Dranmor VI,6

(In Romanen ist alles anders)

Dann sind die Dinge wieder an einem Ort. Und das Dachzimmer leer und verlassen. Und die Dinge des Kellerzimmers vermeintlich gerettet, auch das Teelicht, das entdochtete, letztendlich der schwarzen Masse entrissen, die böse wurde und gelb, so sah es einen Augenblick aus, bis die Türe endlich geschlossen wurde und ein letztes Mal der Schüssel in ihr versenkt, gedreht und wieder entzogen wurde.

Das wenige, aber unentbehrliche, in der Wohnung auf die drei Zimmer verteilt: angenagte Stifte zu den trocknenden Blättern, die allmählich wieder ihre Schrift finden, soweit, dass jedes zweite Wort seinen Sinn zurückerhält, und das Teelicht ins Badezimmer, das schon lange nicht mehr leuchtet. Das würde sich ändern, sobald sich ein Docht fände.

Müssen irgendwelche Schlüsse aus dem alten Briefwechsel mit ihr gezogen werden? Oder aus den bleichen Schriften aus meiner, seiner, ihrer Hand?

Die Hände sind älter geworden. Benanntem entwachsen. Wie gross die Hände nun seien? Ihre, seine, meine? Und was sie nun packen und begreifen möchten, was sie schrieben: sich, einander. Das wäre gut, zu wissen.

Dranmor war ein zum Wissen Getriebener. Ein Wissenwollender, der, mutmasse ich, sich selbst vertrieben hatte. Eine reine Spekulation, sagte Roman einmal. Doch ob es üblich sei, gleich die Koffer zu packen, wenn eine Ahnung oder Vermutung auftauchte, dieser nachzugeben, und bald ein Schiff zu besteigen?

Ein Berufener eben, würde ich nun sagen, kein Getriebener, er wollte das, weil er es musste, und Brasilien sei nur ein möglicher Ort gewesen, um Gutes zu tun, dachte er vielleicht. Oder um etwas hinter sich zu lassen. Wahrscheinlicher ist aber, dass er sich ein romantisches Holzhaus in irgendeinem Dschungel phantasierte, und ein paar Vögel, Arenaviridae, eine freundliche Frau, ein paar Bücher, die er dann ungestört verschlingen und beschriften konnte. Letzteres ist wohl das Wahrscheinlichste.

Roman meinte aber nicht Dranmor, als er das damals sagte. Er meinte möglicherweise mich, ahnte, wie ich einmal vor meinem Kleiderschrank stehen würde, jetzt, und nach frischer Wäsche suche, Weniges finde und in eine Tasche werfe. Schnell.

Und den Laptop verpacke, auf die Uhr schaue, immer wieder, ungläubig, dass ich mich zum Verreisen entschlossen habe. Ob ich es noch rechtzeitig schaffe? Halb Acht und die Strassenlampen entflammen.

Dieser Abstecher muss sein. Sie würden das nicht durchhalten. Sie bleiben schön zuhause, würde jemand sagen, und er und sie: Das ist vielleicht keine gute Idee, jetzt. Ich solle mich doch erst einmal ein bisschen erholen. Aber sie wissen es nicht. Nur ohne Medikamente, Motivationsverstärker, gewisse stabilisierende Substanzen, würde es tatsächlich schwer werden und ich kümmere mich. Es liegt auf dem Weg. Man muss nur wissen, was man wolle, fragen und ein wenig die Augen offen halten. Und nur abgezähltes Geld, versteht sich, ich hatte ja schon Erfahrungen gesammelt. Acht Uhr. Die Tasche. Der Laptop. Ist das Gas abgestellt? Dreimal versichere ich mich. Auch dreimaliges Versichern, ob die Wasserhähne nicht mehr tropfen, alle Türen geschlossen, der Keller versiegelt, die Dachstube dicht, sodass die Wörter nicht daraus flössen.

Und die Strasse mucksmäuschenstill, beobachtet mein Davonstehlen, misstrauisch, wie ich mit Münzen einen Automaten füttere, die Billete nur widerwillig ihr warmes Gehäuse verlassen. Aber da ist schon die Tram und wir müssen nicht mehr frieren.

Die Briefe und Aufzeichnungen! Ich habe sie auf dem Küchentisch liegen lassen, weiss nicht mehr, ob unabsichtlich oder in der Einsicht, sie würden nichts nutzen oder müssten noch trockener werden, oder brächten nichts, dort, wo ich hinwill. Oder die Angst, dass sie dort wieder unlesbar würden. Es war also eine Sicherheitsmassnahme, so deute ich das jetzt.

Nach zwei Stationen füllt sich die Tram, nach vieren entlässt sie ihren Inhalt wieder. Die Abendgäste der Stadt und mich, der noch einen kleinen Umweg über den Nadelpark macht. Die Verreisenden gehen dort hin, die Hinterherreisenden in die andere Richtung, dorthin, wo es die sündigen Sachen gibt, und die, die man manchmal brauch, um sich wieder zurechtzurücken. Es ist noch früh, für diesen Park, und kaum Betrieb und darum kaum Kontrolle, und keine Fahnder zu erwarten. Ich schaue mich um.

In Romanen warten Protagonisten eine Weile, bis man sich in solchen Situationen um sie kümmert. Hier taucht aber ein Dünner auf und spricht mit mir und weiss sofort, was ich suche. In Romanen gibt es in solchen Situationen Schwierigkeiten. Hier gebe ich dem Dünnen Geld, versuche etwas zu handeln, bin aber zu müde, um mir vermeintliche Vorteile zu schaffen und willige auf eine Anzahlung ein, er brauche das, und: er sei gleich wieder da.

In Romanen würde niemand mehr auftauchen, aber hier kommt der Dünne nach zehn Minuten, die sich wie fünf verhalten, zurück – so schnell kann Zeit auch vergehen, wenn man sie drängt – und sagt, es sei alles kein Problem gewesen. Es sei etwas teurer geworden, aber dafür, er schiebt es mir umständlich in die Hand, reiche es für mindestens zwei Wochen. Sehr potent, ich solle mit der Dosierung etwas aufpassen. Ich möchte nicht diskutieren, wir sind hier in keinem Roman. Danke, ja, Merci, gute Reise.

Der Weg durch die Menschenmenge in der Unterführung muss mit einer eiligen und aggressiven Mine erkämpft werden. Die Leute weichen tatsächlich aus und ein weiterer Blick auf die Uhr bestätigt: es bleibt noch genug Zeit, ich bin regelrecht früh am Bahnsteig, muss mich nun vorsehen, dass ich nicht doch entdeckt werde und die Sache peinlich wird.