Wer gestern die gängigen Nachrichtenportale in deutschen Medien verfolgte, rieb sich die Augen: Stundenlange Hintergrund- und Vordergrundberichte über einen Kongress eines internationalen Sportverbands. Dabei wurde von der anstehenden Wahl des Vorsitzenden dieses Verbandes mit einer Intensität berichtet, dass man kurz glaubte, das Schicksal der Welt würde sich hier entscheiden. Und dafür ja wirklich alles schon vorher feststand (wie man nicht müde wurde zu berichten), verblüffte dieser Aufwand noch mehr. Am Ende waren sich von Bild bis Spiegel alle einig: Der Fußball habe Schaden genommen, weil Josef Blatter erneut zum FIFA-Präsidenten gewählt wurde.
Dabei argumentieren die Blatter-Basher ähnlich wie er selber: Sie tragen wie eine Monstranz »den Fußball« (wahlweise: »den Sport«) vor sich her. Definitionen unterbleiben tunlichst. Das dabei vermittelte Bild des Fußballs ist vermutlich irgendwo in den 1950er Jahren bei Sepp Herbergers »Elf Freunde müsst ihr sein« steckengeblieben. Die Kommerzialisierung, die offen und ungeschönt Ende der 1970er Jahre begann und inzwischen diesen Sport so kräftig im Würgegriff hat, wollen sie nicht wahrhaben. Den Balken entdecken sie immer nur im Auge des anderen. Rührend, wenn sogenannte »Ultras« oder andere »Fans« Werte wie Tradition oder Vereinsgeist herbeibeschwören und gegen Brause- oder Automobilhersteller wettern, die – oh wie schlimm! – Fußballvereine wie Haustiere halten. In ihnen schlummert der Geist einer Zeit, die schon weit vor ihrer Geburt längst passé war. Bis in die 3. Liga hinein ist der Fußball ein Business mit durchökonomisierten Management und Trainingskonzepten, Spielern aus allen Regionen und Ländern, mehr oder weniger lieblos zusammengekauft (mit Lizenz zur Ablöseeinnahme) und Sponsorentum. In den Köpfen der Romantiker steht womöglich noch der brave Versicherungsvertreter, der 3x wöchentlich abends trainiert und seit seinem 12. Lebensjahr für den Verein spielt. Wer wollte, kann längst nachlesen, dass es diese Zeit fast nie gegeben hat – selbst die legendären Weltmeister von 1954 hatten Vorteile aus ihrer Spielertätigkeit, die sie zu Privilegierten der Zeit machte. Warum auch nicht.
Dabei sind Vereine heute vor allem Wirtschaftsunternehmen. Das gilt – welche Überraschung – auch für sogenannte Kultvereine. Ihr Ziel ist die Maximierung von Profit. Hierfür müssen sie erfolgreich sein, Titel gewinnen. Sie kaufen und verkaufen Trainer, Manager und vor allem Spieler. Polemisch kann man das organisierten Menschenhandel nennen. Treffender wäre Söldnertum – und zwar auf in der Regel allerhöchstem finanziellen Niveau. Die Bindung der Spieler an einen Verein ist fast kaum noch regional begründet. Der Ortsname, der in der Regel in einem Vereinsnamen steckt, ist ein Unternehmensname geworden; eine Marke.
Die Romantiker unter den Fans identifizieren sich mit ihrem Verein. Sie verlangen dies von Spielern und auch Trainern in gleichem Maße. Dieses Ansinnen ist jedoch bestenfalls naiv. In der Konsequenz ist sogar dumm. Um den Romantikern nicht ihre letzte Emotion zu nehmen, tun die Medien alles, um den Identifikationsstatus für die Vereine zu erhalten. So berichten sie immer wieder von der Brisanz sogenannter Lokal-Derbys. Dort werden dann tatsächlich die künstlichen Emotionen im riesigen Topf namens Fußballstadion gekocht. Dass dann bei einigen diese Emotionen im oder mindestens außerhalb des Stadions außer Kontrolle geraten, wird dann natürlich pflichtschuldigst verdammt. Und wenn irgendwelche Deppen Pyrotechnik zünden, hat das natürlich, so die Standardphrase »mit dem Fußball nichts tun«.
Hat es aber doch. Genau so wie Blatter etwas mit dem aktuellen Fußball zu tun hat. Nämlich sehr viel. Denn Blatters FIFA macht genau das, was alle, die mit Fußball zu tun haben, auch machen: Geld.
Dabei war die Welt doch vor zehn Jahren noch in Ordnung: Deutschland hatte den Zuschlag zur Fußball-WM 2006 erhalten. Alle jubelten. Kaum jemand der heutigen Journaillisten stellte die Frage der Fragen. Wie hatte Deutschland das geschafft? Durch die unermüdlichen Touren des »Kaisers«?
Nein, die FIFA war immer schon die FIFA und Blatter ist immer schon Blatter gewesen. Sein System dürfte sich über die Jahre nicht geändert, sondern allenfalls »perfektioniert« haben. Inzwischen ist Größenwahn aufgekommen, der Reaktionen nicht mehr berechnet. Die Vergabe nach Katar war einfach des Schlechten zu viel. Man vergibt keine Fußball-WM nach Katar. Genau so wie man keine Olympischen Winterspiele in die Sahara vergibt.
Die Medien sind dankbar, dass es solche Figuren wie Blatter gibt. An ihnen können sie sich abarbeiten, denn nichts ist ergiebiger für Medien als Vorgänge zu personalisieren. Aber ihre Empörung ist wohlfeil und heuchlerisch. Nicht nur, weil sie über den Kauf der Fernsehrechte zu einem Teil des FIFA-Apparats werden, ob sie es wollen oder nicht. Wer als ARD- oder ZDF-Intendant nur das Wort WM-Boykott in den Mund nehmen würde, müsste sofort Polizeischutz beantragen. Womit dann der Ball wieder beim »Fan« oder, besser, Zuschauer wäre: Auch seine Empörung über die korrupten Herren der FIFA ist zutiefst billig. Mit ein paar Buhrufen bedenken sie die Funktionäre. Aber dann stimmen sie wieder ihre Gesänge an, gerade so, als würde dies die Spieler auf dem Platz auch nur ein Gran ergreifen. Auch hierzu gibt es ein Reporterphrase: »Sie sind Profis«. Immer wenn dieser Satz fällt, weiß man eigentlich: Fußball ist ein mythenproduzierendes Geschäft. Nicht mehr und nicht weniger.
Wer noch richtige Amateure sehen will, muss in die Bezirksligen. Wer kommt mit?
»Wer gestern die gängigen Nachrichtenportale in deutschen Medien verfolgte, rieb sich die Augen […]«, schreibt Keuschnig über die Berichterstattung über die FIFA. Und »dass man kurz glaubte, das Schicksal der Welt würde sich hier entscheiden.«
Wer das schreibt, zeigt, indem er das schreibt, dass das System FIFA funktioniert. Selbst ein Keuschnig – könnte man formulieren -, ist derartig von dem Virus durchseucht, dass er nur noch den Wirt, nicht mehr den Virus angreift. Und mit seinem länglichen Text genau dorthin kackt, wo die größeren Hunde bereits hingekackt haben.
#1
Leider falsch, Griebe. Es ist nicht der »Virus« FIFA, dem ich erlegen bin oder war, sondern der Virus der Medien, die fast rund um die Uhr davon berichtet haben und denen ich mich nicht entzogen habe, wie Sie richtig feststellen. Ob tagesschau.de, faz.net oder wie die Zentralorgane der deutschen Pressefreiheit auch heißen: Es war wie bei einem Erdbeben, den Anschlägen des 11. September 2001 oder dem Bankencrash von Lehman 2008: Der User war live dabei. Es ist eine Medienseuche, kein FIFA-Virus, wie es auch kein Erdbeben-Virus ist, wenn man body-counting liest.
#2
Wer noch richtige Amateure sehen will, muss in die Bezirksligen.
Wie kommen sie auf dieses schmale Brett? Schon zu meiner Zeit, und die liegt lange zurück, wurde in der Bezirksliga bezahlt. Nicht alle haben kassiert – aber dem regionalen Star, dem hat der örtliche Bauunternehmer schon mal ein Auto zur persönlichen Nutzung zur Verfügung gestellt.
Und heute? Wenn man mal auf einem Kleinvereins-Fest den testosterongestählten A-Junioren zuhört … der SV Hintertupfingen zahle soundsoviel … da komme der TuS Dingenskirchen nicht mit … ja, aber soll doch unter der Hand …
Und, ganz allgemein: Den Herrn Weselsky wird’s freuen, mal für ein paar Tage Ruhe zu haben.
#3
@Gerald Fix
Hat sich das nicht verlagert? Von der Bezirksliga auf die Regional- oder Oberligen? Ich frage das ernsthaft…
#4
Ich möchte mich hier nicht als Fachmann aufspielen – das bin ich nicht. Aber es gibt doch Belege dafür, dass die Spieler der Regional- und Oberligen Arbeitnehmerstatus genießen. Gegen den SSV Ulm z. B. wurde vor einigen Jahren strafrechtlich ermittelt, weil die Spieler des Vereins Arbeitslosenunterstützung bezogen haben, obwohl sie vom Verein bezahlt wurden.
Und es scheint auch tiefer ganz klar zu sein – die Begriffe »Fußball Vertragsamateur Osthessenzeitung« führen zu einem Zeitungsbericht (kein Direktlink wegen LSR), in dem ein Mindestlohn für die hessische Gruppenliga moniert wird. Diesen Mindestlohn von 250,- € pro Monat hat 2011 der Fußballverband beschlossen. Der aktuelle Mindestlohn gelte, so Nahles, für Vertragsamateure nicht. Die seien zwar als Minijobber angemeldet, der Fußballvertrag sei aber nicht der Haupterwerb.
In dem Forum Kabinengeflüster wird von Vertragsamateuren bis in die C-Klasse gesprochen. Und die Suchbegriffe »Fußball Erding Buchbacher« führen zu einem Bericht über den Kreisligisten Erding: »Ins Reich der Fabel verwies Sandner Gerüchte über horrende Monatsgehälter, die den Neuzugängen dank einer großzügigen Sponsorin bezahlt würden. „Als Vertragsamateure bekommen sie die ihnen laut Statuten zustehenden 250 Euro“, sagt er.«
#5
So lange Blatter, FIFA oder auch die UEFA im Referenzrahmen »Sauberer Sport« / »wahrer Fußball« kritisiert wird, passiert gar nichts. Im Gegenteil, damit verfestigen sich die seltsamen Organisationsstrukturen (die FIFA ist ja im Prinzip ein Verein und kann sich deswegen Dinge leisten, die für ein Unternehmen unmöglich wären, selbst in der Schweiz.) Würde der ganze fußballindustrielle-mediale Komplex primär als Geschäft diskutiert werden, käme man vlt. auch in Sachen Transparenz voran. Sowas ähnliches passiert ja nun durch die juristische Aufarbeitung der Vergabeverfahren in den USA, der Schweiz und UK. Die FIFA wäre nicht die erste mafiotische Organisation, die durch ein Steuerverfahren zerschlagen wird.
#6
@Doktor D
Ich glaube beide Seiten brauchen den »sauberen Sport«-Rahmen, um nicht direkt zugeben zu müssen, dass es sich längst um ein Mega-Geschäft handelt. Fast hätte ich geschrieben, dass diese Camouflage so notwendig ist wie für einen Krieg die gängigen Phrasen und Symbole. Ansonsten wäre die Aura einfach weg. Über die fast schon religiöse Beschwörung eines sportiven Ideals wird dies kunstvoll ausgeblendet.
Im Boxen und auch beim Schach kann/konnte man sehen, wohin eine Spaltung eines Sportverbandes führt: Es gibt dann zwei oder noch mehr Weltmeister. Bei Sportarten, in denen nur einzelne Sportler die Protagonisten sind, geht das noch. Bei Mannschaftssportarten mit nationalen Einheiten ist das schwieriger.
#7