The Breuer, Essayist

Michael Gratz, ein Gönner der Verschreibkunst, kündigte den Lyriker Theo Breuer in der Lyrikzeitung in seiner Funktion als Essayist als THE Breuer an. Wir sind froh, daß dieser Kenner der deutschsprachigen Literatur bei kulturnotizen den ein oder anderen Essay geschrieben hat und uns trotz der hoch gehandelten Ablösesummen nach Saisonende nicht gen Arsenal verlassen will. Das existenzielle Schreiben kann man bei The Breuer als moralische Selbstbehauptung beschreiben, wie sich auch z.B.  Michel de Montaignes Rückzug in sein offenes Projekt der »Essais« sieht.

The Breuer trägt damit zur Ehrenrettung einer Gattung bei. Leitartikel sind nicht ohne. Schwieriger aber schon eine Kritik, ein historischer Aufsatz. Noch schwieriger eine Reportage. Dann kommen die Glossen, Kolumnen, das ist schon ziemliche Kunst. Der Zeitungskünste höchste aber ist: der Essay. Warum?

Weil der Essay nichts erzählt und nichts bedenkt, weil er im Gegensatz zur Glosse oder Kolumne keine Pointe kennt und keine Moral von der G’schicht, weil der Autor in jeder Zeile gegenwärtig und doch am Ende zwischen den Zeilen verschwunden sein muss. Weil ein Essay ein textlicher Schwebezustand ist, ein vages Nichts, das exakt alles enthält: Leitartikel, Reportage, Kritik, historische Betrachtung. Ein Essay kann jede Materialschlacht wagen. Was ihn zusammenhält, ist nicht einmal ein roter Faden. Ihn stützen ein paar rote Punkte vielleicht und die Haltung, der Atem dessen, der spricht. So darf ein Essay alles, was er stilistisch trägt. Dieser Prozess, sein Geheimnis, aus intensiver Welt- und Selbstwahrnehmung einen Text im Tone völligen Unbeteiligtseins herzustellen, läßt sich auf keiner Journalistenschule lernen.

Was ich an Montaigne schätze, ist seine vorurteilsfreie Menschenbetrachtung und sein liberales Denken. Mit dem Begriff ‚Essay‘, zu Deutsch in etwa “Versuch“, distanzierte sich der Meister bewußt von der Wissenschaft, seine “Versuche“ sind vielmehr von subjektiver Erfahrung und Reflexion geprägte Erörterungen. Für mich bedeutet eine geistreiche Abhandlung eine Herausforderung meiner stilistischen und gedanklichen Fähigkeiten. Ich versuche mich dem Gegenstand der Überlegungen zu nähern und ihn aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Historisches Denken ist eine vielfältig einsetzbare Software, die in Wirtschaft und Politik wie auch im Medien– und Kulturbetrieb ein vertieftes Verständnis aktueller Probleme und Konflikte ermöglicht. Vielleicht gelingt es mir, der literarischen Kunstform des Essays eine aktuelle Variante abzugewinnen. Essays tendieren dazu edler, belesener und anspruchsvoller als Romane zu sein – es gibt kein essayistisches Äquivalent zum ‚populären Roman‘. Selbst wenn sie in einem perfekt-lässigen Stil verfasst sind, wird man in ihnen halb verborgene Zitate oder Anspielungen finden, die dazu dienen, den schlauen Leserschichten zu schmeicheln oder sie vielleicht zu langweilen. Als Übungen des Innehaltens, der Erkundung und experimentellen Selbstmultiplizierung sind sie wie Romane – vielleicht sogar mehr. Man könnte sogar sagen, der Roman strebt die Qualität eines Essays an, und es gibt sicher nicht wenige Romanciers, die auch Essayisten waren. Man denke nur an Camus, Eliot oder Henry James, Woolf, Forster oder Orwell, oder Mann, Sartre, de Beauvoir, Weigoni oder auch bei The Breuer!

Photo © Andrea Reiser 2011

Möglicherweise irre ich mich auch, jedoch nicht umher, eher auf dem Weg, den der geschätzte Montaigne beschritten hat: frei flottierend.  Die Reise geht weiter, die Schreibbewegung geht weiter, und solange das Schreiben den Tod aufschiebt, kann auch das Leben weitergehen. Vollendet ist das Werk, wenn der Essayist es losgelassen, es unvollendet hinterlassen hat.

 

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Weiterführend →

Gerne weise ich abschließend auf den fulminanten Essay „Von Buch zu Buch · Lesezeiten 2011“ von The Breuer hin. Und außerdem sollten auch Weigonis Essays nicht unerwähnt bleiben: Verweisungszeichen, Literaturpädagogik und VerDichtung, sowie ein Amuse Gueule auf den Band von Joachim Paul, der im Mai in der Edition Das Labor erscheinen wird.