Der Wandel eines liberalen Rechts im Zeitalter des Internets
Wir leben in einer Zeit in der alle auf ihr Recht auf Privatsphäre pochen. Aber was ist diese ominöse Privatsphäre, die wir überall für uns einfordern und dann doch selbst online verspielen in dem wir zum Beispiel bei Foursquare markieren, wo wir uns gerade mit wem befinden oder Privatfotos ohne “Sichtschutz” in Fotocommunities hochladen? Wenn wir allein daheim sind, fühlen wir uns durch die klingelnde GEZ in unserer Privatsphäre gestört und wenn wir im Restaurant sitzen und das Gespräch des Pärchens nebenan in Echtzeit und extralaut mithören müssen, glauben wir, wir würden deren Privatsphäre empfindlich berühren. Aber ist das rein objektiv betrachtet so?
Maximilian Hotter hat sich der Thematik angenommen und das Buch in mehreren Stufen aufgebaut. Im ersten Teil des Buches, welches sich übrigens für ein Fachbuch recht locker liest, wird erklärt was Privatsphäre rechtlich, politisch und moralisch bedeutet. Was zum Beispiel ist Privateigentum. Wenn ich ein Buch, das ich mir von einem Freund geborgt habe (sein Privateigentum) auf eine Parkbank (öffentlicher Raum) lege, wem gehört das Buch dann? Hat der Freund hypothetisch als einziger das Recht, das Buch mitzunehmen oder kann die alte Frau, die auf der Bank sitzt und Tauben füttert in dem Buch blättern? Und wenn ich mich ungefragt daneben setze und mein Buch lese, verletze ich dann ihre Privatsphäre obwohl wir uns im öffentlichen Raum befinden? Natürlich, die Praxis sieht anders aus aber vom theoretischen Standpunkt aus ist das Buch öffentlich sobald ich es im Park ablege und die Dame hat kein Recht darauf, allein auf der Bank zu sitzen.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Auffassung der Privatsphäre im Wandel der Zeit und der Philosophien. Besonders eingegangen wird auf die Sichten von Rousseau, Marx, aus kommunitaristischer und feministischer Sicht. Es wird viel verglichen zwischen der politischen und der individuellen Lage und Utopie aus den verschiedenen Lagern. Braucht der Mensch Privatsphäre nur weil er glaubt, dass er Privatsphäre will oder ist die Privatsphäre essentiell für die Freiheit des Individuums?
Im weiteren Verlauf des Buches wird die Privatsphäre als modernes (ab dem 19ten Jahrhundert aufgetretenes) Phänomen untersucht, zeitlich verglichen und mit der jeweiligen Gesellschaftslage in Verbindung gebracht. Es geht auch um Überwachung und Überwachungsszenarien, die das Individuum jeglicher Privatsphäre berauben und es damit in seinem Handeln manipulieren, dass es der Politik gefällig wird. Szenarien der Kontrolle durch Kontrolle und Einschränkung der Privatsphäre – eine harsch realbezogene Utopie, die sich immer mehr umsetzt, wenn man sie denn lässt. Privatsphäre im Internet, ist sie uns mehr oder weniger wert als offline? Würden wir tolerieren wenn unser Nachbar klingeln und von uns Einsicht in die Urlaubsfotos verlangen würde und wo ist der Unterschied zu unserem auf “öffentlich” gestellten Facebookalbum?
Datenschutz, Überwachung, Manipulation und Medienbilder – das Buch ist topaktuell und brandwichtig im Verstehen der Onlinegesellschaft und Offlinegefahren einer nicht vorhandenen oder übertriebenen Privatsphäre.
Das Buch ist im Mai diesen Jahres im Campus Verlag erschienen und für 29,90€ erhältlich.
Auf Amazon kaufen?
Pingback: Verlosung #1 « Litheart.de – Literatur, Theater & Kunst