Eine imaginäre Universalbibliothek des Privaten

(M33)

Damit stellt sich die Frage nach dem „Übergang“ von privat-biographischer zu öffentlich-politischer Geschichte. Im Gedankenexperiment der Universalbibliothek ist auch das nur eine Sache der Größenordnung. Zwar würde eine Bibliothek, in der alle Handlungen aller Menschen innerhalb eines Jahres minutissime beschrieben wären, ungleich umfangreichere vielbändige Werke erfordern als jene öffentliche Geschichte der Erde; aber auch sie wäre doch enthalten in der Universalbibliothek aller durch Kombinatorik erzeugbaren Bücher. Jede Historia privata ließe sich aus ihr aussortieren. (…)

Es ist aber nicht ohne Reiz zu sehen, wie Leibniz die Geschichte des Individuums für so viel darstellungswürdiger hält als die politische, daß er ihr ohne metaphysische Begründung und Wertung, bloß für den Zweck der Fiktion, einen so ungleichen Beschreibungsaufwand zubilligt, nach dem ein Jahr privaten Lebens mindestens ebenso inhaltsreich wäre wie die Geschichte der öffentlichen Angelegenheiten in dem gleichen Zeitraum.

aus: Hans Blumenberg, Eine imaginäre Universalbibliothek. In: Akzente. 28. Jg., 1981. Heft1. S.30f.