Montagskommentar

Volkmusik in Tirol: Darum ist diese Musik brandgefährlich

Es ist wieder Montag. Das könnte man bedauern. Zum Glück ist Montag aber auch der Tag, an dem von unserem Kolumnisten laut über den Zustand der Welt und der Kunst nachgedacht wird. Als gebürtiger Tiroler hat dieser einen ganz besonderen Bezug zur Volksmusik - ob "echt" oder "unecht". Heute erfahrt ihr, warum diese Musik höchst gefährlich ist.

In Tirol ist die sogenannte Volksmusik omnipräsent. Kaum ein Feuerwehrfest, das ohne sie auskommt. Kaum ein traditionsreicher Ball im heiligen Land, an dem man mit dieser Musikrichtung nicht zwangsbeglückt wird. Doch das ist erst der Anfang. Viele Jugendliche und an sich vernünftige Menschen praktizieren diese Musik ganz selbstverständlich und nehme sie als etwas Natürliches und organisch Gewachsenes an. Gerade diese vermeintliche Natürlichkeit ist brandgefährlich. Gerade die Behauptung, dass diese Musik das “Volk” im Sinn hätte ist bedenklich.

Dieses angesprochene Volk existiert nicht. Dahinter stehen vielmehr zahlreiche Erzählungen und Diskurse, die dieses “Volk” konstruieren und homogenisieren wollen. Ganz so, als würde jeder geradezu auf die christlich-katholischen Feiertage warten, an diesen morgens oder abends brav in die Kirche gehen und dazu echte Volksmusik aus dem Volk für das Volk hören. Diese Volksmusik ist die Beschallung für eine Welt, die es in dieser Form nicht mehr gibt, nie gegeben hat.

Selbstverständlich kann man sich darüber freuen, dass die “echte” Volksmusik in Tirol an so vielen Orten wie selbstverständlich praktiziert wird. Klarerweise geht damit auch ein Sinnangebot an viele junge Menschen einher. Bevor sie saufen und Drogen nehmen ist es allemal klüger, dass sie sich in die gute alte Tradition der Volksmusik einreihen. Dabei geht es nicht nur um Sinn, sondern auch um Identität und Zugehörigkeitsgefühl.

Als junger Mensch macht man sich, verständlicherweise, kaum Gedanken über die ideologischen Implikationen dieser Musikpraxis. Stattdessen überwiegt das unausgesprochene und kaum diskursiv fassbare Gefühl der Natürlichkeit. Wir leben in Tirol, unsere Berge sind schroff und zackig. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass nur wir Tiroler einen echten Marsch so schroff und zackig spielen können. Volksmusik in Tirol klingt so, wie sie nur in Tirol klingen kann. Das liegt am Nährboden, auf den sie hier gefallen ist. Diese kleinen Differenzen gilt es zu erhalten. Sie sind Teil unserer Tiroler Identität.

An dieser Stelle wird aber nur allzu oft Kultur zur Natur erklärt. Junge Menschen spielen Volksmusik, weil es der Papa und der Großvater schon getan haben. Weil wir Tiroler sind. Weil das bei uns einfach so dazugehört. Wir reihen uns ein in einen Überlieferungsstrang und tragen mit der Praxis unseres Musik-Machens dazu bei, dass dieser Überlieferungsstrang nicht abreißt und im allerbesten Fall gar nicht als solcher erkannt wird. Wir machen uns kaum Gedanken über die Bedingungen und Interessen, die hinter dem Erhalt und der Steuerung dieses Stranges stehen. Dass Volksmusik womöglich gar nicht mehr aus dem beschriebenen “Volk” kommt, sondern von Pädagogen sowohl in Form als auch in Ausrichtung erhalten und forciert wird, kommt uns kaum in den Sinn.

Volksmusik ist nicht an sich gefährlich. Aber die Behauptung, dass sie natürlich wäre und sie sich ohne Reflexion spielen ließe ist es. Wer junge Menschen nicht zur kritischen Auseinandersetzung erzieht und anhält, läuft Gefahr, dass der unrühmliche Ballast der Vergangenheit einfach unhinterfragt mitgeschleppt und perpetuiert wird.

Ich plädiere für eine Kultur der Aneignung. Für eine Kultur der Nicht-Natürlichkeit. Für eine Kultur, in der nichts selbstverständlich ist. Volksmusik kann für Musiker eine Option sein. Zumal, wenn diese in Tirol leben. Eine Geringschätzung ebendieser Musik ist der falsche Weg. Aber diese Musik muss als frei flottierendes Material nur eine Option von vielen sein. Die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Identität und deren musikalischen Implikationen muss notwendigerweise kritisch und fast zwingend schmerzhaft sein. Unter Umständen muss manches Material so lange verfremdet und mit anderen Einflüssen angereichert werden, bis ihm der letzte Rest an Nationalismus und geheuchelter Natürlichkeit ausgetrieben wurde.

Damit verliert Volksmusik ihren exklusiven, ausschließlichen und ausschließenden Stellenwert in Tirol. Damit erst wird sie zu Musik, die sich wieder spielen lässt.

Titelbild: (c) Schuhplattler Kids

Hinweis der Redaktion: Das ursprüngliche Bild wurde auf Wunsch der Dargestellten entfernt