Unter der Leselupe

Andreas Altmann hält die teilnahmslose Natur, die Dunkelheit, die Abschiede fest, und will doch die Aufhebung des Trennenden, die Mischung – und findet dafür magische Bilder.

Joachim Sartorius

Die Vita von Andreas Altmann liest sich wie ein Kessel Buntes: Schriftsetzer, Orchesterwart, Straßenreiniger und Hilfspfleger. Was mir bei dieser Auflistung auffällt ist seine Arbeitet mit geistig Schwerstbehinderten. Ich beneide Menschen, die waidgerecht eine Metapher ausnehmen, eine Figur in einem Satz festnageln, sich an Geopolitik oder Neurochemie wagen können, ohne daß ihnen dabei der Schweiß auf der Stirn steht. Ich beneide sie um das Gefühl für die Richtigkeit ihres Tuns. Wenn ich beobachte, wie sich jemand bückt, um einem anderen zu helfen, glaube ich, daß er die Arbeit aller tut, den menschlichen Job. Ich bewundere diese Menschen, aber ich beneide sie nicht.

Er bringt die Sprache gleichsam zum Leuchten und verbindet Natur und Poetik, wozu für ihn auch der Blick auf industrielle Hinterlassenschaften gehört, die Teil unserer zivilisatorischen Umwelt sind.
Aus der Begründung der Jury zum Literaturpreis des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst.

Sein Buch Art der Betrachtung ist eine poetische Retrospektive, die einen konzentrierten Blick auf seine lyrische Arbeit ermöglicht. Andreas Altmann hat seine Gedichte so gruppiert, daß sie einen thematischen Zugang jenseits der Chronologie ermöglichen, sie handeln von „Dörfern“ oder von „Räumen“ und sie sprechen über „Liebe“ und „Tod“. Viele Merkmale der modernen Lyrik finden sich in diesem Band wieder, die Erfahrung der Realität als komplex und kaum noch durchschaubar Raum. Die Erfahrung der Inkongruenz zwischen Sprache und Realität. Wir sehen uns der Entzauberung, Desillusionierung, Verfremdung verbrauchter Bilder gegenüber. Altmanns Dichtung zeichnet sich durch ihre geisterhafte Bildkraft und ihren unaufdringlichen Sound aus.

Andreas Altmann steht in der Tradition der metaphernreichen deutschen Naturlyrik von Mörike bis Peter Huchel

Durch die Verschmelzung von Sprache, Ich und Natur gelingt es diesem Poeten, ein dichterisches Refugium zu erschaffen, das in der heutigen deutschen Lyrik auffällig ist. Diese Gedichte kann man als Anleitungen zu einer bewußten Annäherung an die Umwelt lesen, eine Sensibilisierung der Umweltwahrnehmung mit literarischen Mitteln. Man kann Altmann in der deutschen Gegenwartsdichtung als Naturlyriker in einem Atemzug mit Wilhelm Lehmann, Karl Krolow und Peter Huchel nennen. Bisher sind acht Gedichtbände von ihm erschienen, dieser Band erscheint mir als ein idealer Einstieg in das Werk von Altmann.

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Art der Betrachtung, von Andreas Altmann, poetenladen, Leipzig, 2012

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Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.