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  • Silvia Kühnel: Lieber Claus, habe schon mal vor einigen Jahren geschrieben, weil ich die Idee mit der Kunstfigur gut finde. Ein frohes Fest und ein gutes neues Jahr und viel Freude mit dem Stipendium. Silvia (Buchhändlerin in Dortmund)
  • irisnebel: klasse! gratuliere! musst du ne gegenleistung bringen? als stadtschreiber z.b.?
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  • bersarin: Literarisches Bloggen, liebe Aléa Torik, funktioniert durchaus. Freilich nur bei den wenigsten. Das meiste, was geschrieben wird, stammt aus dem Klein-Klein der Halbgarküchen, ist Poesiealbumsprosa von Minderleistern, Befindlichkeitsscheiße ohne Form. Ich schreibe dahingehend und als...
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  • Norbert W. Schlinkert: Liebe Aléa, Du hast überschüssige Energie!? Da werden Dich viele drum beneiden, umso besser also, wenn sie in etwas fließt, was Sinn zu machen verspricht. Was soll man also dazu sagen? Ich sage: Es lebe die Literatur! Und Gratulation natürlich zum vollzogenen Ausstieg aus...
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  • Aléa Torik: Lieber Norbert, man ist ja einiges gewöhnt bei den Autoren. Was die alles tun, um gelesen zu werden, beispielsweise das Schreiben seltsamer Bücher. Ich fände es allerdings doch etwas übertrieben, wenn sich ein Autor nach dem Schreiben seines Buchs sogleich aus dem Leben verabschiedet:...
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  • Aléa Torik: Lieber holio, Sie haben recht, die Politik lassen wir hier außen vor. Richtig glücklich bin ja auch nicht mit dem Etikett der Postmoderne. Aber irgendwie müssen wir es ja benennen. Sagen wir Transmoderne. Die wesentliche Information ist allerdings angekommen, schon lange: dass Sie...
  • Aléa Torik: Lieber Norbert, fein, dass ich dich zum Assoziieren bringe. Dass steter Tropfen den Stein höhlt, habe ich bisweilen schon gehört. Aber hat mal jemand gefragt, was mit all den ausgehöhlten Steinen anzufangen ist? Wozu Steine höhlen? Was Cărtărescu betrifft, ich habe es in dem Essay...

  • 12 Januar 2011

    Unendlicher Spaß III: Verschleierung und Enthüllung

    In meinem ersten Beitrag „Chaos und Kosmos“ habe ich die Behauptung aufgestellt, man könne anhand von Gegensatzpaaren Unendlichkeiten beschreiben. Ich wollte Joelle van Dyne als das Zentrum des Romans verstehen. Nicht allein, weil sie die Hauptrolle in dem Film spielt, der dem Roman seinen Titel gibt, sondern vor allem weil sich am Thema Schönheit, an der Gegensätzlichkeit von Schönheit und Entstellung, der Begriff der Unendlichkeit fassen lässt. Dieser Begriff scheint mir für das Verständnis des Romans von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit.

    Beim Stand meiner Lektüre, Seite 1100, gibt es neben einer Handvoll Anspielungen auf Joelle lediglich drei größere Textstellen, in denen sie eine Rolle spielt. Die Party der Freundin Molly Notkin, auf der sie Crack raucht und eine Apnoe erleidet (S. 316 – 344), das Gespräch mit Gately im Ennet House (S. 766 – 776) und schließlich ihr Bericht über das Verhältnis zu Orin und seiner Familie (S. 1056 – 1073). Ich möchte lediglich das Gespräch zwischen Joelle und Gately näher anschauen. Das sieht vom Umfang her kaum aus wie das Zentrum eines 1500-Seiten Romans. Die beiden sitzen am frühen Morgen im Erdgeschoss der Entzugsanstalt und schauen aus dem Fenster. Gately fragt Joelle wie es unter ihrem Schleier aussieht. Er will sich ein Bild von ihr machen.

    Um zu verstehen, was es heißt, sich ein Bild zu machen, untersuche ich einige Zeilen aus der „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist. Die Figur der Penthesilea steht historisch betrachtet an einer Zäsur. Als Vertreterin eines primitiven Volkes, ja als seine höchste Repräsentantin, ist ihr die individuelle Partnerwahl nicht erlaubt. Eine Amazone muss einem Mann im Kampf begegnen. Geht sie als Siegerin aus der Konfrontation hervor, kann sie mit dem Besiegten nach Belieben verfahren. Was die Amazonen von den Besiegten wollen, ist eindeutig: sie wollen mit ihnen schlafen. Sie wollen lieben und geliebt werden. Aber Liebe ist nur unter dem Patronat der Gewalt denkbar. Die Gegner auf dem Schlachtfeld verstehen nicht, dass diese Frauen Gewalt anwenden, weil sie das Gegenteil wollen. Individualisierung – durch persönliche Interessen oder die selbständige Wahl eines Liebespartners – ist den Amazonen aus historischen Gründen nicht erlaubt. Penthesileas Mutter hatte ihr auf dem Totenbett jedoch prophezeit, dass sie sich in Achill verlieben werde. Mit der Liebe, und mit der Sehnsucht nach einem bestimmten Liebesobjekt – also nicht mehr einem Mann, den der Zufall ihr im Kampf zuführt – beginnt Penthesilea ihre Individualisierung. Schlafen kann man zur Not noch mit jedem, aber lieben kann man nicht jeden. Um dem überlieferten Selbstbild Genüge zu tun, muss sie den Held der Griechen, als sie vor den Toren Trojas aufeinandertreffen, im Kampf unterwerfen. Als Individuum aber ist sie ihren eigenen Empfindungen unterworfen. Es kommt im Verlauf der Tragödie zu einer Konfrontation verschiedener Ebenen der Persönlichkeit Penthesileas. In der 15. Szene, da sie, einem Irrtum unterliegend, sich als Siegerin des Zweikampfes wähnt, will Achill wissen, wer sie ist und was, sollte seine Seele ihn fragen, er ihr sagen könne. Darauf antwortet Penthesilea:

    „Wenn sie dich fragt, so nenne diese Züge
    Das sei der Nam‘ in welchem du mich denkst.-
    Zwar diesen goldnen Ring hier schenk‘ ich dir,
    Mit jedem Merkmal das dich sicher stellt;
    Und zeigst du ihn, so weist man dich zu mir.
    Jedoch ein Ring vermiß’t sich, Namen schwinden;
    Wenn dir der Nam entschwänd, der Ring sich misste:
    Fänd’st du mein Bild in dir wohl wieder aus?
    Kannst du’s wohl mit geschloßnen Augen denken?“

    Erst als Achill ihr das Bild zurückspiegelt, das sie von sich selbst hat, erst als er ihr dies Selbst bestätigt, nennt sie ihm ihren Namen. Der Name ist ihr ebenso unwichtig wie ihre Funktion als Königin. Sie fragt nach ihren Zügen, nach ihrer Eigenheit. Achill soll Penthesileas „Züge nennen“ und ihr Bild, ihr Gesicht, ihr Auftreten, ihr Sprechen, ihre Individualität – das was sie von den anderen Amazonen unterscheidet – ; dies sei „der Nam‘ in welchem du mich denkst“. Am Ende der Tragödie steht Penthesilea fassungslos vor der verstümmelten Leiche des Achill. Sie fordert Rechenschaft und will wissen, wer für diese unfassbare Tat verantwortlich ist. Der letzte, der 24. Auftritt, ist das Beste, was ich aus der deutschen Dramatik kenne. Penthesilea blickt, heißt es in den letzten Zeilen des vorhergehenden Auftritts „in das Unendliche hinaus“. Sie, die die Handlung immer weiter getrieben hat und die, von ihrer Begierde getrieben, kaum einen Moment der Ruhe erlebte, steht da, handlungsunfähig, ja geradezu gelähmt. Sie weiß nicht, dass sie selbst es war, die Achill zerfleischt hat, weil ihr dieses Selbst im Konflikt divergierender Ebenen ihrer Persönlichkeit abhanden gekommen ist. Diese konfligierenden Seiten sind Freiheit und Zwang, Selbstbestimmung und Unterwerfung, Matriarchat und Patriachat und vor allem Selbstbild und Fremdbild. Das Bild, das sie von sich hat, lässt sich nicht als ein einheitliches verstehen und erkennen. Die Einheitlichkeit muss Penthesilea erst wiederherstellen. Diese Wiederherstellung ist zu verstehen als ein Zurückgewinnen ihrer Handlungsfähigkeit. In vollkommener Übereinstimmung von Rede und Handlung, von Wort und Tat erschafft sie ihr Selbst, und zwar als ein einheitliches, indem sie sich, oder besser gesagt indem sie dieses Selbst vernichtet. Sie stellt das Bild von sich wieder her, indem sie sich tötet.

    Der Schleier ist heute, soweit ich weiß, ausnahmslos in arabischen Gesellschaften akzeptiert und teilweise auch gefordert. Er ist ein Attribut der Frau. Das Weibliche ist das Verschleierte. Durch den Schleier soll der Blick unterbunden werden. Aber die verschleierte Frau sieht die Blicke der anderen ja dennoch. Sie kann sogar unbeobachtet zurückschauen. Und der Mann schaut ja trotz des Schleiers hin, er ist womöglich umso neugieriger. Verschleierung soll, so die gängige Interpretation, das Begehren des Mannes im Zaum halten. Es gibt allerdings auch eine Verschleierung, die gerade in westlichen Gesellschaften besonders stark ausgeprägt ist, die Kleidung. Kleidung dient kaum noch ihrer ursprünglichen Funktion, dann bräuchten wir nicht fünf Mäntel und zehn Paar Schuhe. Die Kleidung ist ein Spiel mit der Nacktheit. Auch hier geschieht die (Ver-) Kleidung vor allem auf dem Körper der Frau. Frauen müssen jederzeit sexy, erotisch und begehrenswert sein. Der weibliche Körper wird in taillierte Kleider gezwängt, Frauen stöckeln mit hohen Absätzen und Hotpants durch die Gegend und zeigen in manchmal geradezu grotesken Dekolletés ihre Brüste in der Öffentlichkeit herum. Auf ihren Körpern findet ein Spiel statt, das zwischen Enthüllung und Verbergen changiert, zwischen Verheimlichen und Veröffentlichen. Dieses Spiel ist ein Spiel mit dem Blick des anderen. Das Gesicht ist der Ort, an dem dieser Blick aufgenommen, erwidert oder abgewiesen wird. Wenn Blicke nicht zugelassen werden, dann wird das Begehren nicht zuglassen. Das Begehren zu sehen und zu erkennen. Zu sehen, wie der andere aussieht und zu erkennen, wer er ist. Während der Schleier arabischer Gesellschaften das Weibliche in den Hintergrund drängt, um das Begehren im Zaum zu halten, will die Verkleidung westlicher Gesellschaften das Weibliche in den Vordergrund rücken, um dieses Begehren gerade zu entfachen.

    Und wie man der einen Gesellschaft vielleicht vorhalten könnte, sie habe keine Vorstellung von der Lust, so könnte man der anderen vorhalten, sie habe keine von der Scham. Aber womöglich zeigt sich in den Schlafzimmern beider Gesellschaftsmodelle, dass sie sehr wohl einen Begriff vom jeweils anderen haben. Die scheinbare Zügellosigkeit westlicher Lebensformen, die Ausrottung der Intimität durch Voyeurismus, zieht möglicherweise die Mauern der Schamhaftigkeit umso höher. Auch die Gegensätze Lust und Scham müssen in einem Verhältnis zueinander stehen, sonst sind sie keine Gegensätze und eröffnen keine Unendlichkeiten, sondern lediglich Abgründe.

    Das Gespräch zwischen Joelle und Gately dreht sich um dieses Thema, um Sehen und Verbergen, um Begehren und Entbehren, um den Blick und die Lust, die den Schleier lüften, und um die Scham, die ihn aufrechterhalten will. Eingeleitet wird es mit dem scheinbar absurden Beispiel einer Frau, „bei der jedes Bein kürzer war als das andere“. Bei einem Vergleich dient in der Regel die eine Seite als absoluter Wert, an der die andere Seite gemessen wird. Diese Relation zwischen Maß und Gemessenem fällt hier aus: beide Beine sind kürzer! Wittgenstein sagte einmal, und es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass DFW diese Stelle kannte: „Man kann von einem Ding nicht aussagen, es sei 1 m lang, noch, es sei nicht 1 m lang, und das ist das Urmeter in Paris.“ Ein wenig verkürzt (!) ausgedrückt: Man kann das Maß an das zu Messende halten, aber danach das Gemessene an das Maß zu halten, ist sinnlos. Mehr noch, es ist absurd. Weil man dann überhaupt keine Aussage mehr treffen kann, weder über das Maß noch über das Gemessene. In der Behauptung jedes Bein sei kürzer als das andere fällt das Maß weg, und damit der absolute Wert, an dem der relative gemessen werden könnte. Ein wenig gestreckt (!) könnte man sagen: genau darum dreht sich auch das folgende Gespräch zwischen Gately und Joelle, um den Wegfall jeglichen Maßes, um Maßlosigkeit. Es geht um Schönheit und Entstellung. Und damit um ein Sujet, für das es kein Maß gibt.

    Dieses Gespräch hat zwei Ebenen. Beide Ebenen sind gleichzeitig präsent. Auf der ersten Ebene will Gately von Joelle lediglich die Erlaubnis zu fragen, was sich hinter dem Schleier verbirgt. Sie soll mit Ja oder Nein antworten. Auf dieser Ebene erhält er eine indirekte, ablehnende Antwort. Trotz dieser Ablehnung fragt er, das ist die zweite Ebene, dennoch nach ihrer konkreten Entstellung. Und auf dieser Ebene erhält Gately, trotz der Ablehnung auf der ersten Ebene, auch eine Antwort. Weil er die Ablehnung auf der ersten Ebene erhalten hat, nimmt er die Antwort auf der zweiten Ebene auch nicht ernst. Obwohl er dort genau das zu hören bekommt, wonach er gefragt hatte. Die beiden Ebenen hemmen sich gegenseitig.

    Gately will wissen was „fehlt“. Er wird mit seinen Fragen immer direkter „darf ich fragen, wie du entstellt bist?“, und dann fragt er ganz konkret, „was dahinter los ist, ob du schielst oder einen Bart hast“. Joelle antwortet auf seine Fragen nicht mit einer konkreten Auskunft zu ihrem Aussehen. Sie erklärt ihm stattdessen sehr genau die Gründe für das Tragen des Schleiers mit ihrer Mitgliedschaft in der L.A.R.V.E., der „Liga der Absolut Rüde Verunstalteten und Entstellten“. Deren Mitglieder erklären, indem sie den Schleier anlegen, „dass sie ihre Sichtbarkeit zu verstecken wünschen“. Hinter dem Schleier versteckten die Entstellten nicht nur ihr Gesicht, sondern ihre Scham darüber, sich verstecken zu wollen. Komprimiert heißt das: „Du versteckst dein Verstecken.“ Joelle zeigt Gately, dass bei ihm genau dieselbe Struktur vorliegt, wenn er glaube, er sei nicht plietsch genug, sich seiner Unplietischigkeit schäme und sie vor anderen zu verbergen suche. Danach geht das Gespräch wieder zu Joelle über und sie antwortet auf die konkreten Fragen schließlich mit einem Paradoxon. Wie immer ihre dann folgenden Formulierungen in der konkreten Situation und im Roman zu bewerten sind, da es diverse Anspielungen auf einen Säureangriff gibt, sie beantwortet die Frage sogar drei Mal direkt hintereinander: „Ich bin dermaßen schön, dass ich jeden fühlenden Menschen ganz einfach um den Verstand bringe. […] Ich bin so schön, dass ich entstellt bin. […] Ich bin vor Schönheit entstellt.“

    Was ist denn Schönheit? Ist das Faszinierende an ihr das Enthüllende? Oder ist es vielmehr das Rätselhafte, das Verschleierte und Verkleidete? Schönheit bei Menschen ist keine abstrakte Schönheit. Der Betrachter fühlt sich hingezogen, oder sogar hineingezogen. Er taut auf und schmilzt dahin. Womöglich fühlt er sich auch abgestoßen von zu viel Schönheit und Oberfläche. Die Frage nach Schönheit wird die U.S.S.M.K., die die Wimpern Marios vor Verlangen die Wände hochgehen lässt, anders beantworten als Gately. Joelle war als junge Frau ungewöhnlich schön – es sind nicht viele Schönheiten, die dieses Buch bevölkern, spontan fällt mir nur noch Avril ein und die Schönheit dieser beiden Frauen wird wohl einer der Gründe sein, warum sie einander nicht mochten – inzwischen liegen aber Jahre des Crackrauchens hinter ihr. Aus dem schönen Gesicht ist wohl ein zumindest beanspruchtes Gesicht geworden. Sie hat vermutlich, wie die vielen Junkies in diesem Buch, wie Hal und sein Vater, miserable Zähne. Wenn sie noch welche hat.

    Wie ist dieses Gespräch für die Figur der Joelle zu bewerten? Liegt ihr Reiz, nicht nur in dieser Situation, sondern auch in dem Film, womöglich gerade in dieser Ununterscheidbarkeit, in der Gleichzeitigkeit einander ausschließender Gegensätze? Ununterscheidbarkeit, die anhält, solange sie den Schleier trägt. Nach der Schlägerei und der Verletzung Gatelys sagt Joelle, dass sie sich nach langer Zeit zum ersten Mal vorstellen könne, den Schleier abzulegen. Das legt eher die Vermutung nahe, dass sie nicht etwa befürchtet ihr Gegenüber erstarre vor Schreck oder Anbetung. Das Anlegen des Schleiers hat wohl etwas mit dem Beziehungsende zu Orin zu tun, mit dem Ende einer Liebe und wenn sie jetzt an das Ablegen des Schleiers denkt, bedeutet das womöglich eine neue Liebe: Gately. Mit dem Ablegen des Schleiers käme nicht nur etwas ans Licht, die konkrete Entstellung, es verschwände auch etwas anderes, die Indifferenz, die Ununterscheidbarkeit. Vielleicht ist es gerade das, vor dem Joelle zurückschreckt. Als Madame Psychosis hatte sie in ihrer Radiosendung aus einer Schönheitsbroschüre folgenden Satz vorgelesen: „Die Wichtigkeit einer Maske liegt darin, den Kreislauf anzuregen.“ Also in übertragendem Sinne, Vorstellungen anzuregen und Phantasien zu beflügeln. Damit hätte es, wenn die Maske fällt, ein Ende.

    Interessant in diesem Zusammenhang ist die Frage, was mit Joelle nach der Beziehung zu Orin geschehen ist. Denn zuvor war sie lediglich ungewöhnlich schön, aber noch nicht, was sie jetzt ist: lähmend schön oder lähmend abstoßend oder lähmend unentschieden. Ist die Faszination dieser Frau im Film vielleicht eher darin zu suchen, was Marathe vermutet, dann „Reiz plus Dichte“ zu viel für den Betrachter sei. Somit wäre die Wirkung der Joelle im Film eher in den Fähigkeiten des Regisseurs als in denen seiner Darstellerin zu suchen. Die Fläche für Projektionen – Kinoleinwand und Gesichtsschleier fallen hier zusammen – ist jedenfalls, solange man nichts sieht, außerordentlich groß. Vielleicht ist es gerade dies, was sich als das Lähmende erweist. Ähnlich wie in der Eifersucht, wo nicht der Betrug das Lähmende ist, die Tatsache, das Ja oder das Nein, sondern die Unsicherheit, ob er tatsächlich stattfindet. Die Unsicherheit über den anderen und die Unmöglichkeit Treue oder Untreue voneinander zu unterscheiden, da beides gleichermaßen möglich ist.

    Welche Begriffe man auch nutzen mag – Unsicherheit oder Indifferenz oder Gegensätzlichkeit oder Dichotomie oder Gleichzeitigkeit – man könnte dies noch weiter treiben, bis hin zur modernen Physik und zur Unschärferelation. Ja sogar bis zu einer geschlechtlichen Unschärferelation: An einer Stelle wird Joelle einmal Jo Elle genannt. Ist sie vielleicht ein Mann (eine Frage, die letztlich wohl nur Jesus Jerkoff beantworten kann)? Orin, der Frauenheld, der gar nicht genug Sexualobjekte akquirieren kann und der ihnen nach dem Sex eine Acht auf die Flanken malt, das mathematische Zeichen für Unendlichkeit; Orin ist nicht einmal in der Lage die massive Erscheinung der Helen Steeply als einen transvestierten Mann, Hugh Steeply, zu identifizieren. Helen, der permanent die Brüste verrutschen, die offenbar nichts Feminines an sich hat und deren einziges weibliches Accessoire ihre Handtasche ist. Und zwar das Innere der Handtasche (!), welches von Spezialisten des Agentenwerkes „zur Herstellung des Weiblichkeitseffekts“ (S. 621) hergerichtet wurde. Weiblichkeit wäre dementsprechend nichts Äußerliches, sondern etwas Inneres, etwas Inwendiges und Verborgenes. Liegt der Reiz der Joelle vielleicht gerade darin, dass sie gar keine Frau ist?

    Eine andere Möglichkeit zur Interpretation zeigt sich, als die angebliche Helen Steeply in der E.T.A. zu Besuch ist und für ein Interview recherchiert. Sie fragt nach dem Akademiegründer und seiner Tätigkeit als Filmemacher. Poutrincourt antwortet darauf, dass Incandenza die Arten des Sehens analysierte: „Die Analyse galt weniger der Frage, wie man etwas sieht, als der Beziehung zwischen Seher und Gesehenem. Das setzte er auf die vielfältige Weise auf den verschiedensten Gebieten um.“ (S. 979) Möglicherweise, damit sind dann auch die Grenzen der Interpretation erreicht und die Strapazierbarkeit des Motivs der Gegensätzlichkeit ebenso, hatte man als Betrachter dieses Films nicht nur das Gefühl etwas zu sehen, sondern auch das, gesehen zu werden.

    Was sehen wir denn, wenn wir einander ansehen und wenn kein Schleier uns hindert? Unser Äußeres ist das Äußere unseres Inneren. Und nicht irgendein anderes Äußeres, ein arbiträres, willkürliches, zufälliges. Wir sind daran gewöhnt, als unser Ich oder unser Selbst zu empfinden, was wir sehen. Vielmehr, und das macht die Sache etwas kompliziert, das als unser Selbst zu empfinden, was wir nicht sehen; unser Selbst ist das, was die anderen sehen. Was wir sehen, ist das Selbst der anderen. Dieses Selbst ist keines, das von allen anderen separiert ist. Es ist keine solipsistische Konstruktion. Das eine Selbst entsteht vielmehr an den Grenzen zu den anderen: durch deren Zuschreibungen und Spiegelungen. Wir bekommen unser Selbst – vor dem Spiegel oder in irgendeiner anderen reflexiven Verfahrensweise – nicht so zu greifen, wie andere es uns begreifen lassen. Strenger formuliert könnte man sagen, dass ein Selbst nur dort das eigene Selbst ist, wo wir es durch einen anderen begreifen.

    Gately fragt nach einer binären und abstrakten Opposition (Ja – Nein, Entweder – Oder) und kann die binäre konkrete Antwort (Sowohl – Als auch) erstaunlicherweise nicht deuten. Dass Gately ganz direkt fragt „darf ich fragen, wie du entstellt bist?“, ist, so empfinde ich das, keine unstatthafte Neugier. Er will sich ein Bild machen, nichts weiter. Ich lese dieses Gespräch der beiden als eine, allerdings ziemlich ungewöhnliche Liebesszene. Joelle reagiert darauf, indem sie sagt, dass sie sich vorstellen könne den Schleier abzulegen. Das verleitet mich zu der Annahme, dass sie zu derselben Interpretation dieses Gesprächs kommt wie ich auch. Wie Gately darauf reagiert, weiß ich noch nicht. Das ist der Preis des chaotischen, mobilierten Erzählens: die einzelnen Mobileteile und Bilder sind schnell mal wieder viele hundert Seiten lang weg; Gately ist, nachdem er angeschossen wurde, nicht wieder in den Vordergrund getreten. Möglicherweise wird er auf das von Joelle formulierte Paradoxon, den Zusammenfall der Gegensätze, reagieren. Diese Reaktion wäre möglicherweise die erste Wahl, wenn es um die weitere Einordnung des Begriffes Unendlichkeit im Zusammenhang mit der Schönheit Joelles geht. Schönheit ist – Urmeter hin oder her – immer auch eine Erfahrung der Maßlosigkeit. Und, mit meinem oben dargelegten Ansatz, auch eine Grenzerfahrung des Ich. Weil wir in der Schönheit, zumindest in der optizentristischen Variante, auf den Blick des anderen angewiesen sind. Um uns selbst und um den anderen zu erfahren. Selbst in der O.N.A.N.ie ist der andere absolut irreduzibel für die Selbst-Erfahrung.

    Um mit den Worten DFWs zu enden, natürlich im Rahmen meines Themas, Gegensätzlichkeit als Möglichkeiten das Unendlichkeit zu fassen: „Je näher die Konkretisierung rückt, desto abstrakter wird sie.“ (S. 344) Das ist mehr als bloß witzig. Kurz vor einer Prüfung oder einem wichtigen Termin kann man sich das Bevorstehende kaum noch vorstellen. Vielleicht, weil da keine Vorstellung mehr vonnöten ist? Ganz nah am Gesicht eines anderen, verschmilzt dieses andere mit dem eigenen Gesicht und das andere Selbst mit dem eigenen. Vielleicht, weil da keine Vorstellung mehr vonnöten ist? „Vielleicht“ ist eine komfortable Mitte zwischen Ja und Nein. Aber letztlich unbefriedigend.

    Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
    geschehn aus unablässigem Bestreben.
    Aléa hat’s hierher gestellt,
    und zwar soeben.



    Kommentare

    Kommentar von avenarius
    Datum/Uhrzeit 13. Januar 2011 um 00:36

    Liebe Alea,
    ich bin noch viel fauler als Sie; aber gleichzeitig im Verschenken unschlagbar.

    Wovon ging der Mönch nun hauptsächlich noch aus: dass Gott nur redet, wenn die Kreatur schweigt!
    Puritanisch, calvinistisch wie er war, mürrisch und der endlichen Gnade harrend, entwickelte sich ihm unter den Hand und in einem Husch – der gefühlvolle Lebensschwung weltlichen Treibens. Wie konnte dies geschehen?

    Die Zeilen über `Penthesilea` finde ich mehr als intelligent.
    Sie stellen sehr klar heraus, dass bei Kleist der große Gedanke identisch ist mit der Erhabenheit des Tragischen.

    “…je konkreter desto abstrakter…”
    Dann müßten wir ja schon recht nah drann sein.
    Diese Auffassung teile ich.

    Aristotelische Internationale.-
    Je mehr wir uns dem In-Möglichkeit-Sein nähern, desto weniger halten wir Abweichungen vom Nach-Möglichkeit-Sein für möglich.
    D. h. wir verblöden.

    Grüße aus einem jetzt neuzeitlich-finstern Rhein-Main

    Kommentar von Aléa Torik
    Datum/Uhrzeit 14. Januar 2011 um 17:14

    Lieber Avenarius,

    „Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer,
    ich finde und finde sie nimmermehr“

    Ich hänge hier zwischen tausend kleinen Sachen fest und finde kaum Zeit, etwas zu schreiben. Ich bin derzeit auch ein wenig unorganisierter als üblich. Diese Nichtorganisation besteht vor allem darin, dass ich mich offenbar derzeit weigere, alles nur zu organisieren. Texte und Lektüre von Texten, alles muss organisiert werden. Und mit Texten kann man ja auch nur zwei Sachen machen, man kann sie nur schreiben oder lesen. Man kann sie nur kaufen oder ausleihen, an sich heranziehen oder von sich wegschieben. Wieso fällt mir das erst jetzt auf?

    Aléa

    P.S. Erzählen Sie mal bitte etwas!

    Kommentar von avenarius
    Datum/Uhrzeit 15. Januar 2011 um 00:06

    Liebe Alea,
    …Texte kann man auch vortragen.
    “Nichts ist schonungsloser für einen Text als der mündliche Vortrag, noch dazu vor einem Publikum, das sich ein Fest machen will und diesen Anspruch mit Sachverstand durchsetzt.”
    “Dennoch war diese Gemeinde nicht Autor ihrer Texte. Sie akzeptierte und verwarf, was sie niemals hätte erfinden können.”
    (Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos. Frankfurt 1979)
    Die Zitate stammmen aus einem maßgeblichen Werk.

    Ich werde, wenn Sie mich darum bitten, demnächst etwas erzählen.

    Herzlich – avenarius.

    Kommentar von avenarius
    Datum/Uhrzeit 17. Januar 2011 um 01:58

    Ich sah um mich her in der Dämmerung dies Land, sah, wie es, von der Straße durchtrennt, seine ausgetrockneten Zungen in das Meer hinein schob, wie es ausglühte und sich gleich einem zerschundenen Rücken abduckte unter dem jetzt hochsteigenden Mond, unter einem Silbermond, rund, vollkommen rund. Die Karte im Wagen, den ich bestieg, zeichnete dies Land. Hier orientierte ich mich. Es war bis zu einem Hotel nicht weit. Also zündete ich den Motor. Die riesige Stadt, welche ich erst morgen Nachmittag erreichen würde, beherrschte bereits viele Fahrstunden entfernt den Raum. Der Verkehr nahm zu und es gab ein kreuz und quer laufendes Reagieren. Bald konnte ich das Transparent des Hotels wahrnehmen. Auf einem vom gelben Licht der Leuchtreklame erhellten Parkplatz stellte ich den Wagen ab und ging hinein, um morgen, wenn es hell geworden war, die Fahrt fortzusetzen. Die Visagen der Gäste in dem an die Rezeption angrenzenden Speiseraum waren so glatt als die durch vieltausend Hände gegangenen Metallanker, an denen kleine Zimmerschlüssel hingen. Der Portier -wohl ein Student- las in naturwissenschaftlich eingebundenen Büchern. Er nahm mich nicht wahr. Nicht etwa aufgrund seiner beschäftigten Unachtsamkeit, was auch kein Wunder gewesen wäre, sondern weil ich mich nicht bemerkbar machte, man kann sagen: im Verborgenen hielt. Es gab eine kleine, der Rezeption integrierte Hotelbar, an der ich Platz genommen hatte. Allerdings musste der Student, wie ich jetzt merkte, diese kleine Bar mitbedienenund bemerkte mich jetzt.
    “Geben sie mir bitte einen Fruchtsaft!” Und dann, als er das Getränk hinstellte: “Und auch ein Zimmer… für eine Person.” – “Nur für diese Nacht?” – “Ja.”
    Nachdem ich das bezogen hatte, ging ich zu Bett und schlief sofort ein. Dann hatte ich auch einen Traum… Ich befand mich in einem Zimmer von mittlerer…, das heißt eigentlich in einem recht kleinen Zimmer. Es mag nicht größer als es gewöhnlich Warteräume bei Ärzten sind gewesen sein, man hätte vier oder fünf Särge hineingebracht. Aber es war dunkel und schmutzig, und auf jeden Fall war ich allein. Nur ein Öllämpchen, auf den Boden gestellt, durchbrach wimmernd die Dunkelheit. Um es herum waren Ölplacken in den Teppich geschmiert, als Folge von Taten mit Sinn. Dies brach in mein Wahrnehmen nicht störend ein. Das Fenster war press geschlossen. Es musste Nacht sein, denn auch draußen war es finster. Ein Baum schwang hörbar vor dem Fenster im Sturm. Geäst schlug immer wieder heftig gegen die Glasscheibe im Fenster. Dabei blieben in der Scheibe weiße Streifen zurück, die, je heftiger das Geäst anschlug, sich noch vermehrten. Immer heller wurde es, bald blendete schon das Weiß. Hier wachte ich auf.- Ich hatte noch einen zweiten Traum, von einer zweiseitigen Rippenprothese – aus blankem Platin. Die Träume waren zusammenhanglos genug, und beim Bekleiden kamen mir keine Gedanken von bemerkenswertem Interesse. Ich hatte auch wenig “Nahrung” in der letzten Zeit. Seit Wochen keine Lektüre, “man kann”, dachte ich mir, “sich sein ganzes Gehirn austrocknen”. Von alleine käme ja nicht viel, und die “Braune”, für die es sich lohne alles fahren zu lassen, wäre ja auch nur wieder Literatur; oder vielleicht Film, denn Literatur habe sich schon verabschiedet von solch angedrehten Sachen. “Hat sie es nicht, so meinte sie sich nur als Literatur”. Dies waren meine Gedanken, als ich die Treppe hinunter zur Rezeption ging. “Wenn man wirklich klar sieht in diesen Dingen”, kamen mir meine Gedanken zurück, denn die Rezeption war nicht besetzt, “wirklich klar sehen heißt doch – alles hinter sich haben!”
    “Die Rechnung muß erst noch erstellt werden”, sagte eine aus dem Gastraum kommende Frau. “Das ist dann – ohne Frühstück – dieser Betrag hier! Sehen sie selbst!”
    Der Motor sprang an und wuchtete sich im Nu frei. (Die Fahrt war nicht von den Bedingungen eines erfolgreichen Ausgangs bestimmt.) Die Uhr in den Armaturen funktionierte nicht, oder sie war völlig verstellt. Der sich jetzt meldende Hunger zwang eine bestimmte Handlung herbei, und ich fuhr einen Imbisswagen am Wegesrand an. Der Imbiss, den ich gerade aß, möbelte mich wieder auf, so daß eine überfliegende Vergesslichkeit mich überkam, die erst nach Stunden, kurz bevor ich die Stadt erreichte, dem Bedürfnis nach Ruhe und Sammlung wich. Ich schaltete das Radio ab, welches dauernd an war, und fuhr langsam durch die äußersten Weichteile der Stadt.-
    …Es gab wohl kaum einen Ort, der der Fragwürdigkeit unseres Treffens hinreichend entsprochen hätte. Doch  fand ihn. Dort war eine Darbietung “lebendiger Fossile”, welche ohne weiteres besucht werden konnte. Man zeigte hier Lebewesen, die sich trotz veränderter Lebensverhältnisse seit Jahrmillionen erhalten hatten, vorzüglich amphibische Arten und Fische. ”Lebendige Fossile” wurde zu Ehren eines großen Paläontologen, den die Stadt hervorgebracht hatte, gezeigt. Der riesige Parkplatz vor dem Gebäude war nahezu leer. Zwei Busse standen herum, und vier andere Wagen. Das an beiden Seiten von ausgewachsenen Platanen umstandene und von diesen leicht überragte Gebäude war ein Kubus aus fließendem Stein. Ein rechteckiges, schwarz verspiegeltes Fenster durchlief den ganzen Würfel im oberen Drittel. Der breit angelegte Eingang ein Souterrain.
    Durch eine Personenschleuse hindurch betrat ich einen von Informationsschaukästen illuminierten Raum. Zwischen den anwesenden Besuchern – viele Schüler und ein paar Erwachsene – sah ich die großschlanke Gestalt . Sie trug ein eigenwilliges Hemd aus roher Tussahseide, beige, bedruckt mit grünen und grauen Würfelchen sowie eine dunkelgraue klassische Hose. Die flache Ledertasche, die sie zwischen rechtem Unterarm und Taille hielt, war dunkelgrün und genoppt. Eine straußenlederne Tasche, die sie mit der rechten Hand jetzt emporhob, zu freundlichem Gruß. Indem sie mir entgegenkam, erkannte ich ihr Gesicht. Ungeachtet der Fragwürdigkeit unserer Begegnung überwanden Witz und Ironie die reflektierte Strenge in diesem Gesicht, welches, wohl von einem kurz getragenen Haar noch verstärkt, merkwürdig theatralisch wirkte. Die Begrüßung fiel leidlich dezent aus, was in Ansehung des äußeren Druckes – einem Druck, dem ein nur im Verborgenen sich vollziehendes Treffen ausgesetzt ist – normal war. Jedoch ihr Blick, und ich kannte diesen Blick, war frei. Wir setzten uns auf einen großen gepolsterten Stein inmitten einer Anlage von Aquarien.
    “Es fiel mir alles andere als leicht!” sagte sie zu mir. “Sie wollten mir nichts herausgeben, weder das geschriebene Material noch die Bücher. Also musste ich alles aus dem Gedächtnisse herholen, ohne die geringste Hilfe. Seite an Seite, Wendung um Wendung habe ich aneinandergereiht, ich musste mir so vieles einfallen lassen, wovon mir keiner etwas gesagt hat”.
    “Konntest du auf die Behörden keinen Druck ausüben, oder auf andere Stellen, Personen vielleicht?” – “Die Bewilligung hängt nicht ab von Behörden, Behörden entscheiden hier nicht. Personen noch viel weniger. Auch das jeweils Gelernte, die Ortschaft der Herkunft, – dies alles wird nicht wahrgenommen.” – „“Also, wovon hängt es ab?!” – “Die Bewilligung bezeichnet den…”
    Kinder klatschten mit den Händen an die Scheibe eines großen Aquariums. Herrliche Quastenflossler schoben sich reaktionslos an der kreischenden Menge vorbei. Der Fußboden, schwarz, schien im abgedunkelten Raum ein tiefes Universum, in welches hineinstürzte, wer sich von den ledergepolsterten Marmorblöcken erhob.
     zeigte mir jetzt Papiere, welche sie mitgebracht hatte und die zu sehen ich gekommen war.
    “Dies hier ist wert-los, es ist”, sagte sie, “gegen den Wert.”

    Das monotone Summen der Wasserpumpen erfüllte den jetzt von den Schülern verlassenen Raum und weckte bei  und mir, da wir die Papiere im Lichtschein der Aquarien betrachteten, die Heiterkeit der Sinne. Wir empfanden eine leichte Freude beim Überfliegen der Schriften, eine Freude und einen Schmerz.-
    Ich bemerkte den Mann kaum. Es war mehr wie ein Alp, der mich anflog, denn die klare Wahrnehmung eines anderen. Er stand zwischen zwei großen Schauscheiben, hinter denen es von Leben wimmelte. Ein eher kleiner Mann, mit einem großen Kopf und einem Gesicht, in dem ein geradezu mexikanisches Grinsen war. Vor seiner Brust hielt er einen Klöppel aus Metall. Dann war da ein Knall, ein knackender Knall, der uns jäh aus der fabelhaften Lektüre riss. Als wir herum fuhren, sahen wir große Wassermengen nach vorne in den Raum brechen. Und mit dem Wasser sahen wir kalkweiße Schnecken auf den Boden aus Stein schlagen. Sie sogen sich fest, woimmer es ihnen gelang. Ich nahm  bei der Hand, damit wir nur schnell hinaus kamen. Wir rannten zum Ausgang, rannten draußen weiter am Gebäude entlang zur Straße hin. Dort klatschten wir mit den Sohlen unserer Schuhe auf den Asphalt, daß es empfindlich zog. Derart befreiten wir unser Schuhwerk von Nässe und kleinen Wasserpflänzchen. Wir sahen eine Schankwirtschaft und gingen hinein. Der erst beste Tisch war gerade gut. Der spärlich beleuchtete, riesige Raum -man hätte hundert Särge hinein gebracht- vermittelte den Eindruck, als sei hier ein sicher Versteck. Es war jedoch nicht so…

    Kommentar von Aléa Torik
    Datum/Uhrzeit 17. Januar 2011 um 23:33

    Ihnen,

    lieber Avenarius, gilt mein besonderer Dank, Ich freue mich sehr, dass Sie hier eine Geschichte herstellen. Ich freue mich, dass Sie so eine lange Sache hier hinstellen. Das ist ja sonst immer an mir. Ich werde Ihnen ausführlicher darauf antworten als ich das heute Abend kann, am Wochenende wahrscheinlich erst. So ist das gerade bei mir, vielleicht aber ergibt sich zwischendurch mal eine ruhige halbe Stunde. Oder jemand anderes als ich schreibt Ihnen.

    Vielleicht ziehe ich hier in Zukunft auch andere Seiten auf. Ich schreibe nur noch in Ausnahmefällen selbst. Alles andere delegiere ich. Das muss man lernen. Man kann nicht alles selbst mache. Ich gründe die Aleatorik AG, gehe an die Börse, werde CEO und ranzte meine Untergebenen an, wenn es nicht so läuft wie ich mir das vorstelle. Bis dahin aber läuft es erst mal so wie es hier immer läuft. Und so stelle ich mir das auch vor.

    Aléa

    Kommentar von Aléa Torik
    Datum/Uhrzeit 23. Januar 2011 um 23:26

    Lieber Avenarius,

    noch einmal vielen Dank für die schöne Geschichte. Ich hatte in den vergangenen Tagen zu viel zu tun, um etwas anderes zu tun als das was ich getan habe. Klingt komisch. Hat sich auch komisch angefühlt. Mal sehen wie die nächsten Tage werden. Ich mag eigentlich eine spürbare Arbeitsbelastung. Das bekommt mir gut. Mir und meiner Haut. Aber wenn einmal der Wurm drin ist, ist dieser Art der Schönheitspflege schnell obsolet.

    Diese Geschichte haben Sie sicher nicht mal eben geschrieben, nehme ich an, sondern Sie hatten das bereits, wie man sagt, auf Lager, auf Halde, und haben dann die Gelegenheit genutzt, es hier einzustellen, nicht?
    Die Erzählung gefällt mir gut, ich würde sie beschreiben wollen als eine, die kein Zentrum hat, kein Ziel, der Weg ins Aquarium nimmt ebenso viel Raum ein wie der Besuch dort. Der Erzähler, mehr als nur ein Erzähler, nämlich ein Ich, scheint eine sehr bestimmte Individualität zu haben, er hat spezielle Gedanken, und dann wieder scheint es so zu sein, dass er gar kein Mensch ist, weil er keine sozialen Bindungen hat, an den Kellner nicht, die Frau nicht und auch später den Mann nicht. Andere scheinen ihn nur marginal zu betreffen. Ja, er erscheint sogar selbst wie eine Traumfigur, als wäre das alles nur ein Traum, denn nur in einem Traum können solche Dinge wie Särge, ob fünf oder hundert, thematisiert werden, ohne dass man sich fragen muss, welche Bedeutung sie haben. Das Ende bleibt offen – ein sicheres Versteck – und weil von einem Versteck die Rede ist, fragt man sich, wovor der Mann sich da eigentlich verstecken muss. Ist er schon die ganze Zeit auf der Suche nach einem Versteck. So in etwa und auf die Schnelle.

    Erklären Sie mir das Motiv mit der Lektüre bitte. Da habe ich etwas nicht verstanden.

    Ist das ihre Art zu schreiben: etwas rätselhaft, etwas im Dunkeln lassen, den Leser neugierig machend, aber nie alles sagend? Oder schreiben Sie solche lyrischen Texte eher selten, weil Sie ja doch auch gerne in der Wissenschaft lesen?

    Haben Sie noch mehr davon?

    Aléa

    Kommentar von avenarius
    Datum/Uhrzeit 24. Januar 2011 um 23:38

    Liebe Alea,

    vielen Dank für die Antwort. Sie war mir ein wenig wichtiger als sonst.
    Immerhin ist da ein Unterschied, ob ich hier einen Kommentar zum Gespräch abgebe oder -wenn auch nur dilettierend- so etwas wie Literatur als Kunst. Da hantiert man mit gefährlichen Stoffen, wie Sie wissen, und fliegt schnell mal damit in die Luft; wobei die Blamage noch das schmerz- u. folgenloseste In-die Luft-Fliegen ist. Weit gefehlt die Vorstellung vom Heroen als Artist! Und bei dem Begriff „Sublimation“ kommt mir unweigerlich Van Gogh`s Ohr in den Sinn. Gogh`s Chair indessen ist in der Welt und nichtmehr rückgängig zu machen, auch nicht dieses unfassbare Gelb. Schiller sogar soll zusammengebrochen sein in Ansehung des endlich vollendeten Wallenstein.
    Aber das sind Umschweife.
    Ihr Urteil ist ja günstig und ich empfand es sogar als wohlwollend.
    Sie liegen mit Ihrer Vermutung, der Text sei aus Vorhandenem genommen, richtig. Diese „Schubladentexte“ (eine Bezeichnung, die Ihnen wahrscheinlich missfällt) werde ich einfach nicht los.
    Es handelt sich bei dem hier eingestellten Material um den Ausschnitt einer längeren Erzählung von etwa zwanzig Seiten Umfang. Es ist meiner Meinung nach mehr oder weniger traditionell erzählt. Weil sich das Motiv des Plotes erst mit dessen fortschreitender Entwicklung entfaltet, musste es in dem hier gebrachten Teilstück notwendig im Unklaren bleiben. Die Verlebendigung einer Schrift oder das Bemühen um eine Verhinderung der Erstarrung dieser Schrift ist das Motiv.
    Die traumatische Ziellosigkeit rührt daher, dass das Motiv zuletzt die Narration selber ist oder sich als diese ent-hüllt. Eine tautologische Schleife entsteht. Das lyrische Ich allein überlebt.
    Ich bin in der Tat in den Wissenschaften zu Hause. Aber sagen Sie jetzt nicht, dass ich dort bleiben soll.

    avenarius

    Kommentar von Aléa Torik
    Datum/Uhrzeit 25. Januar 2011 um 21:24

    Lieber Avenarius,

    natürlich war Ihnen die Antwort wichtiger als sonst. Es ist ein Unterschied, ob man einen Kommentar, also einen Sekundärtext verfasst, bei dem man sich mehr oder weniger auf das Thema einer anderen einlässt, was vielleicht nicht unbedingt den eigenen Interessen entspricht, oder ob man einen eigenen Text eingibt, der einem etwas bedeutet. Ich mache das ja dauernd, Primärtexte einstellen. Obwohl es mich inzwischen nicht mehr so schert, ob das nur viel oder wenig kommentiert wird. So ist das beim Bloggen, daran muss man sich gewöhnen. Ich will noch immer Schriftstellerin werden und sehe das Blog als Übungsfeld.

    Ich kenne die besondere Belastung, die poetische Texte einem abverlangen, Das kann einen richtig aussaugen. Ich war in der letzten Woche an einem Tag so fertig, dass ich meinen Schlüssel fürs Rad nicht gefunden habe. Ich stand in der Garderobe in der Bibliothek und wollte nach Hause und fing an zu zittern, weil ich meinen Schlüssel nicht finden konnte. Ich war fix und fertig. Ich hatte alles abgesucht. Er war natürlich da, wo er hingehörte.

    Sie müssen sich kein Ohr abschneiden. Das Urteil war günstig und mehr als wohlwollend. Und außerdem, wer bin ich, Ihnen Ihren Text zu kritisieren? Ich kann höchstens fragen oder Anregungen geben. Und da bin dann ich die, die einen Sekundärtext eingibt. Nur, weil es mein Blog ist, habe ich hier noch kein Herrschaftsrecht. Ich würde es jedenfalls nicht ausüben wollen. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von Macht. Männer und Frauen sind da wahrscheinlich etwas unterschiedlich, mit starken individuellen Nuancen. Ich regiere nur dann mit harter Hand, wenn’s was zu löschen gibt. Aber das ist äußerst selten und betrifft auch immer nur mich und dann auch nur meine Geschlechtsteile.

    Ich gehöre nicht zum Literaturbetrieb. Und selbstverständlich sage ich nicht, dass Sie in den Wissenschaften bleiben sollen, ich fahre ja auch zweigleisig. Obwohl ich innerlich längst auf das eine Gleis umgeschwenkt bin, aber die laufen noch eine Weile parallel, es ist also in geometrischem Sinne kein Schwenken, sondern eine einfache Gewichtsverlagerung.

    Das Wort Schubladentext, das haben Sie richtig vermutet, gefällt mir nicht. Das klingt, als sollten sie dort auch bleiben. Und bei allen Unanständigkeiten, die ich mir mit Texten vorstellen kann, kann ich mir nicht vorstellen, dass man sie wirklich nur für die Schublade schreibt, also nicht einmal für sich selbst.

    Was machen Sie mit dem Text, wenn er fertig ist. Oder ist er das?

    Aléa

    Pingback von Gipfeltreffen auf der anderen Seite « Der Buecherblogger
    Datum/Uhrzeit 27. Januar 2011 um 10:44

    [...] um mit ihren Gedanken mitzufliegen. Ein “Schubladentext” fand sich überraschend in einem Kommentar, der auf gar keinen Fall in einer solchen bleiben sollte, weil er eine Atmosphäre entfaltete, die [...]

    Kommentar von avenarius
    Datum/Uhrzeit 31. Januar 2011 um 23:55

    Liebe Torik,

    Ihre Antwort war mir wichtig, die meine fällt mir schwer.
    Nichts geschieht ohne Grund.
    Ich komme hinter den Grund meines Gekritzels nicht. Ich habe die fiebrigen Träume meiner Jugend zurückverfolgt bis in ihre fahlen Erschlaffungen. Ich habe die Landschaften meiner Vergangenheit mit der Egge der Erinnerung und des analytischen Verfahrens durchfurcht, – um die Keime des Dranges zur imaginativen Verausgabung zu finden. Es waren die Metaphern des Wunderbaren, was ich fand, die kostbaren Haare der geschmückten Frauen. Oder ich fand das gelungene und im festlichen Rausche kulminierende Miteinander einer sich über alles erhebenden Gemeinde. Blätter habe ich gefunden, wie sie im Herbst unter meinen Schritten zerknitterten.

    Ich versuche über etwas anderes zu sprechen, über Dinge und Zusammenhänge, die es sonst noch gibt, worüber unendlich geredet werden kann, was alle angeht, worüber jeder verhandelt so lange er mag. Ich spreche von Übertragungen und schwierigen Verschiebungen, wie sie vorkommen im Zuge der Annäherung von Kulturen und der damit verbundenen Mentalitäten. Wir sind ja Historiker, deren Urteil geschult ist, die in den Jahrtausenden leben und für welche die Vorkommnisse in langen Zeiträumen Material darstellt, das man methodisch beherrscht. Methoden, von denen man aber auch selber beherrscht wird, von denen uns Fragestellungen abverlangt werden, ohne welche es eine hinreichende, das heißt der Methode genügende Antwort nicht gibt. Wir sprechen z. B. von mechanistischen Weltbildern und wie sie von den Wissenschaftlern auf das Lebendige angewandt wurden, vom Verständnis des menschlichen Körpers als einer Art hydraulischer Maschine: von der Entdeckung des Blutkreislaufes im Zusammenhang des Überganges zur Mechanik als “Leitwissenschaft”. Es ist aber während ich rede da ein Brennen, welches stärker und stärker wird. Ein Brennen, welches sich durch frisst und zuletzt in einem Schweigen mündet, ein Schweigen, das ist wie ein Schrei.

    avenarius

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