(Die Sprachen der Dinge)
Es wurde, das ist nicht ganz sicher, bestimmt kein Auge zugetan. Die geschwätzige Sofafeder, ich habe ihr mehrfach Feindlichkeit vorgeworfen, der von den Wangen rinnende Schweiss, der Tropfen für Tropfen eine Weisheit zum Besten geben muss. Die Dinge ringsum, die sich vermitteln wollen. Der auf einmal in allen Dingen liegende Ausdruck, der sich perfide aufdrängen möchte, in der Nacht und immer noch auf mich einzureden versucht und mich in etwas verwickeln will: bis in die frühe Morgenstunde, zu der sich die Vögel Guten Tag sagen und diesen planen.
Die immergleichen Themen, mehrfach: Wo den Morgen verbringen? Den Mittag? Den Abend? Und wo die besten Plätze wären, die reichhaltigsten Angebote und natürlich: Wer das schönste Gefieder besässe, der Star der quirligen Truppe sei. Heute Morgen. Auf der Fensterbank. Hinter den Gittern. Jenseits des Raums.
Natürlich fragt man mich auch um Rat. Natürlich habe ich auch eine unterstellte Meinung, wer der Schönste sei im ganzen Land, oder die, die ich favorisiere, die Schweigsame, wie ich sie nenne, mit ihrem verhaltenen, angenehmen Tschilpen, die sich versucht in den Hintergrund zu drängen und in diesem Getümmel keine grosse Rolle spielen will. Die Bescheidene, aber mit einem umfassend wissenden Lächeln, die mich durch das Glas ahnt und mich versteht. Sie heisse Sabina. Ich überlege lange, ob ich sie nicht hineinlassen sollte und ihr alles erkläre. Ich robbe zum Fenster und öffne es einen Spalt. Wir haben uns viel zu erzählen.
Die Vogeltraube erhebt sich mit einem Schlag in die Luft, zerstreut sich. Streuung. Die Fronttüre des Kulturbüros hatte sich geöffnet und wieder unsanft geschlossen. Dann geht alles sehr schnell.
Ein Barhocker fällt um und beschwert sich in keine bestimmte Richtung. Ein Schatten baut sich vor mir auf und gewinnt an Umriss. Sammelt sich und zerfliesst. Eine geballte Faust gestattet sich einen Augenblick der Wahrnehmung ihrer Bewegung vor die Stirn. Dann Schwärze.
Ein bekanntes Gesicht, das meine Wangen streichelt oder Untersuchungen durchführt. Prüfungen der Lider und heraustretenden Knochen. Weitere Tests. Der Druck auch auf manche Stellen, die weniger schmerzen, eine unberührte, eine geschonte Gesichtshälfte. Dazu bewegen sich seine Lippen und bilden Laute: Unverständliche Vokale, gedämpfte Konsonanten, die sich zusammen auf nichts beziehen. Ich versuche in seinen Augen zu lesen. Wer übersetzt, kommt mir Zuhilfe, bringt brauchbare Information?
Die neugierigen Spatzen am Fenster nach diesem Attentat? Ein schräger Schönling drängt sich aus dieser Gruppe, ruft: Keine Angst, du kennst ihn. Du bist in Sicherheit. Es ist Roman, dein alter Freund.
Ich beherrsche das Morsealphabet. Ich habe Sabina in dieses Geheimnis eingeweiht und weiss nun ihre Dienste zu schätzen. Das Klopfen ihres Schnabels gegen den hölzernen Fensterrahmen: Nimm dich in Acht vor ihm. Für ihn bist du nur ein Einbrecher. Wenn ich recht verstehe, gestört von den auf mich einprasselnden Lautfetzen. Das Geschütteltwerden. Ein Riss im Innenfutter. Jetzt Hände weg!
Da ist ein besessener Stuhl, der sich einmischt, indem er sich ein paar Zentimeter bewegt. Er hat eine Meinung zu all den Sachen, die mich umgeben, nur nicht eine eigene.
Was macht Roman da? Sollte er nicht in Barcelona sein? Er trägt ein paar Kisten hinaus in ein Auto. Sie verabschieden sich fröhlich von mir. Das Auto hupt einmal kurz und blinzelt mir zu. Schelmisch.
Dann seine Gesten: Wild, unbeherrscht. Sabina fliegt durch das offene Fenster, findet mich auf dem Boden liegend in einer dunklen Ecke, sucht ein freies Ohr und flüstert: Ich würde gehen an deiner Stelle. Ganz schnell. Er hat nichts Gutes im Sinn. Einbruch, sagt er, immer wieder Einbruch.
Das Sofa und ihre Feder: Ein Bruch! Ein Bruch! Hier wird aufgeräumt und sauber gemacht. Die Denunzianten.
Meine Wange glüht. Und die bestürzte Schulter. Roman entfernt sich und wirft einen letzten Blick in den Raum. Ich bleibe bei dir, so Sabina, als sich die Türe schliesst: Der Hinterausgang man könne doch dort wieder hinaus. Das Sofa und ihre Feder: hinaus!
Vergiss deine Jacke nicht. Und diese Tasche. Meine schöne braune Lederjacke. Das klamme Tier. Ich beruhige es mit leisem Gesang, dann frage ich mich warum.
Das müsse nicht peinlich sein, mit Tieren oder Gegenständen zu sprechen. Sabina, das Sofa und die Feder, einer Meinung. Nicht ich habe das Gespräch gesucht, das hätten sie getan. Man habe mich schon lange im Visier, sagen sie. Ich spreche ihre Sprache, und: Es gäbe nun einmal nicht mehr viele, die all die Sprachen sprächen. Das nur noch unter meinesgleichen Gesprochene, das sei die Regel, man wisse das. Es würde nichts mehr erfasst werden. Es würde damit auch nichts mehr gesagt werden. Man verstehe am Ende natürlich gar nichts mehr. Ich bilde da eine Ausnahme.
Man werde dieses Thema vertiefen, aber: Die Zeit sei knapp. Sabina reckt ihr Köpfchen und dreht es um hundertachtzig Grad. Hörst du? Ein Wagen. Eine Sirene. Siehst du? Die blauen Lichter. Und: dass es hier eng werde. Los jetzt! Sabina pickt aufgeregt an meiner Ohrmuschel und zieht mich ein wenig in Richtung Hinterausgang. Sie kämen. Das Trommeln der Stiefel. Das Klappern von Stöcken. Der wuchtige Schub einer Autotüre.
Es gäbe noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Ich richte mich auf. Hilfst du mir? Sicher. Vergiss die Jacke nicht. Das Sofa und die Feder verhallen, niederträchtig: Er entkommt! Er entkommt!