Dranmor V,4a

(Tauschhandel)

Nein, ich hatte von dieser Arbeit noch nichts gehört. Roman hatte gestern von einer Schrift über Dranmor gesprochen, die sich mit seiner Verzweiflung nur wenige Jahre vor seinem Tod beschäftigte. Er hatte vor kurzer Zeit eine bibliographische Notiz im Internet gefunden, vielleicht war sie in einer Fussnote, die angeblich den Titel „Dranmors Trauma“ hatte. Dummerweise hatte er sich weder den Fundort noch den genauen Eintrag notiert, gespeichert, er habe es mehrmals versucht, ihn wiederzufinden, doch vergeblich, wie er meinte. Ob ich nicht davon gehört hätte, fragte er mich gestern in der Bar.

Ich war völlig perplex. Genau das Thema, das ich zu beackern versuchte, zu dem ich nun schon seit Wochen Informationen recherchierte, und er war, so sagte, fündig geworden. Meine Zweifel: Hatte er tatsächlich etwas gefunden? War er möglicherweise sogar im Besitz des Dokuments und wollte es mir nun vorenthalten? Hatte er das alles nur erfunden, um sich wichtig zu machen? War es ein Versuch eines Tauschhandels? Eine Konstruktion einer Geisel? Sicher, ich hatte ihm durch die Blume gesagt, dass ich an Material geraten war, drei unbekannte Gedichte Dranmors in einer kleinen Schweizer Kulturzeitschrift des Jahres 1867?, die von den meisten Kritikern ognoriert wurden. Dort konnte man einen anderen Dranmor erkennen. Dort, 1867, zeichnete er mit Fernando und wollte den Umsturz.

Ein politischer Dranmor wollte wohl nicht so recht in das Bild des harmlosen klassizistischen Romantikers passen, wie es die Kritik des letzten und vorletzten Jahrhunderts gerne gesehen hätte.

Ich habe gegenüber Roman erwähnt, ich hätte darüber gelesen und würde mich um die entsprechenden Erkundigungen kümmern, könnte aber für nichts garantieren. Die Zeitschriften seien sehr alt, ständen sousagen vor ihrer Auflösung und wären sicher unter Verschluss. Ich würde ihn auf dem Laufenden halten.

War das der Deal? Meins gegen seins? Ich sass den ganzen Nachmittag in der Bibliothek und versuchte Dranmors Trauma zu finden. Fehlanzeige. Ich surfte nun seit mehreren Stunden im Netzt und finde nichts. Meine Augen sind gerötet und jucken an den Rändern. Die Sätze vor mir verschwimmen, ich verliere langsam den Glauben, rede mir ein, Roman würde nur Pokern, ein Spiel mit mir spielen, in Wirklichkeit hatte er nichts in der Hand. Der Artikel, den er meinte, existiere gar nicht. Ein guter Titel, eigentlich. Ich fühle mich wieder etwas wohler, erhalte Auftrieb. Sollte Roman sich das alles bloss ausgedacht haben, und das würde sich schon noch herausstellen, so würde ich ihn mir vielleicht zu Nutze machen. Dranmors Trauma.

Ich murmele ihn vor mich hin, spreche ihn mehrere Male laut aus. Ein bisschen viele R`s darin, vielleicht. Ein fränkischer Sprecher würde damit seine liebe Not haben, aber, nun gut, ein Titel, ein Haupttitel, wäre geboren. – Ich schenke nach. Mir ist der Wein ausgegangen, und kam heute nicht zum Einkaufen. Ich trinke nun mit Wasser gestreckten Averna. Eis gibt es nicht dazu, das Gefrierfach meines Kühlschranks ist zugefroren, und ich müsste es erst einmal abtauen, um wieder welches herzustellen. Zitronensaft ist noch zur Genüge da; aus jenem kleinen gelben Plastikbehälter in Zitronenform. Sollte sich die Avernaflasche heute noch leeren, blieb mir noch das Aquavit, das wohl deswegen noch vorrätig war, weil ich Kümmel auf den Tod nicht ausstehen kann.

Ich muss eine Pause einlegen. Es ist nun halb drei und ich beschliesse für heute aufzuhören. Morgen noch ein Arbeitstag und dann war schon Wochenende. Wenn ich nicht Roman treffe, würde ich viel Zeit haben und könnte mich in meiner Wohnung vergraben. Einmal Schlafen noch. Ich bin noch nicht müde und lege die zweite Buddenbrooks-CD ein.