Akustische Butterfahrt zwischen Publikumsverarsche und Illegallität

27. November 2004 | Von | Kategorie: Literatur u. Medien

Mit Erfindung des Rundfunks hat sich das Hörspiel zu Beginn der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als neue Gattung der dramatischen Literatur etabliert. Als entscheidende Vorteile galten die scheinbar unmittelbare Nähe der Sprecher zum Hörer und die Verwendung von filmähnlichen Schnittechniken zur Darstellung unterschiedlicher Ort-, Zeit- und Handlungsebenen. Als epische Mischformen des Hörspiels sind die Funknovelle oder das Feature zu betrachten. Mit Geräuschen, Stimmen und Musik lassen sich natürlich auch Hörspiele machen, die absolut nichts mit Literatur zu tun haben.

Zahlreiche namhafte Autorinnen und Autoren pflegten die literarische Gattung des Hörspiels u.a. Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Samuel Beckett, Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt, Günther Eich, Jakov Lind, Wolfgang Hildesheimer.

Die klassischen Hörbücher – ein Autor oder Schauspieler oder Sprecher liest ein Buch vor, dessen Text in keiner Weise bearbeitet sondern nur von Musik unterbrochen oder untermalt wird, könnten bestenfalls der Gattung Funknovelle zugerechnet werden.

Der seit einiger Zeit zu beobachtende Hörbuch-Boom, hat insofern zu einer Rennaissance des Hörspiels geführt, dass Hörspiele unter der Bezeichnung Hörbuch wieder neu auf den Markt geworfen wurden. Das Hörbuch exististiert jedoch nicht als eigenständige literarische Gattung wie das Hörspiel, sondern ist neben dem gebunden Buch und dem Taschenbuch als Vermarktungsinstrument ein Segment des Buchmarktes geworden.

Autorinnen und Autoren, die das Genre Hörbuch pflegen, gibt es nicht; jedoch in steigendem Maße findige Veranstalter, die zu so genannten Hörbuch-Abenden einladen. Mitunter mit solch blumigen Behauptungen: “Das öffentliche Aufführen von Hörspielen ist eine leider immer noch wenig praktizierte Veranstaltungsform. Wir schaffen Abhilfe.” – Der Veranstalter legt eine CD ein. Das Publikum strömt, zahlt Eintritt und kauft die CD.

Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, bei derartigen Veranstaltungen profitiert ausser dem Veranstalter keiner: Worin liegt das Vergnügen des Zuhörers? Wie erhält der Autor seine Tantiemen, wie die Sprecher und oder Komponist und Musiker ihr Honorar? Nicht umsonst ist auf jeder CD zu lesen: kein Verleih, keine Aufführung, keine Sendung. Eine akustische Butterfahrt zwischen Publikumsverarsche und Illegalität, vor der nur gewarnt werden kann.

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