1. Ausgangspunkte
Nietzsche, Friedrich. Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten (1871/72). Leipzig: Alfred Kröner Verlag 1925.
Für die ruhigen Leser ist das Buch bestimmt, für Menschen, welche noch nicht in die schwindelnde Hast unseres rollenden Zeitalters hineingerissen sind und noch nicht ein götzendienerisches Vergnügen daran empfinden, wenn sie sich unter seine Räder werfen, für Menschen also, die noch nicht den Werth jedes Dinges nach der Zeitersparnis oder Zeitversäumnis abzuschätzen sich gewöhnt haben. (…) Ein solcher Mensch hat noch nicht verlernt zu denken, während er liest, er versteht noch das Geheimnis, zwischen den Zeilen zu lesen, ja er ist so verschwenderisch geartet, dass er gar noch über das Gelesene nachdenkt vielleicht lange nachdem er das Buch aus den Händen gelegt hat. Und zwar nicht, um eine Recension oder wieder ein Buch zu schreiben, sondern nur so, um nachzudenken! Leichtsinniger Verschwender! (S. 6f)
Bourdieu, Pierre. Ein soziologischer Selbstversuch. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2002.
Verstehen heisst zunächst das Feld zu verstehen, mit dem und gegen das man sich entwickelt.
1.1 Die Bologna-Reform…
Lenhard 1984, zitiert in: Lamprecht, Markus; Stamm, Hanspeter. Soziale Ungleichheit im Bildungswesen. Bern: Bundesamt für Statistik 1996.
Die Auseinandersetzung darüber, welches Wissen, welche Kenntnisse und Fertigkeiten wie vermittelt, verteilt und bewertet werden sollen und welche Selektionsschranken und Auswahlkriterien dabei zur Anwendung kommen, gehört zu den zentralen Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Macht. (S. 14)
1.2 … und ihre Folgen
Oelkers, Jürgen. Bildung: Magie des Wortes und Nutzen der Sache. Vortrag am 22. April 2004 in der Universität Zürich. (link)
Statt von Bildung wird heute von Qualifikation gesprochen, die mit einem bestimmten Nutzen verbunden sein soll. (…) Qualifikation (…), einhergehend mit Kompetenz, erscheinen als die handfesten und erreichbaren Grössen. Die neue Gleichung lautet etwa so: Qualifizierung reagiert auf sichtbaren Bedarf und führt zu Kompetenzen, die sich zeitlich kontrolliert erwerben lassen. (…) Bildung, was immer sie sein mag, ist nicht in Form eines Just-in-Time-Lernens zu erwerben. Und: sie ist kein Baukasten. (S. 2)
Pongratz, Ludwig. Ökonomisierung der Bildung. Eine Packungsbeilage zu Risiken und Nebenwirkungen. In: Funk, Rainer u.a. (Hg.). Erich Fromm heute. Zur Aktualität seines Denkens. München: dtv 2000, S. 121-137.
Schlüsselqualifikationen sollen, so die Idee, ein weites Spektrum von unterschiedlichen Aufgabenfeldern gleichsam mit einem General-Schlüssel aufschliessen. Sie sollen (wie im Märchen vom Tapferen Schneiderlein) dazu verhelfen, Sieben auf einen Streich zu erlegen. Dazu aber dürfen diese Qualifikationen nicht inhaltsspezifisch, sondern müssen formal-abstrakt konzipiert sein. (…) Zielte Bildung einstmals aufs Subjekt, genauer: auf die selbsttätige, kritische Aneignung seiner Lebensumstände, so löst der Qualifizierungsbegriff diesen Zusammenhang ausdrücklich auf: Denn die angeeigneten Qualifikationen verfallen immer rascher, sie werden Südfrüchten ähnlich zur Ware, die relativ leicht verdirbt (K.A. Geissler, 1992, S. 67). In den Qualifikationsbegriff sind die Verfallszeiten schon eingebaut. Sein Erfolg, so liesse sich paradox formulieren, ist seine Substanzlosigkeit. Bildungsträger lassen keine Zweifel daran, dass Bildung keine freie Entscheidung eines sich frei wähnenden Individuums mehr ist, sondern nur zum notwendigen Zwang wird. Wer sich diesem Druck nicht beugt, befindet sich von vornherein auf der Seite der Rationalisierungsverlierer. (S. 123f)
Bedeutung erlangen dabei nur noch diejenigen Eigenschaften, die sich leichtgängig vermarkten (und überprüfen bzw. kontrollieren, Anm. S.D.R.) lassen. (S. 125)
1.3 Leitgedanken, ergänzend zu OCLAM (Outcomes, Credits, Lernende, Assessments, Methoden)
Bourdieu, Pierre. Plädoyer für eine rationale Hochschuldidaktik. In: ders. Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik. Hamburg: VSA-Verlag 2001, S. 144-152.
(…) in einem System, dessen Funktion darin besteht, ausgelesene und miteinander vergleichbare Studenten zu produzieren, ist das Ausleseverfahren, das bei vollkommen formaler Gleichheit nur die am Examenserfolg gemessenen Leistungen berücksichtigt, indem es grundlegend ungleiche Kandidaten gleichen Prüfungen und gleichen Kriterien unterwirft und dadurch der wahren Gerechtigkeit widerspricht, trotzdem das einzig angemessene Verfahren. Die Logik dieses Systems schliesst jedoch keineswegs den Versuch aus, die Berücksichtigung der tatsächlichen Ungleichheit in die Lehre selbst einzubeziehen. (S. 146f)
Bourdieu, Pierre; Wacquant, Loïc J.D. Reflexive Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1996.
Eine wissenschaftliche Praxis, die es unterlässt, sich selbst in Frage zu stellen, weiss im eigentlichen Sinne nicht, was sie tut. (S. 270)