Eine Buchbesprechung von Karsten Kruschel
Nach “Kult” kommen nun auch die Frühwerke des begabten ukrainischen Jungstars nach Deutschland. Frech nimmt er einen legendären Jim-Morrison-Text als Titelpaten (Celebration of the lizard), rührt jede Menge Pink Floyd und H.P. Lovecraft in einen Tee, über dessen weitere Bestandteile man lieber nicht nachdenken möchte, und schreibt einen phantastischen, mit popkulturellen Anspielungen vollgestopften, locker-flockigen, bleischweren kleinen Roman. Mit fünfzehn Jahren.
Diesmal lebt Misko, der Held des Romans, gleich in Midni Buky, das als hoffnungslos zurückgebliebenes Kaff auch “Kult” als Staffage diente (nicht der einzige Bezug zum Altmeister King, der ja auch zwanghaft nach Bangor, Maine zurückkehrt). Das Leben ist auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schön, man liest Edgar Allen Poe (merkwürdigerweise auf Polnisch), hat ein Mädchen, in das man verliebt ist, und hört Musik: Pink Floyd, Jethro Tull, Black Sabbath. Das “Jupiter”-Gerät, von dem in diesem Zusammhang die Rede ist, war übrigens ein fünfzehn Kilo schweres Spulentonbandmonster und beileibe kein Kassettenrekorder, wie die Übersetzerin standhaft behauptet. Sei’s drum. Der Knabe hat für sein Alter einen guten Musikgeschmack.
Leider gibt es da für ihn ein alterstypisches Problem mit dem Leben in der ukrainischen Provinz: Fedja. Dieser jugendliche Rüpel mitsamt seinen Kumpanen macht Misko und seinen Freunden das Leben zur Hölle, ganz wie in diesen Teenie-Highschool-Filmen, wie sie Hollywood Jahr für Jahr den Teenies erfolgreich andrehen kann. Und die Hölle hat bekanntlich in Mudni Buky sowas wie eine Außenstelle… diesmal geistert das geheimnisvolle Hyazinthenhaus durch den Roman (tatsächlich wird es bereits auf der dritten Textseite das erste Mal erwähnt). Mal ehemaliges Mädcheninternat, mal Sterbeheim für Cholera-Opfer, soll das Haus mehr Zimmer enthalten, als hineinpassen dürften.
Mit viel Wortwitz und erzählerischem Schwung breitet Deresch die skurrile Welt von Midni Buky vor dem Leser aus, was überaus amüsant sein kann, wenn der sich nicht von teilweise sehr merkwürdigen Einfällen stören läßt. Ob das alles genial ist oder stellenweise nur pubertär, ist schwer zu sagen.
Die Bedrohung durch den dummen, aber starken Fedja und seine ihm treu ergebene Clique wächst und wächst. So ein gewalttatiger Idiot pflegt ja nicht lammfromm zu werden, wenn man die erste Gelegenheit nutzt, seinen geliebten und sturzhäßlichen Köter ins Jenseits zu befördern. Diese ebenso sadistische wie erschreckende Szene bezieht ihren popkulturellen Bezug ebenfalls von Stephen King, und zwar vom “Friedhof der Kuscheltiere”.
Zwei Ereignisse wenden den kleinen Roman hin zu seinem ebenso einprägsamen wie erschreckenden Finale. Das erste dieser Ereignisse ist eine Wanderung, die Misko mit seiner geliebten Dswinka unternimmt. Dabei erschrecken sie unterwegs hinterwäldlerische Dorfbewohner und geben sich hernach vor ganz großer Kulisse der ersten Liebe hin – inklusive Blitz und Donner. “Das ist groß instrumentiert, schöner Bombast, wie ihn Pink Floyd nicht besser hinbekommen hätten”, bemerkte hierzu der Rezensent des Deutschlandradios; dem ist nicht zu widersprechen. Misko ist nicht nur zum Mann geworden, wie er es selbst altväterlich ausdrückt, er hat auch seinen Engel gefunden.
Das zweite Ereignis, das die Teile des Buches wie ein Gelenk verbindet, ist der Besuch im verrufenen Hyazinthenhaus. Auf der Flucht vor Fedja und seiner Gang bleibt Misko nichts anderes übrig, als sich dort zu verstecken, obwohl er selbst ganz genau weiß, daß eine gute Idee anders aussieht (“Am interessantesten ist, daß niemand deine heiseren Schreie hören wird, wenn Fedja dich mit den langen, schmutzigen Glasscherben foltert”, beglückwünscht sich Misko). Aber anstatt von Fedjas Spießgesellen aufgegriffen zu werden, begegnet er einem geheimnisvollen Fremden, der ihm erstaunliche Dinge über das Hyazinthenhaus erzählt (sein sprechender Kater stört kaum dabei). In diesem Haus ist der Raum selbst dünner als anderswo – und eine andere, abartige, abgrundtief böse Welt kann in unsere hineinfassen. Und sogleich erscheinen Schriftzeichen an der Wand, die aus einer Geschichte von H.P. Lovecraft stammen könnten. Die Rede ist von unlesbaren Büchern, Bösartigkeit ausstrahlenden Andenken und wie aus dem Nichts auftauchenden Leichen. Natürlich glaubt Misko kein Wort, nur Gefasel eines Junkies. Allerdings stimmt so einiges von dem, was gesagt wurde… wie sich später zeigt.
Daß es stimmt, daß es diesen Quell des Bösen Lovecraftscher Abgründigkeit gibt, zeigt sich vor allem in seinen Wirkungen. Misko, Dswinka und ihr Freund Hippie beginnen, die Ermordung Fedjas zu planen; zunächst halb im Scherz, dann ernsthafter und schließlich bitterernst. Die Engel sind dabei, ihre Unschuld zu verlieren, das Böse in sich selbst hineinzulassen. Die Anstrengungen, Fedja um die Ecke zu bringen, erweisen sich am Ende als viel härter als erwartet. Zwar ist Fedja ein Mistkerl, aber er ist ein zäher Mistkerl. Der fünfzehnjährige Autor hat offenbar schon eine ganze Menge Horrorfilme gesehen und baut alles ein, was ihn beeindruckt hat – mehrfache Komplett-Wendungen der Bedrohungslage, Rettung in letzter Sekunde, das Aufbäumen des Totgeglaubten und so weiter. Während sich die Spirale des Schreckens immer weiter dreht, schafft es Ljubko Deresch, daß seine Helden entsetzt begreifen, daß selbst der schlimmste Mistkerl ein Mensch ist. Als Fedja tot ist und sie wie durch ein Wunder – oder den Einfluß des Hyazinthenhauses – unentdeckt bleiben, stellen sie fest, daß es ihnen vollkommen egal ist, was sie getan haben.
“Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet” ist ein perfider phantastischer Pop-Roman, den Ljubko Deresch wohlweislich nicht nur mit popkulturellen Bezügen gespickt hat, sondern auch mit spezifisch ukrainischen Verbindungen. Zwar gibt es etliche Fußnoten und am Ende gar Anmerkungen der Übersetzerin, die zwar einiges erklären, aber unweigerlich den Eindruck hinterlassen, daß so manche Anspielung unverstanden bleiben muß. Auch das scheint Deresch mit Andruchowytsch gemeinsam zu haben. Selbst wenn es nicht stimmt, macht es die Sache doch geheimnisvoller…
-Karsten Kruschel
Ljubko Deresch: Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet.
Roman. (Pokloninnja jascirci. Jak nyscyty anheliv) Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck. edition suhrkamp, Suhrkamp Verlag 2006, 201 S., Euro 10,00.
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Reblogged this on Der Bär liest.
Die ganz Jungen fangen sich wieder für das zu interessieren an, was den nicht ganz so Jungen als wohlschauriges Dauer-Kultei in der Seele brütet (Poe, Lovecraft, Black Sabbath and Co.). Dazu meine ich: Prima! Endlich frische Anderssichtigkeit des schon so VerLAUten.
Gruß – Michael . LitterART