Herrn Dr. Gniffke, seines Zeichen 1. Chefredakteur bei »NDR/ARD Aktuell«, reicht’s! In einem Blogeintrag poltert er aus seiner Nachrichtenhöhle gegen diejenigen, die das Bild der marschierenden Politiker in Paris als Inszenierung apostrophieren. Jedes Politikerbild sei eine Inszenierung, so Gniffke. Und im übrigen verwahrt er sich gegen jene, die diese Nachrichtenfälschung als solche benennen, wie zum Beispiel Ines Pohl.
Die Taktik ist nicht ganz neu, allerdings die Rhetorik. Die Dünnhäutigkeit bei Journalisten scheint ausgeprägt zu sein; sie sind nicht gerne selber Gegenstand der Berichterstattung, sondern teilen lieber aus. Gestern wurde »Lügenpresse« zum »Unwort des Jahres« ernannt, da glaubte Gniffke sich vielleicht unbesiegbar. Bis jetzt haben sich 295 Kommentare zum Blogeintrag eingefunden – durchaus etliche darunter, die ihm zustimmen. Eine Diskussion entsteht dennoch nicht, weil sich die Redaktion – wie vorher auch schon – zuverlässig verweigert.
Gniffkes Kernthese: Jedes Politikerbild ist per se eine Inszenierung – also braucht man sich auch nicht wundern, wenn dieser Trauermarsch eine solche ist. Der Unterschied ist nur, dass die »normalen« Politikerinszenierungen als solche sichtbar und für den Zuschauer mindestens erahnbar sind. Ausschnitte aus Pressekonferenzen, die fast schon ritualisierten Opposition-hat-auch-etwas-zu-sagen-Statements (maximal ein Satz; manchmal nur ein halber), diese unseligen wie nichtssagenden Bilder von »Gipfeln« oder Staatsbesuchen – all diese Inszenierungen sind längst zum ikonografischen Bestandteil von Nachrichtensendungen geworden. Man könnte es ein bisschen rustikal ausdrücken: Niemand glaubt mehr, dass es hier um die Vermittlung in der Sache geht – es sind Sprachspiele, die notgedrungen bebildert werden (müssen); leider immer mehr bewegt und mit O-Tönen statt als Standbild und von einem neutralen Sprecher vorgelesen.
Der Trauermarsch von Paris vom 11. Januar wurde jedoch anders kommuniziert. Die Inszenierung, von der Gniffke spricht, sollte ein Signal ausdrücken. Ein Zeichen der gemeinsamen Trauer, ein Zeichen gegen den Terror – unabhängig von der politischen und weltanschaulichen Ausrichtung. Das Pathos der Kommentare in ARD und ZDF ist in den Kommentaren zu Gniffkes Beitrag sehr gut dokumentiert.
Ich gestehe, die Übertragung des Trauermarsches nicht live verfolgt zu haben. Ich habe mich der Zusammenfassungen in den Nachrichten- und Extrasendungen bedient. In diesen Sendungen gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Staats- und Regierungschefs separat marschiert sind. Die Reporter suggerierten, dass sie in vorderer Linie waren (»Dutzende Staats- und Regierungschefs aus aller Welt marschierten vorneweg.«). Befremdlich kam mir lediglich vor, dass es hieß, die Angehörigen der Opfer seien in der ersten Reihe gewesen. Erst dann, so hieß es, die Politiker. Diese Aussage korrespondierte nicht mit dem Bild. Aber naiv wie ich bin glaubte ich, dass sich die Politiker nur vorgedrängt hätten.
Die Nachricht, dass es sich um einen separaten Marsch handelte, der nicht mit den Demonstrationen der Massen in Paris zu tun hatte, hat mich dann überrascht. Zwar ist es verständlich, dass die allgemeine Sicherheitslage eine solche Maßnahme vielleicht notwendig machte (womöglich war sie auch noch zeitversetzt). Aber ich hätte dann erwartet, dass dies in den Korrespondentennachrichten wenigstens irgendwann einmal kommuniziert wird. Dies war nicht der Fall.
Gniffke reagierte nun auf die Vorwürfe der taz-Chefredakteurin Ines Pohl (»Leider belegt der Umgang mit den Bildern des Pariser Marsches der Mächtigen, dass das Wort ‘Lügenpresse’ nicht nur ein Hirngespinst der Pegida-Anhänger ist, sondern dass die Wirkung der Bilder – übrigens auch für deutsche Medienmacher – manchmal wichtiger ist als die Dokumentation der Realität.»). Dabei verblüfft nicht nur seine Wortwahl. Interessant ist auch, das er plötzlich zu der Erkenntnis gekommen zu sein scheint, das Bilder immer nur Ausschnitte wiedergeben. Eine solche Erkenntnis hätte man sich in so mancher Berichterstattung bspw. über Jugoslawien und andere Kriegsgebiete, aber auch aktuell zur Ukraine gewünscht. Von den Bildern angeblich fanatisierter Massen in Mittelostländern, die westliche Flaggen verbrennen, erst gar nicht zu reden. Denn auch hier wird so gut wie nie gezoomt. Gezeigt werden die Bilder, die die Journalisten angeboten bekommen und/oder die in ihr Weltbild passen.
Wenn jetzt ein leitender Journalist eines Bildmediums die Aussagekraft von Bildern derart befragt, dabei aber keinerlei Bedenken hat, diese Bilderausschnitte, die bewusst nicht die Realität abbilden, ohne erklärenden Kommentar wiederzugeben, dann gleicht dies einer Bankrotterklärung. Besonders dumm ist die Bemerkung, man habe keinen Hubwagen gehabt – als hätte es ein klärendes Korrespondentenwort nicht getan.
Der Marsch der Staats- und Regierungschefs war eben nicht nur die Inszenierung der Trauer (daran hätte niemand etwas auszusetzen gehabt). Die zweite Inszenierung, das Symbol der Einigkeit über die freiheitlichen Werte zwischen politischer Klasse und dem Volk, wurde jedoch verraten. Damit ist die Separierung gerade keine Inszenierung, sondern maximal ein Schmierentheater, weil die Suggestion von Gemeinsamkeit aufrecht erhalten werden sollte.
Wer das als systemimmanent abtut verrät damit, wie sehr seine medialen Koordinaten aus dem Gleichgewicht gekommen sind. Wer Leute, die dies kritisieren, pauschal als »Verschwörungstheoretiker« diffamiert, hat jedes Maß verloren. Ein Nachrichtenmedium, welches dieses Vorgehen rechtfertigt, verliert an Glaubwürdigkeit. Auch der Kommentator der SZ, der für das inszenierte Bild als historisches Dokument eine Lanze bricht, vergisst dabei, was solche Bilder am Ende sind: Propaganda.
Ein Satz in Gniffkes peinlichem Geschimpfe macht Mut: »…diese Diskussionen hinterlassen Spuren in den Redaktionen« schreibt er. Hoffentlich.
Gniffke hat sich ja dann doch noch zu einer Antwort herabgelassen. Den „Verschwörungstheoretiker“ nimmt er bedauernd zurück, klopft sich dann aber für „die guten Argumente“ in der Sache auf die Schulter. Er habe im Tagesspiegel recherchiert und danach sind die Politiker nicht in einer Nebenstraße gesondert, sondern mit Sicherheitsabstand vorneweg marschiert. Die Tagesschau habe also richtig berichtet. Danke, Tagesspiegel!
Gniffke macht wieder einmal klar, dass er die Kritik nicht verstehen will. Dass er sie ernsthaft nicht versteht, darf man nicht glauben, denn wer würde einen Dummkopf zum Chef von Deutschlands Hauptnachrichtensendung machen.
Aber gerade dass da keine Dummköpfe am Werk sind, macht die offensichtlichen Manipulationen der Nachrichten sowie die unsäglich dämlichen Erklärungen Gniffkes so schwer verdaubar.
#1
Wer erinnert sich noch an die Tagesthemen vom 20. 05. 2014?
#2
Gutes Beispiel (trotz des reißerischen Postings auf Youtube).
#3
Ich habe ca. 20 min nach einem besseren gesucht, die waren alle ähnlich aufgemacht (auch nach der Sendung im Original).
Die Beispiele zeigen auch, dass Medien Realität gleichsam herstellen, immer, nicht nur wenn geschlampt oder suggeriert wird. Deshalb ist das Vergleichen so wichtig, wie das selbstständige Nachbohren.
#4
Dass es zu solchen Vorfällen kommen kann, leuchtet mir ja noch ein. Aber dass man aus solchen Fehlern nicht lernt, diese nicht einmal adäquat korrigiert und stattdessen von »Verschwörungen« faselt – das ist schon sehr dreist.
#5
Man muss wissen, welchen Medien man sein Vertrauen schenkt. Wenn der Guardian ausdrücklich betont, dass die Pariser Polizei sage, dass der Geiselnehmer in der Postfiliale kein Terrorist sei, sondern polizeibekannt, dann glaubt man ihm lieber als dem deutschen Spiegel, der es wieder aufbauscht und mit Konnotationen der Leser zündelt. (Wobei es die staatschinesische CCTV auch breaking gemeldet hat ohne Relativierung. In die hat es aber auch die Hamburger Morgenpost letztens schon geschafft im Nachhall des Großereignisses.)
#6
@Gregor
Ja. Vielleicht hängt das mit dem »Warum« zusammen? Eventuell auch mit der Größe mancher Unternehmen bzw. Institutionen? Ich gestehe, dass ich mir manchmal schwer tue, nur Fehler zu sehen: Oder sind die Reihen derart dicht geschlossen? Auf das Beispiel oben (Paris) gemünzt: Wollte man das so zeigen, damit »wir« [der Westen] gut daseht? War das ein politischer Auftrag? Hat man alle Bilder nur übernommen? Bloß Zufall?
@holio
Medien an sich sind keine Garantie, nur tendenziell besser oder schlechter (die FAZ ist ein ganz gutes Beispiel). Ich richte mich auch nach den Namen von Journalisten bzw. nach Empfehlungen (natürlich nicht ausschließlich; ich lese auch immer wieder Texte, obwohl ich »weiß« was mich erwartet).
#7
@metepsilonema
Ich sehe fast nur noch Fehler und muss aufpassen, nicht paranoid zu werden. Als am Sonntag die Berichte über die Demonstration in Paris aufkamen, störte ich mich sofort an den unterschiedlichen Zahlen. Mal war von 160.000 die Rede, dann von 1,5 Millionen. Was war gemeint? Keine Erklärung, wobei ich zugegebenermaßen nur die Zusammenfassungen zu unterschiedlichen Zeiten gesehen hatte. Womöglich stimmen beide Zahlen, die gehen aber nur von unterschiedlichen Zählweisen aus. Vermutlich werden mal alle Demonstrationen addiert und mal nicht.
Was mich stört ist zum Beispiel auch die Bezeichnung »Terror« in Bezug auf die Mörder der Karikaturisten und Polizisten. Ein Terrorakt ist willkürlich, betrifft »Unschuldige« mit Vorsatz, d. h. es soll bewusst eine Angst für jedermann erzeugt werden, dass es ihn treffen könnte, beispielsweise auf Flughäfen, Bahnhöfen, in der U-Bahn, etc. Die Karikaturisten und deren Beschützer wurden aber mit einem Rachevorsatz kaltblütig ermordet. Alleine daher verbietet sich der Vergleich mit dem 11. September 2001.
Die Aussage, dass die Staats- und Regierungschefs weit vorab bzw. auf einer anderen Route aus Sicherheitsgründen marschiert sind, hätte das Bild der scheinbaren Eintracht zwischen Politik und Bevölkerung gestört. Es würde mich nicht wundern, wenn sich irgendwann herausstellte, dass der Politikermarsch sogar zeitversetzt stattfand (erinnert an Sjöwall/Wahlöö »Die Terroristen« aus den 1970er Jahren).
Ich bin ja nach wie vor überzeugt, dass hinter derart fahrlässiger Berichterstattung kein System steckt. Es ist einfach eine Mischung aus Liederlichkeit und falsch verstandenem Verantwortungsbewusstsein. Letzteres beschönigt Sachverhalte bewusst, damit – wie es so schön heißt – die Gesellschaft nicht gespalten wird. Dann kommen solche Machwerke wie das hier zu Stande. Damit entfernt man sich natürlich immer mehr von der traurigen Realität.
#8
Die Begriffe werden stereotyp verwendet, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Terror, Demokratie, etc. Es soll angesichts der gewaltsamen Ereignisse auf gar keinen Fall zu abweichenden Formulierungen kommen. Diese Begrenzung verunmöglicht auch eine unabhängige Analyse. Konformität bei den Begriffen bedeutet Konformität in den Positionen.
Was uns (am Küchentisch) noch aufgefallen ist: der Anschlag galt nicht einer linksliberalen Pariser Redaktion, sondern einem Satire-Blatt. Eine Satire nimmt eigentlich überhaupt nicht auf Werte-Konzepte Bezug, sondern stellt jede Normalität auf den Kopf. Dennoch wird der Unterschied im Genre konsequent ignoriert. Es war die Presse selbst, die erklärt hat: Wir sind gemeint, wir sind Charlie. Diese Vereinnahmung hat durchaus einen strategischen Sinn, wenn man die immer deutlicher auftretende Kritik an der Politischen Öffentlichkeit heranzieht. Damit kann man eine geschwächte Position vorübergehend wieder aufwerten.
Ganz ohne Verschwörungstheorie. Das ist völlig plausibel. Wer kritisiert schon eine Branche, deren physisches Überleben auf dem Spiel steht?!
#9
@Gregor
Vielleicht missverstehen wir einander: Ein Fehler entsteht (meist? immer?) ohne Bewusstsein; klassisches Beispiel: Ein Tipp-, Rechtschreib- oder Grammatikfehler passiert weil man es nicht besser wusste, schlampig gearbeitet hat, unkonzentriert war, usf. Man hätte ihn entweder gar nicht gemacht oder er wäre noch während der Arbeit aufgefallen (er wäre durch einen anderen Wissens- oder Informationsstand behoben worden). Fehler passieren, können, ja dürfen es. — Fiktives Beispiel: Wenn die Anzahl der Demonstranten in Paris (mir ging es da ähnlich) ohne weitere Erläuterung genannt wird, dann muss man annehmen, dass sie für den Ort gelten von dem aus berichtet wurde. Wenn eine Korrespondentin in Paris (live) von drei Millionen spricht und nichts weiter erläutert, dann nehme ich als Zuseher an, dass das für Paris gilt (ich denke mir allerdings: das ist schon etwas viel). Später tauchen dann weitere Zahlen auf, man fühlt sich bestätigt und ärgert sich: Wieder eine Schlamperei (aber gut, kann passieren).
Etwas anderes ist der Bericht (etwa der Brennpunktsendung) in dem ganz klar gezeigt wird, dass die Politiker die Demonstranten »angeführt« hätten; kein Kommentar und kein Bild, das widerspricht (im Gegenteil alle stützen diesen Eindruck). Das ist etwas anderes und für mich kein Fehler mehr, für den man sich ein paar Tage später entschuldigt, denn das wurde bewusst so geschnitten und zusammengestellt (dass das fremdes Bildmaterial war, kann für einen fehlenden Kommentar keine Ausrede sein). Ich behaupte nicht, dass da ein System dahintersteht, nein, das ist aber auch keine Schlamperei mehr, da wurde eine »Erzählung« geschaffen, die mit der Realität in wesentlichen Dingen nicht mehr übereinstimmt. — Falsch verstandenes Verantwortungsbewusstsein könnte eine Erklärung sein (inklusive geringer Distanz zu den Mächtigen). Nur: An diesem Punkt sieht man sehr schön, wie lächerlich und verlogen dann bei vielen Zusehern eine nachgereichte Entschuldigung ankommen muss: »Es war ein Fehler, dass wir unter Verwendung von Steuermitteln durch unsere Berichterstattung falsche Tatsachen vorgetäuscht haben.« Da wundert sich dann noch irgendjemand über eine Flut von Leserbriefen und Beschimpfungen? Wie du weiter oben schon geschrieben hast, dreist (und dumm).
Der Vergleich mit dem 11. September hört sich toll an: Schön aus der Hüfte, »geschossen«: Frankreichs 11. September! Komisch, keiner kam auf Madrid oder London zu sprechen, die näher liegen (aber vielleicht weniger Fanal sind). Natürlich stimmt das nicht oder vielleicht nur von den Auswirkungen her, die wir noch gar nicht kennen (bezeichnend also, wie schnell die Phrase aufkam). — Über die Begriffe habe ich auch schon nachgedacht; »Anschlag« könnte man verwenden.
#10
die kalte Sophie
Konformität bei den Begriffen bedeutet Konformität in den Positionen.
Das wieder einer von Ihren Sätzen, die mich fast ins Mark treffen, so klar sind sie.
Tatsächlich immunisiert sich die Presselandschaft – was Deutschland angeht – durch diesen Angriff. Der Vorwurf der »Instrumentalisierung«, mit dem man ganz schnell andere Gruppen diffamiert, müsste man eben auch an den deutschen Journalismus erheben. Das ist an Schäbigkeit kaum zu übertreffen.
#11
Was ich schockierend fand: Wie total sich Öffrechtl. und andere staatsnahe Medien den Kommunikationsstandpunkt der Politik / der Regierung einnehmen. Da braucht’s gar keine Weisungen aus dem Kanzleramt – und deswegen gibt’s die ja auch nicht.
#12
Da braucht’s gar keine Weisungen aus dem Kanzleramt – und deswegen gibt’s die ja auch nicht.
Das glaube ich auch. Und das ist nicht unbedingt ein Trost.
#13
@Doktor D
Aber es sieht so aus, wenn man schnell oder vorbelastet hinsieht (dazu kommt, dass es tatsächlich Fälle von interessengeleiteter »Berichterstattung« gibt, ein Analogieschluss liegt nahe) — Da das Wort »Lügenpresse« nun auch offiziell zum Unwort gekürt wurde, wird das seinen Gebrauch noch weiter befeuern.
[Ich wüsste gerne, was sich ein Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien denkt, wenn er unsere Diskussion liest.]
#14
@metepsilonema
Mitarbeiter von öffentlich-rechtlichen Medien lesen solche vernachlässigbaren Blogs wie diesen hier grundsätzlich nicht. (Einmal gab es eine Ausnahme und ich erhielt eine Mail nebst Telefonanruf eines Korrespondenten. Dies war aber womöglich nur durch eine Bildblog-Verlinkung ausgelöst.)
Falls durch einen Zufall doch (s. o.), dann lesen sie mit Sicherheit nicht die Kommentare.
#15
»Es würde mich nicht wundern, wenn sich irgendwann herausstellte, dass der Politikermarsch sogar zeitversetzt stattfand.« #8
Laut Focus fand die Politikerparade etwa eine Stunde vor dem »Marsch des Volks« statt.
#16
Die Angelegenheit ist längst undurchschaubar geworden, da jeder etwas anderes gehört und gesehen haben will. Dieser kleine, eigentlich fast unwichtige Vorfall zeigt, wie Journalismus heutzutage funktioniert: Zunächst wird weit und breit Sachverhalt A ((Marsch mit dem Volk)) verkündet. Dann melden sich Zweifler und sagen, es war nicht A, sondern B (was nicht genau das Gegenteil sein muss) ((separater Marsch)). Schließlich entsteht die Kritik und/oder der »Shitstorm«, der Varianten von A und B produziert, also bspw. A2 ((200 m vor der Menge)) oder A3 ((auf einer anderen Straße)) und B2 ((eine Stunde vorher auf einer anderen Straße)), usw. Statt die Varianten nun zu sichten und aufzuklären, verbleiben sie als unterschiedliche Versionen nicht nur im Netz, sondern auch in den Redaktionsstuben. Wer nur »tagesschau« und »tagesthemen« gesehen hat, kennt nur Variante A und hat von A2, A3, B und B2 noch nie etwas gehört.
Wenn selbst solche eigentlich leicht nachprüfbare Begebenheiten nicht mehr journalistisch aufgeklärt werden, ahnt man, warum zum Beispiel kriegsauslösende, propagadabehaftete Ereignisse (ich denke an diverse Geschehnisse zu Zeiten der Jugoslawien-Kriege in den 90ern) für immer obskur bleiben.
#17
@ Gregor Guter Hinweis. Die Ereignisse, lokal in Raum und Zeit, brauchen genaue Beobachter. Die Wirklichkeit lässt sich auch mal von außerhalb des Raum-Zeit-Horizonts bestimmen, aber die Fehler wachsen mit zunehmenden Distanzen. Vielleicht sind unsere öffentlich-rechtlichen Beobachter auch nicht dümmer als normale Menschen, aber mir schwant: genauer wird’s nicht.
Das wäre dann also alles, was die modernen Medien zur Aufklärung beitragen konnten?! Eine tragische Erfahrung, um so mehr als man uns jahrzehnte lang diese (völlig unsinnige) geistesgeschichtliche Parallele aufzwingen wollte. Erst wehrt sich der gesunde Menschenverstand, und dann stimmt’s nicht einmal.
#18
@Gregor
Gut beschrieben; es hängt vielleicht auch damit zusammen, dass immer ein neues Thema hochkocht und der Aufmerksamkeitsfokus weiter springt; eine Nachbearbeitung, bzw. ein Abschluss entfällt dadurch, weil die meisten gar nicht mehr denken (die Zeit hat man vielleicht nicht immer und die Mühe macht man sich nicht, wobei gerade das wichtig wäre).
Wobei Kriegsgründe (Auslöser) nicht ausschießlich Angelegenheit von Journalisten sind, aber grundsätzlich hast Du recht.
#19