Angeschmutzter Realismus

Das Falsche tun, um das richtige Literatur zu schaffen, mit diesem Credo wurden die Gossenhefte 1989 von A.J. Weigoni gekapert.

In der Neo-Noir-Novelle Jaguar und dem Band Monster hatte A.J. Weigoni den Versuch unternommen, an die experimentelle Literatur und an die amerikanische Pop-Kultur anzuschliessen. So wichtig diese Referenzen für das ganze weitere Werk bleiben sollten, war für die Ausbildung seiner spezifischen Schreibweise doch noch ein weiterer Schritt erforderlich. Jaguar ist eine Collage aus ready mades, aus Fertigteilen sowohl der Trivialkultur selbst als auch der Theorie der Trivialkultur. Die Beschreibung trivialer Muster und ihre Interpretation werden also ineinander verwoben und oft in eins gesetzt: Die Sache selbst und ihre Deutungen werden im selben Atemzug vermittelt, ein Verfahren, das sich in allen Texten Weigonis in unterschiedlicher Ausprägung erhalten wird.

Die Gossenheftreihe des Krash-Verlags präsentiert eine Ästhetik der Nichtpriviligierten und zeigt die Kehrseite einer Kultur, ihr Anderes, Verleugnetes, Verbotenes und Begehrtes.

Das Triviale und Populäre zu Kunst zu machen, ist eine Prämisse des Trash. Die Motive stammen aus Alltagskultur, Konsumwelt und aus den Medien. Die Kennung von der „Ästhetik des Hässlichen“ als charakteristischem Merkmal stimmt als Bewertung ebensowenig, wie die Formel „edle Einfalt und stille Größe“. Diesem Abfallprodukt haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Außenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Diese Literatur beschäftigt sich mit dem Anderen in dieser Doppeldeutung und holt etwas in die Kultur zurück, was den Ausgrenzungen zum Opfer gefallen ist. Mit dieser Reihe galt es die Senkgrube der Trivialität durchschreiten. Sie nimmt sich dessen an, was eine gegebene Kultur von dem abgrenzt, was sie als Gegenkultur oder Unkultur betrachtet. Diese Literatur macht beobachtbar, was die Normalitäts- und die Alteritätsannahmen einer Gesellschaft sind, sie zeigt uns, was in unserer Gesellschaft und Kultur möglich, kaum möglich und unmöglich ist. Dabei bilden Ordnung und Gegenordnung ein sich bedingendes Gefüge. Diese Heftromane werden geradezu zum Gradmesser für die in der geltenden Kultur herrschenden Beschränkungen und halten uns den Spiegel vor, sie zeigen unsere eigenen verdrängten Gelüste und eine Schmud­delvariante unserer Welt des neoliberalen, rasenden Still­stands.

Weigonis doppelhelixhafte Erzählstränge folgen einer dialektischen Konstruktion. 

Jaguar ist eine ‚Melancholödie’, die in einer großstädtischen Kneipen- und Kunstszene spielt, das Akademieumfeld der Landeshauptstadt NRWs und die Szene der Ratingerstraße sind ahnbar. Historischer Bezug der Figuren ist der Rock’n’Roll. So denken und handeln sie auch: schnell, hart und laut. Dabei verfangen sie sich in ausgelegten Fallstricken. Schneider und Zonker sind Figuren in einem Spiel von Dr. h.c. Paul Pozozza. Pozozza ist Repräsentant eines Systems, an das er nur glaubt, weil es Profit bringt. Die Malerin Vera Strange ist nicht nur ein Inbegriff romantischer Künstlerexistenz, sondern ein spätes Aufleuchten der Moderne in einem ungleichzeitigen Kontext. Weil Romantik der letzte Versuch ist, in der Kunst etwas Ganzes zu schaffen und die Moderne das Bewusstsein ihrer notwendigen Zerrissenheit einschließt, dann ist sie ein Repräsentant von beidem. Dazwischen steht die Galeristin Grazia Terribile. Sie hat ideelle Vorstellungen, die sie materiell umsetzt. Die eiskalte Hand des Neoliberalismus wurde mit dem hirschledernen Handschuh der Kunstfreiheit überzogen, damit der auspressende Griff um den Hals der künstlerischen Arbeiter keine Fingerabdrücke hinterläßt.

In den Short Stories von A.J. Weigoni stoßen wir auf eine Welt, die kein Erbarmen kennt, der Abgrund ist das Hoheitsgebiet dieses Schriftstellers, aber die Menschen darin empfinden und empfangen Mitleid.

Dieser Schriftsteller schreibt von Heimatlosigkeit, und zwar nicht im reaktionären oder kitschigen tümelnden Sinn, sondern von der Heimatlosigkeit gegenüber einer Welt, in der er ein Fremder ist. Immer wieder das Leben der sogenannten kleinen Leute, der Arbeiter und der unteren Mittelschicht, und er bedient sich eines lakonischen, harten Realismus, den man auch aus amerikanischen Kurzgeschichten kennt: wirtschaftliche Probleme vor allem, daraus resultierendes Alltagsleben, Liebe, Trennung, Zwänge, Konventionen.

Weigoni beschreibt einen gesellschaftlichen Zustand, einen „Weltriss“, wie es Heinrich Heine einst nannte. Diese Short Stories stellen sich gegen den Konsens der Gesellschaft und widersetzen sich entschieden der Marktgängigkeit des Literatur-Betriebs. Das herrschende System fügt den Menschen Schmerzen zu, und wir lesen Geschichten, die diese Schmerzen und immer wieder auch ihre Ursachen beschreiben – und mitunter auch Trost bereithalten: Geschichten, die Dissidenz und Melancholie zum Inhalt haben.

Der andere Teil der Menschen, die Weigoni beschreibt, besteht in der Verweigerung gegenüber einer Gesellschaft des permanenten Funktionieren Müssens, der vorgeschriebenen Wege, des manipulierenden Neo-Liberalen Systems. Wer sich einfach so aus seinem Leben fallen lässt, gehört nicht länger zu den Alles-Mitmachern, sondern legt Protest ein gegen die Welt und gegen die vorgefundenen Verhältnisse ein. Es sind bittere Zustandsbeschreibungen aus dem einfachen, in Wahrheit so unermesslich schwierigen Leben.

Scharfe Schüsse, ätzende Figuren. Gossenromane mit ausgefeilter Redekultur für alle, die Trash & Tragödie nicht missen wollen.

Buchkultur, Wien

Als vorerst letztes Gossenheft wurde mit Unterstützung von Dietmar Pokoyski Massaker produziert. Das Ruhrgebiet erweist sich in Wanne-Nord als eine Landschaft von unwirklicher Ruhe. Kalte Metaphorik trifft in diesem Gossenheft auf eine prosaisch-komprimierte Sprache und allegorische Elemente. Hier wird analysiert wie “das Verbrechen auch das Produkt der Gesellschaft ist, es legt ihr Wesen offen. Jacqueline, die Hauptfigur in Massaker, ist die Manifestation eines Verbrechertypus’, der erst durch die Globalisierung entstehen konnte: ein sich selbst entfremdeter Mensch, der in der Anonymität des Ballungsraums seine Psychopathien auslebt. Gewalt ist für Jaqueline eine Notwendigkeit. Es geht in ihrer Natur um den Kreislauf von Vernichtung und Erneuerung.” Die Hauptfigur Jacqueline erscheint als klassisches Motiv der männermordenden Hexe, gefährlich wie Tollkirschen und verführerisch wie Lulu. Sie ist der Würgeengel des Mannes, zugleich selber dem Untergang geweiht. Wie wir alle.

Als Tag für die Vorstellung dieses Krimis war der 11. September 2001 vorgesehen.

 

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Jaguar, von A.J. Weigoni. Krash-Verlag, Köln, 1989

Monster, Short-Stories von A.J. Weigoni. Krash-Verlag 1990

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001.

Weigoni-Porträt: Anja Roth

Weiterführend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Da dieses Gossenheft vergriffen ist und – wie die anderen Gossenhafte zu überteuerten Preisen im sogenannten modernen Antiquariat gehandelt werden – können Sie es als Fortsetzungsroman auf KUNO nachlesen.