Das Islamgesetz 2015 – Fluch oder Segen?

Das österreichische Islamgesetz wird novelliert. Die Neuerungen schlugen hohe Wellen und führten zu einigen Kontroversen. Eine verfassungs- und rechtspolitische Analyse.        

Als im Jahr 1912 das Islamgesetz erlassen wurde, nahm Österreich im Bezug auf religionsrechtliche Gesetzgebung, eine Vorreiterposition ein. Es garantierte der damals noch kleinen muslimischen Gemeinde durchsetzbare Rechte und vermittelte allen österreichischen Muslimen Rechtssicherheit. Heute, mehr als hundert Jahre später, wirkt das Gesetz allerdings überholt und entspricht nicht mehr der derzeitigen Situation der muslimischen Gemeinde in Österreich. Das war auch der Grund, warum in den letzten Jahren der Ruf nach einer Reform dieses Gesetzes immer lauter wurde.

Wie die Gesellschaft unsere Gesetzgebung prägt   

Einer der Motoren hinter dem neuen Islamgesetz Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP). Foto: Off. Pressefoto Sebastian Kurz / ÖVP Wien

Einer der Motoren hinter dem neuen Islamgesetz Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP). Foto: Off. Pressefoto Sebastian Kurz / ÖVP Wien

Um die neuen Regelungen nachzuvollziehen, ist es wichtig, sich die derzeitig schwierige Position des Islams in Europa vor Augen zu führen. Während es keine Anzeichen dafür gibt, dass die Schreckensherrschaft des IS im Irak und Syrien in absehbarer Zeit ein Ende nimmt, erreichen uns fast täglich Nachrichten von Attentaten anderer radikalislamistischer Gruppierungen. Viele der Mitglieder werden in westeuropäischen Staaten rekrutiert. Wir können im Internet millionenfach angeklickte Videos sehen, in denen unschuldige Zivilisten auf barbarische Weise ermordet werden und gleichzeitig die westliche Zivilisation verurteilt und angefeindet wird. Immer mehr wird nun auch von der Terrororganisation Boko Haram berichtet, die in Afrika Angst und Schrecken verbreitet. Obwohl nun solche terroristische gewaltverliebte Organisationen absolut nichts mit dem Islam selbst zu tun haben, werden diese zwei völlig unterschiedlichen Dinge meistens undifferenziert als Gesamtheit betrachtet. Leider ist das Resultat solcher terroristischer Handlungen in immer größeren Teilen der Bevölkerung Angst gegenüber dem Islam als solchen. Man hat das Gefühl, als wäre man von Gewalt eingekesselt und fürchtet sich davor, dass die brüchige Festung Europa das letzte Bollwerk ist, das den Einzug von Anarchie und Verwüstung verhindert. Es handelt sich allerdings auch um eine Angst vor der Radikalisierung von Muslimen im eigenen Land. Und diese Angst bestimmt mittlerweile beachtliche Teile unseres öffentlichen Lebens: Es beeinflusst die Art und Weise, wie die Österreicher mit ihren Mitmenschen umgehen, es beeinflusst, wie sich Österreich asylpolitisch verhält, es beeinflusst, wie gewählt wird und dadurch natürlich auch die Art und Weise, wie Politik gemacht wird und Gesetze erlassen werden.

Spätestens als kürzlich Sandra Maischberger zum Thema „Brauchen wir ein Islamgesetz in Deutschland“ in ihre Talkshow einlud, wurde offensichtlich, dass es sich nicht um ein rein österreichisches Problem handelt. Rechtliche Rahmenbedingungen für Muslime zu finden, betrifft ganz Europa und gehört dringend gelöst. Dieses Problem, das also mittlerweile europaweites Ausmaß erreicht hat, nicht aber europaweit gleich gelöst werden kann, führt abermals zu einer Emotionalisierung des Themas.

Die eben beschriebene Situation birgt also die sehr große Gefahr in sich, dass die Gesetzgebung kurzfristig und populistisch handeln könnte. Befürchtungen, die sich laut Kritikern bewahrheitet haben.

Ungleichheit, Auslandsfinanzierung und Generalverdacht        

Einige Kritiker (allen voran der Nationalratsabgeordnete und bekennende Pastafari Niko Alm) verurteilen generell das Bestehen eines Islamgesetzes. Ihrer Meinung nach ist der Laizismus, der die komplette Trennung von Religion und Staat vorsieht, der einzige Weg, einer Ungleichbehandlung von Religionen durch den Staat vorzubeugen. Keine Religion sollte durch ein Gesetz geregelt werden, um niemanden zu diskriminieren. Bei einer solchen Forderung wird allerdings häufig übersehen, dass solche Gesetze nicht nur Verpflichtungen und Ungleichbehandlung mit sich bringen sondern garantieren auch Rechte und somit die Handlungsfähigkeit von Minderheiten. Das ist der große Vorteil von Religionsgesetzen. Das ist auch der Grund, warum sich selbst die muslimische Religionsgemeinschaft in Österreich für ein Islamgesetz ausspricht. Art. 7 der Bundesverfassung trägt diesem Gedanken auch Rechnung. Nicht die Ungleichbehandlung per se ist das Problem sondern eine Ungleichbehandlung von unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, die sachlich nicht gerechtfertigt ist. Der Forderung nach Laizismus wird deshalb in Österreich nicht gefolgt und ist für den Verfassungsgerichtshof nicht beachtlich.    Viel größere Schwierigkeiten müsste der Verfassungsgerichtshof allerdings dann haben, wenn man die rechtliche Stellung der katholischen Kirche und des Islams vergleicht. Denn eine Gegenüberstellung macht eine massive Ungleichbehandlung augenscheinlich. Problematisch dabei ist, dass Teile des Konkordats von 1933 zur Zeit des Austrofaschismus auch heute noch geltendes Recht sind. Zur Erinnerung: Es handelt sich um Regelungen, die zu Zeiten entstanden sind, als die österreichische Verfassung klerikal eingestellt war. Klarerweise erlangte die katholische Kirche dadurch in Österreich rechtliche Vorteile, die heutzutage wohl nur mit einem oder zwei geschlossenen Augen als sachlich gerechtfertigt betrachtet werden können.

Gebetsraum einer Moschee. Foto: Helga Hauke / pixelio.de

Gebetsraum einer Moschee. Foto: Helga Hauke / pixelio.de

Ein Paradebeispiel ungleicher Behandlung von Religionsgemeinschaften ist der neu eingeführte Paragraph, der Auslandsfinanzierung österreichischer muslimischer Gemeinden verbieten soll. Eine österreichische katholische Kirche ohne finanzielle Unterstützung durch den Vatikan wäre undenkbar. Dadurch erfährt die muslimische Gemeinde massive Einschnitte in Grundrechte wie dem Recht auf Eigentum und dem Recht auf freie Religionsausübung. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz wird allerdings nicht müde zu betonen, dass diese Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sei. Immerhin bestehe bei der katholischen Kirche keine Gefahr, durch extremistische Organisationen finanziert zu werden. Wenn man nun dieser Einschätzung folgt und massive finanzielle Engpässe einer österreichischen Religionsgemeinschaft in Kauf nimmt, die schon jetzt einigen muslimischen Verantwortlichen schlaflose Nächte bereiten, um einer Radikalisierung durch ausländisches Geld vorzubeugen, wäre es von höchster Wichtigkeit, diese Regelung lückenlos zu gestalten.         Dies wurde allerdings bewusst unterlassen. Eine Finanzierung durch Stiftungen wurde möglich gemacht und sogar offiziell angeraten, diese Finanzierungsform zu wählen. An dieser Stelle ist deshalb ernstlich zu fragen, ob ein Auslandsfinanzierungsverbot, welches mühelos umgangen werden kann und soll, wirklich sinnvoll und notwendig ist.

Mehrere Gesetze dieser Art sind in der Islamgesetznovelle zu finden. Sie werfen lange Schatten auf ein sonst vorbildliches Gesetz. Werden die Grundfreiheiten von Minderheiten auf eine solche Art und Weise reglementiert, wird der Eindruck vermittelt, dass diesen Minderheiten nicht zu trauen ist. Das Gesetz scheint dadurch mehr Sicherheitsgesetz als Religionsgesetz zu sein und der Islam wird gesetzlich unter Generalverdacht gestellt. Deshalb würden dem Gesetz sowohl aus moralischer als auch rechtlicher Hinsicht einige Änderungen gut tun.            Wird das Gesetz in der bestehenden Form erlassen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Verfassungsgerichtshof seine negative Gesetzgebungskompetenz wahrnimmt, abermals lenkend in das Gesetz eingreifen wird und einige Paragraphen aufhebt.

Es wird Zeit für einen sachlichen Diskurs    

Allen Widrigkeiten zum Trotz sollte das neue Islamgesetz als etwas Positives gesehen werden. Als im Jänner 2015 die Anschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hedbo verübt wurden, nahm die Diskussion über die Rolle des Islam in der europäischen Gesellschaft an Fahrt auf. Zu Ergebnissen kam man allerdings nicht, da die aufgeheizte Situation keine gesittete Debatte zuließ.     Vielleicht ist die Novellierung des Islamgesetzes ein neuer Anlass für einen öffentlichen Diskurs. Vielleicht dieses Mal sachlich und unaufgeregt.

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