Dranmor V,5

(In der Bibliothek I)

In der Bibliothek. Durch ein Bücherregal hindurchschauen. Zwischen Buchoberkanten und Regalunterseiten ist etwas Raum und dahinter der um diese Tageszeit nicht stark belegte Lesesaal gut überschaubar, und ein günstiger Platz schnell gefunden. Ich vergrabe mich hinter einer breiten Betonsäule und klappe meinen Laptop auf, schliesse ihn an der Steckdose an. Mache mich zu schaffen. Das schlechte Gewissen bei der Exzerpierung. Erst die Freude gestern, doch noch ein paar persönlichere Texte aus Dranmors Leben gefunden zu haben. Vermeintlich autobiographische Spuren, die sich in seinen Auslandsjahren angesammelt hatten, die sich mit in seine journalistischen Skizzen hineingeschrieben hatten, etwa in seiner Abhandlung über den “Handel und Wandel in Brasilien” – später dann in den weitaus resignativeren “Rückblick auf verunglückte Colonisationsversuche”, wie ich vermutete, in einem auf seine Persönlichkeit lesbares Wirtschaftsjournal, das ich gehoben hatte, wie ich denke, und dessen Existenz ich um jeden Preis verbergen will, ausschlachten will ohne Romans Wissen darüber, ohne selbst zu wissen, ob dies tatsächlich möglich war. Die Freude über diesen Fund und nun ein Gefühl der Inkriminierung, der flaue Magen, als stünde ich kurz vor einem Ladendiebstahl.

Ich weiss, Roman hatte mir schon viele Dinge verschwiegen, verschweigt mir immer wieder Dinge und hat dabei nicht die Spur eines schlechten Gewissens, sah in der Zurückhaltung von Dingen keine Beugung seiner Ethik der Sportlichkeit, wie er es einmal nannte. Und meine Wut darüber, nicht so sein zu können wie er, nicht aus meiner Sicht Unrechtmässiges ausblenden zu können, schon immer. Mit der Wimper zu zucken, zucken zu müssen wie bei einem Tick. Sagen zu müssen, das wäre immer schon so gewesen und dies als einzigen Trost gelten zu lassen.

Ich ziehe den Kopf ein, schrumpfe, denke ich, als das Bibliothekspersonal an mir vorbeigeht und in irgendwelchen Schubladen Zeitschriften sortiert und wieder an mir, hinter mir vorbeihuscht und mir über den Rücken schauen will. Ich beuge mich über den Tisch, über Bücher und Blätter. Und mich neugierig mustert, was ich wohl mit diesen alten Heften wolle, die auseinanderzufallen drohen, die auf speziellen Schaumgummiblöcken ruhen sollten, damit der Buchrücken nicht bräche, man würde sie mir an den Tisch bringen. Was ich mit diesen Schriften, die seit langer Zeit nicht mehr gelesen wurden und denen auch seit langer Zeit kein Forschungsinteresse entgegengebracht wurde, die ausgeforscht waren, die nutzlos seien, was ich mit diesen wohl anstellte, würden sie wohl denken.

(…)