen für den, der den verwickelten Kombinationen einer modernen Meisterpartie zu folgen gelernt und diesen ebenso leichten wie angenehmen und lehrhaften Zeitvertreib liebgewonnen hat.
Wer diese Partien aufmerksam daraufhin untersucht, wird die Charaktere der zwanzig Meister entdecken können, grundverschieden durch nationale Begabung und persönliche Eigenart, im Temperament, in der Art zu hoffen und zu fürchten, Angriff zu ertragen oder zu machen, genau oder unbestimmt zu denken und zu handeln, und in vielen kleineren Zügen. Welch eine reiche Ernte wird der Erforscher menschlicher Natur hier sammeln können!
Für die Schachfreunde, denen das Denken des Schachmeisters noch ein verschlossenes Buch ist, sind hier die Siegel erbrochen. Seine Methoden werden dargelegt, wo sie von Erfolg gekrönt sind und auch, wo sie versagen. Und es ist eine Tatsache, die uns für die Zukunft noch viel des Bedeutenden erhoffen läßt, daß trotz der zweifellosen Errungenschaften einer tausendjährigen Evolution noch manches Problem sich stellt und mancher Irrtum begangen wird.

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Ich habe mich bemüht, der Zeit den Spiegel vorzuhalten. Was jetzt als wertvolle und gesicherte Wahrheit vorhanden ist, wird man in den Glossen finden. Was jetzt noch zweifelhaft erscheint, ist hier als Problem gekennzeichnet; die Lösung ist vorgeschlagen, doch nicht dogmatisch.
Den Nachspielenden, der zu seinem Vergnügen und zu leichter Unterhaltung Partie und Noten benutzen will, habe ich nach jeder Richtung hin unterstützen wollen; und wenn einem solchen irgendeine Partie schwer verständlich geblieben ist, so habe ich gegen meine Absicht gefehlt. Denn dies Buch ist geschrieben worden zur Belehrung und Erheiterung aller Schachfreunde! ■

Emanuel Lasker, Der internationale Schachkongress zu St. Petersburg 1909, Reprint der Originalausgabe 1909, 252 Seiten, Edition Olms/Tschaturanga, ISBN 9783283010102

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