Lange Nacht bei Bloch und Poesie

20. März 2006 | Von | Kategorie: Literaturveranstaltungen

“Das ist die feinste Liebeskunst” so hatte Wolf Biermann seinen Abend mit Sonetten von Shakespeare betitelt. Er veranschlagte dafür während der “langen Nacht der Museen” im Ludwigshafener Ernst Bloch Zentrum 90 Minuten, in denen er Shakespeare in seiner, der Biermannschen, Übersetzung als “deutsche Lieder und Gedichte” vortragen wollte. Doch es kam anders.

Bereits eine dreiviertel Stunde vor dem angekündigten Auftrittstermin saß er mit Gitarre auf der Bühne und sang Lieder aus seiner frühen Zeit. Die Veranstaltung hatte offiziell noch gar nicht begonnen. Biermann singe und spreche sich nur ein, hieß es. Der Saal bis zum letzten Platz gefüllt. Die Leute lagerten auf dem Boden. Eine Gemeinde hatte sich eingefunden. Von Publikum kann man nicht reden, das wäre zu wenig. Die Stimmung als revolutionsselige Nostalgie zu bezeichnen, wäre unfair.

Die Atmosphäre hatte auch Biermann überrascht. Dass die Leute kommen und gehen, wie das bei der “langen Nacht der Museen” üblich ist, darauf hatte er sich schnell eingestellt. Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, auf einer Bühne zu sitzen, von der man von oben herab in das unter Glas konservierte Arbeitszimmer von Ernst Bloch blickte. Es mutete ihn seltsam an, dass er in ein Zimmer, in dem er oft selber gesessen hatte, nun hinab stürzen könnte. Er erbat sich einen Moment zur Konzentration und zu “der Elefant muss Wasser lassen”, bevor er wie “angedroht” mit Shakespeare beginnen wolle.

Dann folgte über europäische Metrik eine Literaturstunde der besonderen Art. Shakespeares Sprachduktus sei “hölderlin-hochgestochener” und “brecht-prosaischer” als vermutet und er erweise sich “im besten Sinn als viel unanständiger, als wir schlegel-tieckinfizierten Deutschen und als manche stefan-georgelten Literaten denken.” Keine anzügliche Wortspielerei lasse der Meister aus, er habe hocherotischen Witz, mache aber niemals schmierige Witzchen. Selten wurde der Unterschied zwischen Petrarca und Shakespeare einfacher und prägnanter erklärt als von Biermann. Ein Sonett hat vierzehn Zeilen, bei Petrarca 4, 4, 3, 3 – bei Shakespeare jedoch 4, 4, 4, 2 – dramatischer mit einer Pointe am Ende. Hören konnte man das an konkreten Beispielen von Biermann mal gesprochen, mal gesungen – manchmal beides. Liest man das englische Original, bleibt Biermanns Übersetzung schnörkellos eng am Text.

In gewissermaßen freier Assoziation verlief der dritte Teil des Abends. “Ich lasse mich jetzt treiben” – so Biermann. “Ich bin noch in einem Alter, wo man mich nicht bitten muss zu singen, sondern wo man mich bitten muss NICHT zu singen.” Inspiriert vom Blochschen Arbeitszimmer unternahm Biermann eine Reise ins Land der Hoffnung und der Melancholie mit Stationen bei Kant, Goethe, Bloch, Sperber und der eigenen Biermannschen Familiengeschichte. Da saß einer auf der Bühne und sog die Gedankenwelt Blochs aus dem Keller unter Glas herauf in den Saal. “Wer Hoffnung predigt, der lügt. Wer die Hoffnung tötet, ist ein Schweinehund. Ich mache beides. Nehmt euch, was ihr braucht. Melancholie – im Herzen die schwarze Galle.”

“Ich lese euch jetzt ein Gedicht vor, das ich gerade geschrieben habe. – Frische Ware, kennt keiner.” Es folgten ein sehr autobiographischer Text über seine Familie, die Bombardierung Hamburgs im 2. Weltkrieg und über einen alten Mann, der Gedichte schreibt – nicht autobiographisch wie er betonte. Nach mehr als drei Stunden, eine halbe Stunde vor Mitternacht beschied Biermann sein Publikum: “Der Charme des Dilettantismus hat seine Grenzen, das weiss ich. – Die neuen Gedichte erscheinen im Herbst. Die, die ich heute abend gelesen habe, lasse ich da. Die Leute vom “Bloch” sollen sie kopieren. Dann könnt ihr vorbeikommen, sie holen und in Ruhe lesen – ohne dass ich störe.”

Wolf Biermann: Das ist die feinste Liebeskunst. 40 Shakespeare-Sonette. Kiepenheuer und Witsch, Köln. ISBN 3-462-03443-x.
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