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(E12a)

Was alles in Zeitungen steht. Sind die Zeitungen die verwitterten Bücher von Morgen? Die Bücher gestrige Zeitungen? Das Heute: ein Meer von beidem, das um seinen Träger kämpft, das sich in alles versucht einzuschreiben, was Widerstand bietet, dachte Benedikt, als er im letzten Drittel des Hubs angekommen war.

War er da nun Stunden davor gesessen, oder waren es Tage, die er aufgewendet hatte in diese Flüchtigkeit einzutauchen? Unfähig die Grenzen zu erkennen, die nur formal angedeutet wurden. Wer sprach da?, fragte sich Benedikt, als er wieder einem langen Zeilenzug aufgesessen war. Wer kümmerte sich um den Fahrplan dieser Meinungen und Bedeutungszuschreibungen, die sich – rückwärts gelesen – alle überschrieben und ineinander verflochten und an ihrem Grund wieder aufhoben zu einer runden Sache? Die aber stets gegeneinander zu arbeiten trachteten. Wen kümmerts überhaupt, seufzte Benedikt erneut, denn der Sog, der von diesen Linien ausgelöst wurde, füllte den kahlen Raum mit angenehmer Wärme, federte von einer Aussenwelt ab: Türsummer, Klopfen, Rufe wurden zu Nebensächlichkeiten.

Auch Anrufe waren eingegangen, schwer oder kaum entgegengenommen. Das überliess er der Maschine. Sollte sie doch machen, sie wurde bezahlt. Und nur einmal kolportierte sie ihm eine Stimme mit Relevanz und starker Strahlung: Röhrling. Er erkundigte sich knapp, wie es denn nun war. Wie es stünde und ob es etwas Neues zu berichten gäbe. Der alte Mann. Was will er Neues? Das Neue lag vor ihm sichtbar, beinahe verarbeitet und liess sich einen grauen Bart wachsen. Dann gab es noch die mechanischen Anrufer der Callcenter, an denen Benedikt sein Vokabular aus der untersten Schublade testete. Ausspie. Sonst: nur weniges.

Gerade wollte Benedikt mit der siebten Woche vor seiner Zeitrechnung beginnen, nachdem er seine zwei Listen, die Tätigkeits- und Untätigkeitstabellen überprüft und abgeglichen hatte, die befanden: Zeit genug bis zur nächsten Be- und Entsorgung, körperseitiger Stoffwechsel und der der Wohnung, der Luft, die in den Zimmern stand, da hörte er ein Knirschen, wie es entsteht, wenn ein Postbote einen Umschlag durch einen Türschlitz zwängte. Zwischen Unterkante Türe und verkrustetem Parkett.

Wozu auch Absender? Mit dieser Mode kommunikativen Verhaltens konnte sich Benedikt durchaus anfreunden. Wieder enthielt der Umschlag nur einen Ausdruck, dessen einzige Referenz ein samtenes Mäntelchen war, innen, das ihn umschloss und liebevoll schützte. Ausdrücklich: ein Digitalisat eines Katalogisats. Maschinenschrift eines Zahlenzeichenklons an der Seite links oben, etwas darunter: Natürlichsprachiges, Zisch- und Sprühlaute, vokalarme Baustellen anderer Planeten. Gleich daneben: ein Häufchen Wörter, aus dem er durchaus etwas zu bilden in der Lage war. Ein fast leserlich invertierter Name mit Herausgeberkürzel eines: ja, was war es denn nun?, grübelte Benedikt. Jedenfalls stand dahinter: Geschichte machen. Quantenphysikalische Thesen zu einer allmählichen Fiktionalisierung unseres Seins.

Ein Aufsatz in diesem Sammelband. Nun konnte er sich beinahe denken, wer hinter dieser Depesche steckte. Einen Zusammenhang, einen Ort, Schnittpunkt oder Radianten, kurz: einen präzisen Auftrag konnte Benedikt sich daraus leider nicht zusammenreimen. Dabei begann er aber leichte, kognitive Verbindungen mit dieser Information zu verspüren, bis er stutzig wurde. Der Eintrag war von einem Sachbearbeiter schon vor mehr als vierzig Jahren angelegt worden. Das war ein Jahr nach Erscheinen der Schrift, deren Autorschaft aber ganz zweifelsfrei auf Anna verwies. Freilich musste es sich hierbei um einen Tippfehler handeln. Anna wäre demzufolge noch lange nicht einmal Säugling. Noch bemerkenswerter allerdings war ihm das Datum des Poststempel. Dieses lag ebenfalls um die vier Jahrzehnte zurück, und der Umschlag – wie Benedikt fachmännisch aus seiner Grösse, der Papierbeschaffenheit und Schreibmaschinentypographie der Anschrift herauslas – deutet auf ein Relikt dieser Zeit. Die Briefmarke, die nur eine mathematische Funktion, oder war es eher der Grundriss eines Raumes?, zierte, schien dagegen aus einem Land, von dem er noch nie gehört hatte. Und Währung und Sprache … das alles war mehr als mysteriös. Benedikt befiel eine Mulmigkeit, von der er sich nicht so schnell erholen konnte und auch die unberichteten Tatsachen, die bald in der Küche zu lärmen begannen, konnten dieses nicht sedieren.

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Als Benedikt alle Nummern in vier Anläufen gewählt, dabei aber jeweils nur einen Hinweis auf die Besetztheit des anderen Endes der Leitung erhalten hatte, und stattdessen mit der Topten der aktuellen Hitparade verbunden wurde, wie er vermutete, warf er den Hörere wütend in die Matratzengruft, rasierte und duschte sich nicht, griff nach seiner muffelnden Öljacke und einem Schirm und verliess stinkend seine Wohnung.