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Politur kontra Durchleuchtung
von Dr. Markus Gärtner
Nicht erst das Jubiläums-Jahr 2009 (50. Todestag) sollte den Blick auf Ernest Bloch, einen der Stammväter der amerikanischen E-Musik im 20. Jahrhundert, lenken. Der gebürtige Schweizer, Lehrer von Roger Sessions und George Antheil, vermittelte seinen Schülern etwas, was er selbst bereits frühzeitig ausbildete: Einen regelrechten – amerikanisch gesprochen – „Sound“, eine spezifische, wiedererkennbare Art, das Klangbild seiner Musik zu prägen.
Unterschiedliche Bloch-Annäherungen

Zwei CDs neueren Datums geben Gelegenheit, den Bloch-Klang zu ergründen, wobei sich die verschiedenen Programme um ein zentrales Werk gruppieren: Das 1925 uraufgeführte Concerto grosso Nr. 1. Die bei Hänssler erschienene Aufnahme des SWR Rundfunkorchesters Kaiserslautern unter Jirí Stárek mit Jenny Lin als Solistin bietet eine Kopplung mit weiteren Bloch-Kompositionen (Concerto Symphonique, Scherzo fantastique); beim finnischen Label Alba setzten Daniel Raiskin und das St. Michel String Orchestra zusammen mit dem Pianisten Risto Lauriala lieber auf die Gegenüberstellung mit dem wenig bekannten Klavierkonzert op. 17 von Ferruccio Busoni.

Obwohl sie sich in einem zentralen Werk überschneiden, scheinen beide Veröffentlichungen völlig unterschiedliche Annäherungsweisen zu praktizieren. Geschuldet ist das einerseits der Werkauswahl, andererseits der Besetzung. Lin und Stárek bedienen über 77 Minuten hinweg die grosse Pose, wie sie für das Concerto symphonique und das kleinformatigere Scherzo fantasque sehr angemessen erscheint. In beiden Werken kommen Kompositionsmethoden zum Einsatz, die noch heute bestimmten Bereichen der Filmmusik ihren charakteristischen Klang geben. Raiskin und Lauriala dagegen widmen sich mehr den zurückhaltenden Momenten der Blochschen Tonkunst, wirken ernsthafter und trotz reduziertem Orchester gleichzeitig zupackender.
Divergente Akzentuierungen des „Zeitgenössischen“

Bei beiden CDs nimmt das Concerto grosso Nr. 1 zudem eine exponierte Stellung ein – bei Raiskin als Eröffnung, bei Stárek bildet es das Zentrum. Der Klavierpart dieses Werkes ist dem Namen entsprechend nicht als Soloinstrument, sondern mehr als basso continuo mit gelegentlichen Extras aufzufassen. Diese Herangehensweise findet man bei Lauriala weit ausgeprägter als bei Lin, welche – möglicherweise von den umliegenden gestisch auftrumpfenden Werken beeinflusst – unbeirrt weiter auf grosse Wirkung statt auf unterstützende Zurückhaltung setzt. Im Gegensatz zum saftigen, auch rhythmisch variablen Zugriff Raiskins und Laurialas scheint sie eher gerade heraus denn wohldosiert und durchdacht zu spielen. Eine gewisse Kälte lässt sich nicht verleugnen. Warm und sehr dicht hingegen gestaltet Lauriala – eine Vorgehensweise, die er auch in das ansonsten luftige Klavierkonzert op. 17 von Busoni herüber transportiert. Das Werk eines 12-Jährigen ist dem Gestus nach eher locker gehalten, sodass es vor Blochs schwereren Klanggestalten eine Kontrastwirkung erzeugt, ohne den Rahmen der Gesamtkonzeption dieser CD ganz zu verlassen.
Sibelius hat Bloch einmal als „greatly gifted man whose music is both modern in the best sense and within the grasp of the contemporary musical mind“ beschrieben. Beide CDs zeigen, wie weit auseinander verschiedenen Akzentuierungen des „Zeitgenössischen“ in Blochs Musiksprache liegen können, wie sich ein und dasselbe Werk durch unterschiedliche Blickrichtungen radikal wandelt. So kann der Blick auf beide Einspielungen vielleicht sogar als Lehrbeispiel dafür dienen, wie grosse Musik immer zwischen Glanz und Intensität, zwischen äusserer Politur und innerer Durchdringung changiert. ♦
- SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern, Jirí Stárek (Dirigent), Jenny Lin (Klavier): Ernest Bloch, Concerto symphonique, Concerto grosso No. 1, Scherzo fantasque, hänssler 93.192 (2007)
- The St. Michel String Orchestra, Daniel Raiskin (Dirigent), Risto Lauriala (Klavier): Ernest Bloch, Concerti grossi No. 1 & 2, Ferruccio Busoni, Klavierkonzert op. 17, Berceuse, Alba ABCD 234 (2007)
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