Glarean Magazin

Das Zitat der Woche

Posted in Andreas Pfister, Glarean Magazin, Literatur, Literaturwissenschaft, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 2. März 2014

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Der Autor in der Postmoderne

Andreas Pfister

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Die Vorstellung von Autorschaft in der Postmoderne verändert sich mit der künstlerischen Praxis. Während der Autor der Moderne sein Kunstwerk als neu und nie dagewesen darstellt, nimmt der Autor der Postmoderne Bezug auf die Herkunft seines Materials. Beim Verwenden von fremden Texten, Stilrichtungen, Gattungen, Epochen usw. handelt es sich aber nicht um schlichte Nachahmung. Der entscheidende Unterschied zur Nachahmung liegt in der postmodernen Brechung, das heisst in der produktiven Aneignung dieser Formen, Stoffe und Inhalte durch den Autor. Trotzdem gilt diese Form von künstlerischer Leistung für die traditionelle Auffassung von Genialität als minderwertig, weil sie darin keine Neuschöpfung, sondern nur eine Weiterverarbeitung von Bestehendem sieht. Und so werfen Kritiker aus Positionen der Moderne dem Autor der Postmoderne Selbstüberschätzung vor. Aus ihrer Perspektive bleibt der Autor der Postmoderne im Gegensatz zum wahren Schöpfer letztlich ein Epigone. Diesem Werturteil zufolge vermittelt der Autor der Postmoderne bloss vorhandene Kunst und kompiliert Bestehendes mehr oder weniger beliebig zu etwas halb Eigenem.
Die Postmoderne kontert diese Herabsetzung mit einer Doppelbewegung: Zum einen glauben Autoren der Postmoderne nicht länger an den Mythos des prometheischen Genies, das Neues und Eigenes ohne Übernahme von Fremdem hervorbringt. Vielmehr sieht die Postmoderne im Beharren auf Originalität und Innovation eine verlogene Überheblichkeit und eine Verdrängung dessen, was sie für realistischer hält; nämlich dass Kunstschaffen immer – ob bewusst oder unbewusst – Übernahme von Bestehendem impliziert. Zum anderen wird der produktive Umgang mit fremdem Material zum eigentlichen Kunstschaffen aufgewertet. Die Postmoderne betont, dass sich dieses unterbewertete Weitervermitteln, Kompilieren und angeblich epigonale Nachahmen zu einer vollwertigen künstlerischen Praxis im Sinne der Genie-Ästhetik entwickelt hat. Im Umgang mit dem bestehenden Material hat sich der Autor der Postmoderne den Kriterien der Originalität und Innovation zu stellen. Es ist letztlich die Qualität dieses «Rückgriffs«», die den postmodernen Autor der Postmoderne vom Epigonen unterscheidet.

In der Spätphase der Postmoderne stellt sich heraus, dass sich originales Künstlertum bei Autoren der Moderne bzw. Postmoderne zwar in unterschiedlichen künstlerischen Praktiken ausdrückt. So lässt sich beispielsweise das Vexierspiel der deutschen postmodernen Literatur in den achtziger Jahren als eine neue, eine postmoderne Form von Originalität verstehen. Trotzdem bleibt die Postmoderne mindestens in ihrer Spätphase, d.h. ab den achtziger Jahren – von der traditionellen Auffassung originalen Schöpfertums geprägt. Trotz der unterschiedlichen künstlerischen Praktiken von Autoren der Moderne bzw. Postmoderne haben sich grundsätzliche Prinzipien der Genie-Ästhetik wie Originalität und Innovation auch in der Postmoderne durchgesetzt – paradoxerweise trotz deren Kritik am Geniekult. Im Zeichen der Anonymität angetretene «DJ’s» werden zu Stars hochgejubelt, ihre Namen sind heute allgemein bekannt.
Im Literaturbetrieb ist der Starrummel traditionell weniger ausgeprägt, doch auch hier bleibt die Person des Autors zentral wichtig. Der Autor in der Postmoderne erweist sich damit als ein weiterer Erbe des Genie-Gedankens des 18. Jahrhunderts. Gleichzeitig ist er ein Erbe des Autors der Moderne. Der Autor der Postmoderne führt in verschiedener Hinsicht dessen Gestus fort: Auch in der Postmoderne strebt der Autor nach Originalität als zentralem Wert. Doch im Gegensatz zum Autor der Moderne schlägt er dazu einen anderen Weg ein: Er geht davon aus, dass seine eigene Stimme eine fremde Stimme ist und kann sich fragen, wer und was durch ihn hindurch spricht. Indem er nach der Herkunft seiner fremden Stimmen sucht, erhofft er sich – wie vor ihm der Autor der Moderne – immer wieder Befreiung von unbewusster Fremdbestimmung. ■

(Aus Dr. Andreas Pfister: Der Autor in der Postmoderne, Dissertation, Philosophische Fakultät der Universität Freiburg/CH, 2004 http://ethesis.unifr.ch/theses/downloads.php?file=PfisterA.pdf )

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