Die rasante Entwicklung der Lyrik im deutschen Sprachraum, die gegen Ende der 1980er Jahre gleichsam mit quietschenden Reifen durchstartet, zu neuen Ufern – ins Offene – aufbricht (Kling, Grünbein, Papenfuß, Waterhouse preschen voran) läßt sich beim Vergleich der 28 Jahrbücher auf fabelhafte Art und Weise ablesen. Das erste Gedicht in der Geschichte des Jahrbuchs der Lyrik – Jahrbuch der Lyrik 1 · 1979 – ist von Hajo Antpöhler:
1 Anthologie / Axel · Ästhetik / Antiquariat
1993 |
fällt mir zum erstenmal ein Jahrbuch der Lyrik in die Hände. Axel
Kutsch schickt mir ein Exemplar der von Christoph Buchwald zusammen mit
Robert Gernhardt edierten Ausgabe. Es ist die Zeit, in der ich mehr und
mehr Gedichte zu lesen beginne, nachdem ich mein Leseleben bis dahin in
erster Linie mit Romanen verbringe. Da fehlt doch etwas, mutmaße ich,
nachdem ich Axels Gedicht bis zum – scheinbar – letzten Vers um sich schlägt
gelesen habe. Schließlich löst sich das Rätsel, beim Umblättern, auf
der nächsten Seite, wo sich die vier letzten (ein wenig verloren
wirkenden Verse) doch noch finden, wie von selbst.
Was uns fehlt
Paar Gedichte, daß
die Fetzen fliegen
paar Reime die
die Köpfe sprengen
eine Ästhetik die
um sich schlägt
eine Nullnummer
des Aufruhrs sozusagen
die ordentlich weg
gelesen wird
Axel Kutsch
Seit 1994 besorge ich mir das neue Jahrbuch der Lyrik jeweils
unmittelbar nach Erscheinen. Ich stöbre zudem in Kölner und Berliner
Antiquariaten, und es gelingt mir, die elf von 1979 bis 1992
veröffentlichten Bände nach und nach an Land zu ziehen, so daß die bis
2011 erschienenen 28 Jahrbücher mit den immer mal wieder subtil
veränderten Titeln einträchtig im kleinen Sistiger Lyrikkabinett
beieinanderstehen – etwa so:
- 1 Christoph Buchwald · Harald Hartung · claassen Jahrbuch der Lyrik 1. Am Rand der Zeit · 223 Seiten · Hardcover · claassen Verlag · Düsseldorf 1979.
- 2 Christoph Buchwald · Christoph Meckel · claassen Jahrbuch der Lyrik 2. Das zahnlos geschlagene Wort · Mit fünf Zeichnungen von Oskar Pastior · 133 Seiten · Hardcover · claassen Verlag · Düsseldorf 1980.
- 3 Christoph Buchwald · Rolf Haufs · claassen Jahrbuch der Lyrik 3. Zwischen zwei Nächten · Mit vier Zeichnungen von Gerrit Bekker · 133 Seiten · Hardcover · claassen Verlag · Düsseldorf 1981.
- 4 Christoph Buchwald · Gregor Laschen · Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1984. Im Weltriß häuslich · 144 Seiten · Broschur · Luchterhand Verlag · Darmstadt und Neuwied 1984.
- 5 Christoph Buchwald · Ursula Krechel · Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1985. Lamento und Gelächter · 140 Seiten · Broschur · Luchterhand Verlag · Darmstadt und Neuwied 1985.
- 6 Christoph Buchwald · Elke Erb · Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1986. Jetzt. In unserer Lage · 143 Seiten · Broschur · Luchterhand Verlag · Darmstadt und Neuwied 1986.
- 7 Christoph Buchwald · Jürgen Becker · Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1987/88. Bergauf, bergab der gleiche Stein · 144 Seiten · Broschur · Luchterhand Verlag · Darmstadt und Neuwied 1987.
- 8 Christoph Buchwald · Friederike Roth · Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1988/89. Reifenspuren / Brachpfade · 158 Seiten · Broschur · Luchterhand Literaturverlag · Darmstadt 1988.
- 9 Christoph Buchwald · Rolf Haufs · Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1989/90. Reste / Schichten · 172 Seiten · Broschur · Luchterhand Literaturverlag · Frankfurt am Main 1989.
- 10 Christoph Buchwald · Karl Mickel · Jahrbuch der Lyrik 1990/91. Grab, Grimm und Trost · 141 Seiten · Broschur · Luchterhand Literaturverlag · Frankfurt am Main 1990.
- 11 Christoph Buchwald · Thomas Rosenlöcher · Jahrbuch der Lyrik 8. Rückseiten / Ränder · 138 Seiten · Broschur · Luchterhand Literaturverlag · Hamburg · Zürich 1992.
- 12 Christoph Buchwald · Robert Gernhardt · Jahrbuch der Lyrik 9. Im Übergangs-mantel zu singen · 139 Seiten · Luchterhand Literaturverlag · Hamburg · Zürich 1993.
- 13 Christoph Buchwald · Joachim Sartorius · Jahrbuch der Lyrik 1995/96. Poesie der Poesie · 115 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 1995.
- 14 Christoph Buchwald · Michael Braun · Michael Buselmeier · Jahrbuch der Lyrik 1996 / 97. Welt, immer anderswo · 159 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 1996.
- 15 Christoph Buchwald · Ror Wolf · Jahrbuch der Lyrik 1997/98. Gewitter über der Akademie · 150 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 1997.
- 16 Christoph Buchwald · Marcel Beyer · Jahrbuch der Lyrik 1998/99. Ausreichend lichte Erklärung · 143 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 1998.
- 17 Christoph Buchwald · Raoul Schrott · Jahrbuch der Lyrik 1999/2000. Über den Atlas gebeugt · 157 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 1999.
- 18 Christoph Buchwald · Ludwig Harig · Jahrbuch der Lyrik 2001 · 158 Seiten · Bro-schur · Verlag C.H.Beck · München 2000.
- 19 Christoph Buchwald · Adolf Endler · Jahrbuch der Lyrik 2002 · 157 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 2001.
- 20 Christoph Buchwald · Lutz Seiler · Jahrbuch der Lyrik 2003 · 135 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 2002.
- 21 Christoph Buchwald · Michael Krüger · Jahrbuch der Lyrik 2004 · 159 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 2003.
- 22 Christoph Buchwald · Michael Lentz · Jahrbuch der Lyrik 2005 · 189 Seiten · Broschur · Verlag C.H.Beck · München 2004.
- 23 Christoph Buchwald · Norbert Hummelt · Jahrbuch der Lyrik 2006 · 204 Seiten · Hardcover mit Schutzumschlag · Lesebändchen · S. Fischer Verlag · Frankfurt am Main 2005.
- 24 Christoph Buchwald · Silke Scheuermann · Jahrbuch der Lyrik 2007 · 202 Seiten · Hardcover mit Schutzumschlag · Lesebändchen · S. Fischer Verlag · Frankfurt am Main 2006.
- 25 Christoph Buchwald · 25. Jahrbuch der Lyrik. Die schönsten Gedichte aus 25 Jahren · 411 Seiten · Hardcover mit Schutzumschlag · Lesebändchen · S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007.
- 26 Christoph Buchwald und Ulf Stolterfoht · Jahrbuch der Lyrik 2008 · 222 Seiten · Hardcover mit Schutzumschlag · Lesebändchen · S. Fischer Verlag · Frankfurt am Main 2008.
- 27 Christoph Buchwald · Uljana Wolf · Jahrbuch der Lyrik 2009 · 255 Seiten · Hardcover mit Schutzumschlag · Lesebändchen · S. Fischer Verlag · Frankfurt am Main 2009.
- 28 Christoph Buchwald · Kathrin Schmidt · Jahrbuch der Lyrik 2011 · 272 Seiten · Klappenbroschur · Deutsche Verlags-Anstalt · München 2011.
2 Antpöhlers Art – Andreas‘ Art
Die rasante Entwicklung der Lyrik im deutschen Sprachraum, die gegen
Ende der 1980er Jahre gleichsam mit quietschenden Reifen durchstartet,
zu neuen Ufern – ins Offene – aufbricht (Kling, Grünbein,
Papenfuß, Waterhouse preschen voran) läßt sich beim Vergleich der 28
Jahrbücher auf fabelhafte Art und Weise ablesen. Das erste Gedicht in
der Geschichte des Jahrbuchs der Lyrik – Jahrbuch der Lyrik 1 · 1979 – ist von Hajo Antpöhler:
ENDE MÄRZ,
flach die Gegend,
schön so,
auf ner Wiese
steht noch ne
Kabelrolle.
Das Gedicht zitiere ich immer mal bei Telefonaten mit Schreibkollegen.
Die Reaktion ist stets die gleiche: Am anderen Ende wartet der
Gesprächspartner darauf, daß ich fortfahre, und ich sehe mich gezwungen,
jedesmal zu versichern: Nein, hier fehlt nichts. Das vorläufig letzte Gedicht – aus dem Jahrbuch der Lyrik 2011 – klingt so:
Geschäftsbericht
Dieses Jahr wieder ein, zwei Wahrheiten in den
Onlineschlagzeilen, die wie immer
schon wussten, wie damals bei der Erfindung des Gleitschirms.
Der Paarmensch von heute erwähnt im Schlafzimmer
nur das Positive, Betriebe überleben, wenn sie wachsen,
lebende Organismen oft noch ein Stück danach. Sind
die Grauwerte ausgelagert, werden Berichte zu einer notorisch
verspäteten Gattung. Worüber sollen wir noch reden?
Lacher wirken verdächtig. Das 21. Jahrhundert ist eben
gelandet, so früh hat es niemand erwartet. Jetzt stehen wir, rührselig,
uns nur noch selbst im Weg. Der Rest ist Arithmetik.
Die Pessimismen von früher dürfen belächelt werden. Ein Tor ist,
wer seine Träume nicht umbenennt. Der Ton ist härter geworden zwischen
den Geschlechtern. Für Nostalgien habe er
keine Zeit mehr, meinte kürzlich ein Bekannter.
Gestern das Telefonat mit den Eltern: Sie mischen
noch mit. Eine Generation weit weg, und so viel Misstrauen schon.
Gesenkt werden konnten die Kosten für Kommunikation.
Andreas Münzner
Ableev, Daniel – Jahrbuch 27 Achleitner, Friedrich – 17 Acquaroni, Rosana – 12 Adloff, Gerd – 27 Adolph, Monica – 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 25 · 26 Adonis – 13 Aebli, Kurt – 16 Agard, John – 11 Águila, Pablo del – 12 Ahrens, Henning – 16 · 20 · 23 Aigner, Christoph W. – 15 · 19 · 20 · 24 · 27 Alexander, Elisabeth – 1 Allemann, Urs – 26 · 27 · 28 Althoff, Werner – 18 Altmann, Andreas – 17 · 20 · 21 · 23 · 25 · 28 Ames, Konstantin – 26 · 27 Amichai, Yehuda – 9 Amling, Martin – 19 Ammons, A. R. – 19 | Anders, Richard – 1 · 2 · 3 · 5 · 6 · 8 · 9 · 11 Anderson, Sascha – 3 · 6 · 14 · 15 · 23 Andrassy, Antje – 23 Angelmi, Michael – 23 Ani, Friedrich – 9 · 11 · 12 · 15 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 28 Antoni, Gerhard – 26 · 28 Antpöhler, Hajo – 1 · 2 · 3 Arajdi, Naim – 9 Arendt, Erich – 1 · 3 · 4 Arenz, Henning – 16 Arlati, Renato P. – 16 Arlt, Ingeborg – 28 Artmann, H. C. – 17 Ashbery, John – 13 · 18 · 25 Askan, Katrin – 18 Astel, Arnfrid – 14 · 18 Atxaga, Bernardo – 12 Axt, Renate – 1 |
3 Buchwalds Befunde
Was ein gutes oder gelungenes Gedicht ist, ist so allgemein und
pauschal nicht zu sagen. Eine normative Poetik war schon vor 200 Jahren
ein dubioses Unterfangen. Nicht umsonst ist Georg Lukács, der das als
letzter (für den Roman) versucht hat, damit jämmerlich versackt im
ideologischen Sumpf. Für schlechte Gedichte dagegen gibt es deutliche
Anhaltspunkte: schiefe Bilder, ungenaue Sprache, Denk- und
Sprachklischees, Bestätigung und Verdoppelung des Allzubekannten.
Alarmsignale sind z.B. ungenaue Wie-Vergleiche, platte Metaphern,
beliebige Zeilenbrechungen, Verbindungen von Abstraktem und Konkretem
wie z.B. „im Spinnennetz meines Vergessens“, romantisierendes Poeteln
besonders bei Liebesgedichten, ideologische Phrasendrescherei oder
platte Nachahmung. Wer heute noch so dichtet wie der Freiherr Joseph von
Eichendorff 1812, hat nicht alle Tassen im Schrank. Die Welt sieht
anders aus inzwischen.
Das immer wieder Wunderbare an gelungenen Gedichten ist, daß sie mit
den Mitteln der Sprache etwas ausdrücken, etwas formulieren können, was
wir ›irgendwie‹ eher vage und gefühlsmäßig geahnt haben, aber nie
wirklich fassen, festhalten, uns bewußtmachen konnten: ein Lebensgefühl,
eine Zeitstimmung, einen komplexen Denkzusammenhang. Daß sie ein Bild
oder einen Klang dafür gefunden haben, was wir immer schon über die Welt
wissen wollten, aber nie zu denken wagten.
Christoph Buchwald · Jahrbuch der Lyrik 2005
Ich habe in meinen Nachbemerkungen verschiedentlich gegen den – auch
unter klugen Lesern verbreiteten – Irrglauben polemisiert, Gedichte
seien letztlich eben doch Geschmacksache. Es gibt, wie in allen
Genres und Künsten, Meisterwerke, Meilensteine, Kunststücke,
Halbfabrikate, Fehlkonstruktionen, kleine Webfehler, Verbogenes,
Materialermüdung und, natürlich, Ausschuss und Schrott. Voraussetzung
zur Vermeidung von Letzterem sind: Kenntnis des Materials, des
Handwerks und der Traditionen. Die Genies, die voraussetzungslos und out of the blue ein meisterhaftes Gedicht verfassen oder ein Violinkonzert komponieren können, kommen in unserer Galaxie relativ selten vor.
Christoph Buchwald · 25. Jahrbuch der Lyrik
Durch die Umstellung der Gedicht-Einsendungen ausschließlich per
E-Mail haben deutlich mehr Autoren eingeschickt als bei früheren
Jahrbüchern, zu unserer Verblüffung jedoch nicht die unter Dreißig-,
sondern die über Fünfzigjährigen. Das gleiche lässt sich auch nach der
endgültigen Auswahl der Gedichte konstatieren; von den 140 in diesem
Jahrbuch der Lyrik vertretenen Autoren sind siebzehn 1980 oder später
geboren (circa zwölf Prozent). Sagt uns das etwas über einen möglichen
Zusammenhang von Alter und Gedichteschreiben, über das Interesse für
Lyrik bei der Generation der nun circa Dreißigjährigen, das Reflexions-
oder Ausdrucksbedürfnis der Älteren, oder spiegelt es einfach nur die
Tatsache, die jeder Buchhändler bestätigt: die Käufer (und Leser?) von
Gedichten sind eher älter als dreißig?
Christoph Buchwald · Jahrbuch der Lyrik 2011
Bächler, Wolfgang – 1 · 2 · 3 · 4 · 25 Balla, Zsófia – 17 Bartsch, Kurt – 2 · 4 · 5 · 6 · 7 · 25 Bartsch, Wilhelm – 10 · 11 · 16 · 18 · 19 · 20 · 21 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Basse, Michael – 16 · 19 · 21 Bastrop, Anke – 27 · 28 Becker, Jürgen – 3 · 4 · 5 · 6 · 8 · 9 · 10 · 11 · 13 · 14 · 15 · 16 · 17 · 20 · 23 · 24 · 25 Behlert, Karsten – 4 Behrens-Hangeler, Herbert – 22 Beidermühlen, Johannes – 26 Bekker, Gerrit – 1 · 2 · 3 · 4 · 6 · 7 · 18 · 25 Bellman, Carl Michael – 16 Benn, Gottfried – 10 Benrath, Ruth Johanna – 27 Berg, Wolfgang – 2 · 3 · 4 · 5 Bernhof, Reinhard – 15 Bernlef, J. – 5 Bernstein, Charles – 12 · 13 Berry, James – 11 Beten, Klara – 27 · 28 Betz, Martin – 12 Beyer, Marcel – 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 14 · 17 · 19 · 20 · 23 · 24 · 25 · 26 · 28 Bisinger, Gerald – 17 · 18 Blech, Juliane – 21 · 22 · 23 · 24 Bleutge, Nico – 21 · 23 · 25 · 26 · 28 Bodden, Ilona – 2 Böhme, Thomas – 7 · 15 · 16 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 26 · 27 · 28 Böhmer, Paulus – 6 · 9 · 15 · 22 · 24 Böning, Horst – 3 Böttcher, Bastian – 22 · 24 Bohocki, Adriajana – 27 | Bonné, Mirko – 23 · 26 Boos, Manfred – 2 Borchers, Elisabeth – 6 · 8 · 15 · 19 · 20 · 21 · 23 · 24 · 25 · 26 Borgerding, Jörg – 28 Born, Nicolas – 3 · 25 Borokowski, Stanislaw – 28 Borowiak, Simon – 12 · 25 Bossert, Rolf – 4 · 6 · 25 Bossong, Nora – 21 · 22 · 24 · 25 · 26 · 27 Bragi, Einar – 8 Braun, Michael – 14 · 25 Braun, Volker – 4 · 7 · 11 · 14 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 25 Breidenich, Markus – 27 · 28 Breier, Christel – 12 Bremen, Sybille von – 10 Brendel, Alfred – 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 22 · 23 Brenner, Steffen – 20 · 21 Bresemann, Tom – 27 Breuer, Theo – 28 Breytenbach, Breyten – 13 Brischke, Lars-Arvid – 23 · 26 · 27 · 28 Brôcan, Jürgen – 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 27 · 28 Brockes, Barthold Hinrich – 10 Brodsky, Joseph – 13 Brügger, Ulrike – 23 · 27 · 28 Brunner, Helwig – 21 · 23 · 24 Buchacker, Winand – 1 Buchwald, Christoph (Herausgeber) – 1 – 28 Bulla, Hans Georg 1 · 11 · 16 Buselmeier, Michael – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 14 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 |
4 confessional poetry
[…] heute ist mir bei der lektüre von anne sexton zum ersten mal
aufgefallen, dass ich seit anderthalb jahren confessional poetry
schreibe, mittlere ergebnisse bislang, dennoch habe ich das gefühl, ich
kann dieses genre noch mal ein kleines stück vorwärtstreiben, auf seine
grenzen hin; oder auch nicht. was mir immer wieder bauchschmerzen
bereitet, ist der ästhetizistische konsens meiner generation. soll es
das schon gewesen sein? was ist mit den drängenden notzuständen der
seele, terrorisiert vom gedicht? was mit den schmerzhaft gelingenden
lieben, den leerlaufenden trieben, terrorisiert vom gedicht? als ich
neulich den polnischen dichter adam wiedemann übersetzte, wurde mir
wieder mal klar, wie frei wir eigentlich sind, und wie gebunden,
terrorisiert vom gedicht? […]
Andre Rudolph · Jahrbuch der Lyrik 2011
Campert, Remco – 5 · 13 · 25 Canelo, Pureza – 12 · 13 Carmi, T. – 9 Carpelan, Bo – 13 · 25 Castro, Luisa – 12 Cerrato, Laura – 14 Chalfi, Rahel – 9 Cheng, Gu – 10 Christa, Heike – 23 Christensen, Inger – 7 · 13 Clarke, Gillian – 11 Claudius, Matthias – 10 Claus, Carlfriedrich – 4 · 5 · 6 · 7 · 13 · 22 · 25 | Claus, Hugo – 25 Cófreces, Javier – 14 Cojocaru, Maria-Daria – 27 · 28 Collins, Billy – 18 Costa Vallés, Magdalena – 12 Cotten, Ann – 26 Crauss – 27 · 28 Cusanit, Kenah – 27 Curnow, Allen – 13 Czechowski, Heinz – 6 · 7 · 8 · 9 · 11 · 15 · 18 · 19 · 21 · 22 · 24 · 25 · 26 Czernin, Franz Josef – 5 · 15 · 17 · 18 · 25 |
5 Dichternamen
Michael Arenz · Rose Ausländer · Hans Bender · Wolf Biermann · Beat
Brechbühl · Werner Bucher · Joseph Buhl · Erika Burkart · Hanns Cibulka ·
Zehra Çirak · Klaus Peter Dencker · Hilde Domin · Hans Eichhorn · Erwin
Einzinger · Peter Engstler · Peter Ettl · Jan Faktor · Jörg Fauser ·
Günter Grass · Helmut Heißenbüttel · Dieter Hoffmann · Sabine Imhof ·
Peter Jokostra · Heinz Kahlau · Rainer Kunze · Richard Leising ·
Christoph Leisten · Peter Maiwald · Dieter P. Meier-Lenz · Frank
Milautzcki · Heiner Müller · Peter Horst Neumann · Andreas Noga · René
Oberholzer · José F. A. Oliver · Johannes Poethen · Reinhard Priessnitz ·
Christa Reinig · Francisca Ricinski · Doris Runge · Robert Schindel ·
Gerd Sonntag · Peter Turrini · Günter Ullmann · Olaf Velte · Jürgen
Völkert-Marten · A. J. Weigoni · Wolf Wondratschek · Peter-Paul Zahl ·
Maximilian Zander gehör(t)en zu den in der Lyrikwelt beheimateten
Lyrikerinnen und Lyrikern, von denen (bislang) kein Gedicht im Jahrbuch der Lyrik publiziert wurde. Notwendige Voraussetzung der Auswahl für das Jahrbuch der Lyrik
ist die Einsendung von nicht in Einzeltiteln veröffentlichten
Gedichten durch den Autor (nach offener bzw. persönlicher Einladung).
Die im Zusammenhang dieses Textes belanglosen Gründe für die
Abwesenheit von Gedichten vieler Autorinnen und Autoren sind
mannigfaltiger Natur. Ich benenne die fünfzig Namen (mit denen ich
naturgemäß die für sie stehenden Gedichte meine), um anzumerken, was
auf der Hand liegt: Die lückenlose Bestandsaufnahme kann es in
Lyrik-Sammelbänden nicht geben. Das liegt an den unterschiedlichsten
Umständen, im einen Fall am Autor, im anderen am Herausgeber, im dritten
an beiden – und schließlich, wie so oft im Leben, an irgendeiner
banalen Unwägbarkeit. (Von wirkungslosen Wortgefügen ganz zu
schweigen.)
Möglichst exemplarisch verschiedene Spielarten der Lyrik im deutschen
Sprachraum zu dokumentieren und in ihrer Entwicklung aufscheinen zu
lassen, ohne unmittelbar auf Kanonbildung aus zu sein (unter aktiver
Beteiligung der Autoren): So etwa sehe ich das Jahrbuch der Lyrik
in seiner Grundkonzeption, deren Verwirklichung zwangsläufig Namen zum
Opfer fallen, auf die ich nicht verzichten will und bei deren
Abwesenheit im Register ich zusammenzucke.
Zu diesen Nebenwirkungen und jenen Risiken beim Umgang mit Lyrik und Sammelbänden fragen Sie den Herausgeber von Der Große Conrady, dem 1378 großformatige Seiten zur Verfügung standen und der im Vorwort zur neuen Ausgabe von 2008 freimütig einräumt: Immer
ist die Sichtweise eines Anthologisten begrenzt. Und er hat auch
einzugestehen, dass Zufälligkeiten bei der Auswahl, sogar Willkür ihr
durchsichtig / undurchsichtiges Spiel treiben. Stets kann ihm Ungerechtigkeit bescheinigt werden.
Dabrowski, Carolin – 28 Dahl, Edwin Wolfram – 1 · 25 Dang, Ding – 10 Danz, Daniela – 24 · 27 Dao, Bei – 10 · 13 Dathe, Julia – 28 Davies, Hilary – 11 Davis, Olena Kalytiak – 19 Deckert, Renatus – 23 · 24 Degener, Udo – 28 Degenhardt, Franz Josef – 2 Deguy, Michel – 13 Delius, Friedrich Christian – 1 · 2 · 3 · 5 · 13 · 14 Demuth, Volker – 22 Deppert, Fritz – 1 · 5 · 7 Derschau, Christoph – 2 Detering, Heinrich – 21 Dietrich, Wolfgang – 4 · 6 Disch, Tom – 18 | Dittberner, Hugo – 4 · 5 · 6 · 7 · 9 · 10 · 12 · 15 · 16 · 17 · 19 · 20 · 22 · 27 Döring, Stefan – 3 · 5 · 6 · 25 · 26 Domašcyna, Róža – 14 · 18 · 19 · 20 · 22 · 23 · 24 · 27 · 28 Donhauser, Michael – 7 · 25 Dor, Moshe – 9 Dorn, Anne – 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 Dove, Richard – 21 · 22 Draesner, Ulrike – 14 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 26 · 27 · 28 Drawert, Kurt – 8 · 9 · 17 · 19 · 20 · 23 Dückers, Tanja – 27 Düren, Andreas van – 4 · 5 · 6 · 7 · 8 Dürrson, Werner – 9 · 19 Dugdale, Norman – 11 Duhamel, Denise – 18 Duo, Duo – 10 |
6 Eichelhäher · Exemplarisch2
Es dengelt,
es dengelt arg,
und wie ein alter Eichelhäher
siebt Gott das Licht
in größter, liebevoller Eile,
entkernt die Wörter sacht.
Prasseln, Friede,
nur diesen Dellen hier
fehlt drum herum die Fläche.
Àxel Sanjosé
Exemplarisch bedeutet zum einen ›mustergültig‹, ›vorbildlich‹, zum
anderen ›stellvertretend‹, ›als Beispiel dienend‹. Wenn vom
exemplarischen Charakter eines Lyriksammelbands die Rede ist,
schwingen stets beide Konnotationen mit. Als Jahrbücher konzipierte
Anthologien vermitteln die nach Einschätzung der Herausgeber
besonders gut geglückten, originellen, ›mustergültigen‹
Gedichtbeispiele eines Jahrgangs, aber auch lebendige lyrische Texte,
die zwar noch nicht vollkommen ausgereift sein mögen (welche Gedichte
sind das schon?!), die jedoch von einer ausdrücklichen Attraktivität
sind, der sich die Herausgeber – bei allen erkannten kleineren Mängeln
– nicht entziehen wollen und die sie dem Leser gleichsam als
Rezeptions- und vielleicht auch Diskursangebot zur Verfügung stellen.
Die gelungene Anthologie wird stets aus einer aktuell und frisch
wirkenden Auswahl dieser und jener Gedichte bestehen. Die mir durch
Publikation an anderer Stelle bekannt gewordenen und hier nicht
veröffentlichten neuen originellen Gedichte des Jahrgangs lese ich
simultan als Subtext mit, wodurch eine zusätzliche Spannung entsteht,
indem aus der Lektüre der Einzeltitel und Anthologien eines
Jahrgangs mein ›idealer‹ Lyriksammelband entsteht. Daß die grundsätzlich stets zu wenigen Plätze im Jahrbuch
in jedem Jahr viel zu schnell besetzt sind, sollte diejenigen, deren
Gedichte keine Berücksichtigung gefunden haben, nur anspornen, es den
Herausgebern der nächsten Ausgabe erst recht zu zeigen.
Für die Einschätzung der lyrischen Substanz des Jahrbuchs, dessen
Herausgeber sich auf Gedeih und Verderb (mit dem wahrscheinlichen
Wissen um in ihren Augen ›wertvollere‹ Werke) den Gedichten
auszuliefern haben, die die Autorinnen und Autoren einsenden, kann die
Präsenz bzw. Absenz des eigenen Gedichts (die vielfach Empfindungen
wie Freude bzw. Frustration freisetzt) keine wesentliche Rolle spielen.
Im Leben geht es oft ums Ganze, in der Lyrik immer.
Ich habe mich über viele Jahre mehr oder weniger ausschließlich als Leser des Jahrbuchs der Lyrik gesehen und bin der offenen Einladung, Gedichte zur Veröffentlichung im Jahrbuch
einzusenden, nie gefolgt. In den letzten Jahren taucht jedoch hin und
wieder der Wunsch auf, in einem lyrischen Jahrbuch, das einen so
breiten Raum in meiner Lyriksammlung einnimmt, doch einmal mit einem
Gedicht vertreten zu sein. Schließlich schicke ich erstmals für das Jahrbuch der Lyrik 2010
eine kleine Gedichtauswahl an die Redaktion, von der, wie ich
spätestens bei der Lektüre neun Monate später feststelle, kein Gedicht
ausgewählt wird. Für das Jahrbuch der Lyrik 2011 reiche ich den eigens zu diesem Anlaß verfaßten Essay Die eine oder andere Mutmaßung über das zeitgenössische Gedicht sowie u.a. das Gedicht admission free and daily open to the public ein, die nun beide im Jahrbuch der Lyrik 2011 abgedruckt sind.
Eckart, Gabriele – 6 · 7 · 8 · 9 Eckenfelder, Ute – 22 · 25 Ecker, Christopher – 18 · 25 Edgar, Christopher – 19 Eggebrecht, Jürgen – 1 · 2 Egger, Oswald – 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 24 · 26 Ehrensperger, Serge – 17 Eich, Clemens – 17 Eichwald, Michaela – 26 Eigner, Gerd-Peter – 5 · 6 Einhorn, Hinnerk – 10 · 18 · 22 · 25 · 26 Eisendle, Helmut – 2 · 3 Ekier, Jakub – 18 Elíasson, Gyrdir – 8 | Elze, Carl-Christian – 26 · 27 · 28 Endler, Adolf – 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 10 · 11 · 12 · 16 · 18 · 19 · 20 · 21 · 23 · 25 · 26 Engel, Peter – 2 · 23 · 26 · 27 Engelhardt, Elke – 28 Enzensberger, Hans Magnus – 3 · 4 · 13 · 14 · 19 Enzensperger, Manfred – 21 · 26 Erb, Elke – 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 13 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 25 · 26 · 27 · 28 Erb, Roland – 7 · 8 Erb, Ute – 2 Eschmann, Ernst Wilhelm – 1 · 4 Exner, Richard – 9 |
7 Fragiles Fragment. Revisited
Das die Vielgestaltigkeit der Lyrik im deutschen Sprachraum konzentrisch umkreisende Essaygedicht Fragiles Fragment ist eine Hommage an Anthologisten wie Hans Bender (Widerspiel · In diesem Lande leben wir · Was sind das für Zeiten), Christoph Buchwald (Jahrbuch der Lyrik), Karl Otto Conrady (Der Große Conrady) und Axel Kutsch (Versnetze),
die mit ihrer Editionskunst das Spektrum der Lyrik im deutschen
Sprachraum auf beispielhafte Art unermüdlich darstellen bzw. dargestellt
haben und so die Lyrik entscheidend gefördert und ins Bewußtsein der
Leser gehoben haben. Fragiles Fragment (für diesen Essay erneut
leicht überarbeitet) konnte nur entstehen unter dem Einfluß der
gleichsam chronischen Auseinandersetzung mit Sammelbänden dieser
Art, denen ich im stillen viele weitere – von Menschheitsdämmerung über Transit, Museum der modernen Poesie, Luftfracht bis Lyrik von JETZT und Lied aus reinem Nichts (usw.) – beigeselle.
Deutlich mehr zu Anthologien und Anthologisten ist dem in erster Linie
den notorischen Gedichtsammlern Buchwald, Conrady und Kutsch gewidmeten
Kapitel Wir sammeln, bis uns der Tod abholt auf den Seiten 301 bis 352 der Monographie Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000 oder den im Poetenladen veröffentlichten Essays Versnetze über den Sprachraum legen, Lyrikgetwitter sowie Marginalie zum Gedicht in drei Schritten. Zeitgenössische Lyrik im deutschen Sprachraum 2010 zu entnehmen.
fragiles fragment
sentenz vom gedicht im deutschen sprachraum nach 2000
The poem is a machine made out of words
William Carlos Williams
Mais Degas, ce n’est pas avec des idées qu’on fait des vers, c’est avec des mots
Stéphane Mallarmé
No verse is libre for the man who wants to do a good job
Ezra Pound
das spektrum des zwischen hinterland- und großstadtstraßenflucht
schwingenden, einsilbig oder kakophon, fest- oder freimetrisch,
alliterierend oder assonant, (binnen-)gereimt oder prosanah, karg oder
simultankaskadisch, luftig, licht und klar oder geheimnisvoll,
mysteriös und rätselhaft, hochpoetisch klingend oder antilyrisch
gebrochen, überhitzt oder unterkühlt, synästhetisch oder katachresisch,
standardisiert, wortspielerisch oder dialektal, leichtfüßig oder
verschleppt, schlicht oder krass, rotzig oder erhaben, jambisch
(trochäisch) oder daktylisch (anapästisch), erdig oder intellektuell,
ernst, finster, trocken oder ironisch, sarkastisch, zynisch,
schwärmerisch oder nüchtern, herb oder sanft, heiter oder
hypochondrisch, lässig oder forciert („usw.“) ge|form(ulier)ten, jedes
banale und bedeutsame ding des mikro- oder makro-daseins als ECU
oder aus der totalen in den blick nehmenden, vielfach konterkarierenden
gedichts in diesen zeiten der nur noch ganz kleinen verschiebungen
reicht vom eingewurzelten strophengedicht zur experimentellen
collage und visuellen bricolage, vom anagramm übers leipogramm zur
paragrammatischen verballhornung, vom kreuzgereimten zum
alltagsparlando, vom haiku übers akrostichon zu ode, sestine, sonett und
terzine, vom aphorismus übers epigramm zum sprichwort, vom
einwortgedicht über den vierzeiler zum erzähl- oder langgedicht, vom
feurigen stimmungsbild zum wasserumwallten wortschwall, von politisch
grundierten, mit suggestiven botschaften garnierten versen zur privaten
poesie für öffentliche ohren, vom hermetisch übers doppelbödig zum
offen strukturierten gedicht, vom block- zum flattersatz, von der
assoziativ verketteten, überbordenden paradox-skurillen phantasmagorie
zur (realität verfremdenden) lakonischen inventur, von beat über pop
zum ätherischen gedicht, vom ungelegenen vers zum gelegenheitsgedicht,
von sonnenstrahl über thunderstorm zu schneegestöber, von der
innovativen sprachschöpfung zur kongenialen nachempfindung, vom mit
der universalen lyrik aller länder und zeiten ringenden gedicht des
poeta doctus zum naiven notat des art-brut-dichters, von der
chiffrierten zur intertextuellen verflechtung, von der notgeborenen
attacke zur müßigen besinnung, von allegorie über metonymie, metapher
und emblem zum symbol zur bewußt davon befreiten lyrik, vom grotesken
oxymoron zum skurrilen paradoxon, vom farbenfrohen nonsens zum
schwarzweißen tiefsinn, von reiner lyrik über metalyrik
(gedichtgedichte) zum didaktischen lehrgedicht, vom stillen und
kurzen, um eine einzige metapher rankenden gedicht zur hektisch-wilden,
übers ganze blatt und darüber hinaus sich windenden montage oder
endloszeile, vom stakkato zum geschmeidigen, vom surrealen purzelbaum
über dissonanz und lautpoesie zur volksliedstrophe, von der urbanen
häuserzeile zur rustikalen, zeitgemäß fragmentierten bzw. verfremdeten
sumpfdotterblume
im schneegestöber 2010
der dichter liegt vor hitze stockt der mut
in heißen lüften ist kein wort dabei
die zeit der großen verse ist vorbei
und in den brüsten seh ich geizt die glut
der wurm ist nah hier hilft wohl bloß noch ducken
und sich mit schicken kämmen zu bestücken
die feisten schreiber gehen schon an krucken
die dreisten leser wollen sich verdrücken
Fabian, Matthias – 1 Falb, Daniel – 23 Falberg, Tobias – 24 · 26 · 27 · 28 Falkner, Gerhard – 2 · 4 · 5 · 7 · 8 · 9 · 13 · 17 · 18 · 22 · 23 Färber, Thomas – 21 Faverey, Hans – 5 Feaver, Vicki – 11 Fellner, Karin – 28 Fels, Ludwig – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 15 · 16 · 17 · 19 · 20 · 21 · 22 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Fichtner, Ingrid – 16 · 17 · 26 · 28 Fiebig, Gerald – 24 · 26 · 27 | Fienhold, Wolfgang – 1 · 2 Filips, Christian – 23 · 26 Fischer, Heinz – 1 Fischer, Saskia – 27 Franzobel – 16 · 18 · 19 · 20 · 22 · 24 Frei, Frederike – 1 Fried, Erich – 14 Friedel, Swen – 23 · 25 Friesel, Uwe – 1 · 2 Frischmuth, Felicitas – 1 · 18 Fritsch, Werner – 19 · 21 · 23 · 25 Fritz, Walter Helmut – 2 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 Fruth, Michael – 1 Fuchs, Ernst – 1 |
8 Gelbhalsmaus · Geschiebemergel
Résumé
Bis heute kein einziger Seepapagei in meinen vielen Gedichten
(stattdessen schon wieder ’n Dutzend grüne Fadennudeln im Bart);
Auch dem Sabberlatz nicht das ärmste Denkmal gesetzt in Vers oder Prosa,
so wenig wie der Elbe-Schiffahrt oder der Karpfenernte bei Peitz.
Geschiebemergel dagegen ja!, fast zu häufig die Rede von diesem
(und meistens die Fadennudeln im verwahrlosten Bart)!
Nicht vergessen die Gelbhalsmaus, nicht fehlt die sogenannte Naschmarktfassade!
Selbst Sägeblätter, selbst Kühlhaus-Eier weiß ich nirgendwo untergebracht.
Indessen nicht der kleinste Seepapagei in meinem Scheiße-Gesamtwerk!
Um ehrlich zu sein: Das Gleiche gilt für den Hüfthalter oder den Kronenverschluß.
Und wie konnte ich fünfzig Jahre lang das Wörtchen ›Wadenwickel‹ verfehlen?
Es gibt keine ausreichend lichte Erklärung für das und für dies und für das.
„Darf ich dir die Fadennudeln aus dem Bart nehmen?“
(Georg Maurer).
Adolf Endler · 25. Jahrbuch der Lyrik
Gabler, Claudia – 26 · 27 · 28 Gahse, Zsuzsanna – 18 Gandolfo, Ricardo Ezequiel – 14 Ganglbauer, Petra – 23 Ganz, Niklas – 23 Gaponenko, Marjana – 27 Gappmayr, Heinz – 15 Garaczi, László – 17 Garfs, Gudrun – 20 Gasseleder, Klaus – 19 · 23 · 24 Gauch, Sigfrid – 15 Geerk, Frank – 1 Geerken, Hartmut – 22 Geiser, Christoph – 1 Geissler, Christian – 3 · 4 · 6 · 11 · 12 · 16 · 17 · 18 · 20 · 21 Geist, Beate – 11 Geist, Sylvia – 26 · 27 Genschel, Mara – 27 · 28 Gerlach, Harald – 14 Gernhardt, Robert – 12 · 14 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 Gerok, Annette – 9 Gerz, Jochen – 4 · 5 · 6 · 8 · 9 · 10 · 11 · 15 · 17 Gimferrer, Pere – 12 Gintrowski, Tina Ilse Maria – 28 Glück, Louise – 18 Glusgold, Andrej – 23 Göritz, Matthias – 21 · 23 · 24 · 25 · 27 · 28 | Görler, Ingeborg – 4 · 17 Goethe, Johann Wolfgang von – 10 Gomringer, Nora-Eugenie – 26 · 27 Gosse, Peter – 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 15 · 16 · 17 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 28 Grabow, Harriet – 27 Gräf, Dieter M. – 10 · 12 · 14 · 20 · 21 · 28 Graf, Guido – 26 Graf, Roman – 23 · 26 Granderath, Greta – 27 Grashoff, Udo – 28 Greßmann, Uwe – 11 Greve, Ludwig – 14 · 25 Grímsson, Stefán Hördur – 8 Grobe, Christoph – 20 Gröhler, Harald – 1 Gruber, Thomas – 9 · 11 · 24 Grünbein, Durs – 13 · 14 · 15 · 17 · 18 · 19 · 20 · 25 Grünzweig, Dorothea – 23 · 24 · 26 Guenther, Johann Christian – 10 Guhde, Christel – 1 Gulden, Alfred – 18 Gumz, Alexander – 26 · 27 · 28 Gustafsson, Lars – 13 Guttenbrunner, Michael – 1 · 2 · 4 · 8 · 25 Gutzschhahn, Uwe-Michael – 1 · 3 · 5 · 6 · 7 · 8 · 10 |
9 Herausgeber. Handschrift
in memoriam rainer malkowski
afferm foddo in seim ledzdn gedichdband
wou nach seim doud rauskummä is
sichdmä enn moo innerm trenchcoat
midderm schdockscherm in dä händ
hindä imm ä boä baim
ä moo wäi dausend dausend andre
allers andre wäiä dichter:
scheinboä unscheinboä
Fitzgerald Kusz · Jahrbuch der Lyrik 2008
In Lyrikstationen 2008 stelle ich das Jahrbuch der Lyrik 2008 vor. Da heißt es u.a.: Während
ich „Anschauen, ein Ausland“ von Michael Lentz lese, fühle ich mich auf
wundersame Weise umarmt, Jutta Overs „Brachvogel vor Einsatz des
Regens“ nimmt mich auf seine Flügel, dieweil Johannes Kühns lakonische
„Bescheidung“ mich zurückholt auf den Boden der nicht immer fröhlichen
facts of life. Ich vergleiche die unterschiedlichen Handschriften der beiden Herausgeber Christoph Buchwald und Axel Kutsch und geselle dem Jahrbuch der Lyrik 2008 und Versnetze
einen dritten (virtuellen) Sammelband bei, in dem sich ausschließlich
Autorinnen und Autoren finden, die in keinem der beiden seit Jahrzehnten
nahezu jährlich erscheinenden Jahresüberblicke vertreten sind. Dieses
Spielchen wiederhole ich hier und heute, gleiche die Namen der 138 im Jahrbuch der Lyrik 2011 mit den 211 in Versnetze_drei
vertretenen Beiträgern ab, wandre die Regalen entlang, blättre in
Büchern, lese mich in Gedichten fest und entscheide mich – exemplarisch
111 mehr oder weniger bekannte Sprachspielerinnen und Sprachspieler
verschiedenster Provenienz benennend – für diese aus jung und alt
zusammengestellte Crew des Lyrikjahrgangs 2011, um auch an dieser Stelle
wieder einmal zu zeigen, wie viele aktuelle originelle Lyrikstimmen im
deutschen Sprachraum ertönen:
Kurt Aebli ·
Henning Ahrens · C. W. Aigner · Richard Anders · Jürgen Becker · Margot
Beierwaltes · Paulus Böhmer · Mirko Bonné · Elisabeth Borchers · Nora
Bossong · Volker Braun · Zehra Çirak · Franz Josef Czernin · Daniela
Danz · Uwe Dick · Stefan Döring · Michael Donhauser · Kurt Drawert ·
Alex Dreppec · Anne Duden · Oswald Egger · Hans Magnus Enzensberger ·
Daniel Falb · Gerhard Falkner · Gerald Fiebig · Christian Filips ·
Kersten Flenter · Franzobel · Walter Helmut Fritz (1929–2010) · Sylvia
Geist · Elfriede Gerstl · Marianne Glaßer · Nora Gomringer · Greta
Granderath · Durs Grünbein · Jürg Halter · René Hamann · Martina Hefter ·
Rolf Hermann · Andrea Heuser · Hadayatullah Hübsch (1946-2011) · Felix
Philipp Ingold · Jayn-Ann Igel · Roman Israel · Hendrik Jackson · Ilse
Kilic · Barbara Maria Kloos · Barbara Köhler · Uwe Kolbe · Thilo Krause ·
Helmut Krausser · Thomas Kunst · Christine Langer · Michael Lentz ·
Swantje Lichtenstein · Johann Lippet · Kurt Marti · Christoph Meckel ·
Frank Milautzcki · Gert Neumann · Franz Mon · Alexander Nitzberg · Helga
M. Novak · Brigitte Oleschinski · José F. A. Oliver · Jutta Over · Bert
Papenfuß · Dirk von Petersdorff · Holdger Platta · Matthias Politycki ·
Marion Poschmann · Christa Reinig · Nikola Richter · Monika Rinck ·
Horst Samson · Angela Sanmann · Joachim Sartorius · Rainer Schedlinski ·
Hansjörg Schertenleib · Sabine Schiffner · Robert Schindel · Evelyn
Schlag · Dieter Schlesak · Ferdinand Schmatz · Nathalie Schmid · Stefan
Schmitzer · Christian Schloyer · Sabine Scho · Katharina Schultens ·
Armin Senser · Michael Stauffer · Ludwig Steinherr · Rainer Strobelt ·
Christian Teissl · Uwe Tellkamp · Jürgen Theobaldy · Thien Tran
(1979–2010) · Hans-Ulrich Treichel · Sandra Trojan · Christian Uetz ·
Anja Utler · Raphael Urweider · Florian Voß · Peter Waterhouse · Fritz
Widhalm · Lino Wirag · Ror Wolf · Paul Wühr · Michael Wüstefeld · Judith
Zander · Ulrich Zieger
Der überwiegende Teil der hier Nominierten ist bekanntermaßen mehr oder weniger oft im Jahrbuch der Lyrik, in Versnetze (oder beiden) vertreten und gehört zum Arsenal zahlreicher Sammelbände von Neubuch über In diesem Land bis Echtermeyer oder Der Große Conrady
(um nur ein paar Anthologien aus den letzten Jahren zu benennen), aber
hier soll es um die kleine Momentaufnahme 2011 gehen – die erneut
bestätigt, was ich seit Jahren denke, empfinde und notiere: Die Lyrik im
deutschen Sprachraum ist auf breiter Front in guter Form. Es spricht
für die Herausgeber, daß sie stets auf der Suche nach der
überraschenden Mischung sind und die Gedichte augenscheinlich im
Vordergrund des Interesses stehen, unabhängig von dem, der sie
geschrieben hat. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Herausgeber auf
alle oben Genannten (und mehr) verzichten und dennoch mit dem Jahrbuch der Lyrik 2011
ein akzeptables, lebendiges, originelles Bild der zeitgenössischen
deutschsprachigen Lyriklandschaft entwerfen, kann es um das in
deutscher Sprache verfaßte Gedicht nach 2000 so schlecht nicht bestellt
sein. So mache sich jede Leserin, jeder Leser ein eigenes Bild.
Häfner, Eberhard – 6 · 7 · 9 · 11 · 12 · 19 · 26 · 27 Härtling, Peter – 8 · 18 Haeseling, Dorothée – 3 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 25 Hafner, Fabjan – 27 Hahn, Ulla – 27 · 28 Hahs, Heinz G. – 14 · 15 · 25 Hainzinger, Michael – 22 · 25 Hallinger, Markus – 28 Hamann, René – 17 · 19 · 27 Hamburger, Michael – 17 · 18 · 19 · 22 · 25 Hamelink, Jacques – 5 Hamm, Peter – 14 · 25 Hammer, Joachim Gunter – 10 · 12 · 15 Hammerschmitt, Marcus – 26 · 27 Handke, Peter – 14 Hanna, Stephan – 6 Hannsmann, Margarete – 1 · 3 Hansen, Dirk Uwe – 28 Happel, Lioba – 4 Harig, Ludwig – 15 · 16 · 17 · 18 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 Harter, Sonja – 24 · 26 Hartge, Caroline – 27 · 28 Hartmann, Petra – 23 Hartung, Harald – 1 · 2 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 13 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 Hartz, Bettina – 28 Hass, Robert – 13 Hassinger, Sabine – 7 · 8 · 9 Haufs, Rolf – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 9 · 11 · 12 · 14 · 15 · 16 · 17 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 Hausemer, Georges – 2 · 5 Hausmann, Raoul – 22 · 25 Heaney, Seamus – 18 Heer, Roland – 16 Hefter, Martina – 21 · 23 · 24 · 26 · 27 Heib, Stephanie – 28 Heim, Uta-Maria – 7 · 8 · 9 · 11 Hein, Manfred Peter – 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 11 · 13 · 14 Heinse, Wilhelm – 10 Heise, Hans-Jürgen – 1 · 25 Heisig, Wolfgang – 22 Helmich, Hans-Joachim – 1 | Hemau, Gisela – 5 Hengel, Oliver – 24 Hennig, Martin – 1 Henninger, Gerd – 1 · 4 Hensel, Kerstin – 9 · 10 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 28 Henß, Dietlind – 1 Herbeck, Ernst – 14 Herburger, Günter – 5 · 6 · 8 · 9 · 12 · 14 · 15 · 16 · 17 · 18 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Hermann, Wolfgang – 8 · 9 · 16 Hermlin, Stephan – 10 Herms, Uwe – 2 · 3 · 25 Herzberg, Judith – 5 · 13 Hess, Rita – 5 Hesse, Günter – 1 Heubner, Christoph – 1 · 2 Heynicke, Kurt – 2 Hilbig, Wolfgang – 2 · 5 · 10 · 11 · 14 · 25 Hindringer, Herbert – 27 Hinterberger, Norbert – 2 · 3 · 25 Hintze, Dagrun – 28 Hirschfelder, Hans Ulrich – 22 Hirth, Simone – 26 · 27 · 28 Hjartarson, Snorri – 8 Höcker, Katharina – 20 · 21 · 23 Hölderlin, Friedrich – 10 Höllerer, Walter – 3 Hoffbauer, Jochen – 2 Hoffmann, Jürgen – 2 · 5 Hohmann, Jens-Erik – 15 Højholt, Per – 7 Holub, Miroslav – 13 · 25 Honigmann, Barbara – 7 Huchel, Peter – 3 Hübner, Uwe – 6 · 8 · 16 · 17 · 25 · 26 Hückstädt, Hauke – 17 · 20 · 25 · 26 · 28 Hüge, Bernd-Dieter – 5 · 6 · 7 · 8 · 10 Hüttenberger, Michael – 28 Hughes, Ted – 11 Hulpe, Marius – 28 Hummelt, Norbert – 10 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Hutten, Katrine von – 4 · 7 Hutter, David – 11 · 12 |
10 Idee
Die Idee, dass ein Lyrikjahrbuch nur „repräsentative“, ja, gar
„beste“ Gedichte würde zeigen wollen, war mir, ehrlich gesagt, von
Anfang an suspekt, zu groß sind ja die Limitierungen im
Auswahlverfahren (das Jahrbuch ist keine umfassende Auswahl-Anthologie
aller veröffentlichten zeitgenössischen Gedichte etc.). Aus demselben
Grund kann man das Jahrbuch nicht als ästhetisch-poetologisches
Statement der Herausgeber lesen – was auch immer man sich vielleicht
vornimmt, alles steht und fällt mit den Texten, die eingesandt oder
eben, auch auf Nachfrage, nicht eingesandt werden. Zudem bringt, wie
Ulf Stolterfoht schon anmerkte, der Auswahlprozess „die eigenen ehernen
Kriterien zumindest ins Wanken“, also eine Form von Seegang. Trotz
allem wird von vielen Dichtern die Institutionalisierung („drin sein“,
„Ritterschlag“) oder wahlweise Absägung („Cliquen- und
Kartellbildung“) der Sammlung betrieben – was ihr
unglücklicherweise den Charakter einer Festung gibt und ihr, wie ich
finde, einiges von ihrer möglichen Offenheit Dynamik, Durchlässigkeit
zu nehmen droht.
Uljana Wolf · Jahrbuch der Lyrik 2009
Igel, Jayn-Ann (vormals Bernd) – 5 · 6 · 7 · 8 · 16 · 20 · 25 · 27 | Imgrund, Jan – 27 · 28 Ingold, Felix Philipp – 4 · 7 · 8 · 9 · 12 · 13 |
11 Jahrbuch der Lyrik
2011 vollendet der in Amsterdam lebende Christoph Buchwald das
sechzigste Lebensjahr. Seit 1979 ediert er das Jahrbuch der Lyrik.
Bereits mehr als die Hälfte des Lebens (Mit gelben Birnen
hänget / Und voll mit wilden Rosen / das Land in den See, / Ihr holden
Schwäne, / Und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt / Ins
heilignüchterne Wasser. // Weh mir, wo nehm ich / Wenn es Winter ist,
die Blumen und wo / Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde? / Die
Mauern stehn / Sprachlos und kalt, im Winde / Klirren die Fahnen)
verbringt er mit ›seinem‹ Jahrbuch. ›Mein‹ Jahrbuch, ›dein‹ Jahrbuch?
Jahrbuch ist für alle da! Alle? Ist der Gang durch das mit Gedicht,
Anmerkung, Essay und Nachwort bestückte Jahrbuch der Lyrik von
Band 1 bis 28 gleich einem Gang durch die Geschichte der Lyrik der
letzten Jahrzehnte? Diese sehe ich, über den Daumen gepeilt, in drei
Teilabschnitten: das beinahe bedächtig im freien Metrum auf
deutschsprachiger Seenplatte – glatte Fläche ringsumher –
dümpelnde, im Nachgang nicht dauerhaft wirkende Alltagsparlando der
siebziger und achtziger Jahre (nach bzw. neben Born und Brinkmann – vor
Kling und Papenfuß), der Aufbruch ins Offene während der feurigen
neunziger Jahre mit radikalen, von Gipfelstürmern um Kling & Co.
dem neuen Gedicht zugesetzten Geschmackverstärkern und subkulturell
kurzzeitig für Furore sorgenden jungen Wilden des Social Beat,
die forcierte, fetzige Fortschreibung nach 2000 mit lyrischen
Ballungsräumen, Netzwerken, Parallelwelten und Steppenwölfen im
Dichtungshinterland, die zu einer von Jahr zu Jahr sich potenzierenden
Unübersichtlichkeit führt.
Bisweilen habe ich die Faxen dicke, und ich verschanze mich, beispielsweise, hinter Jonathan Frantzens Freedom. Doch täglich lockt der Lyrikkalender – heute mit Jan Kuhlbrodt (durch ein anderes Land), gestern mit Elke Erb (und aus der Begegnung mit ihnen rückt Gewohnheit ein): Jeder Tag ein Gedicht … Nie also war das Jahrbuch der Lyrik so wertvoll wie heute. Es ist ein
wesentlicher Wegweiser, der jeder interessierten Leserin, jedem
neugierigen Leser reichlich Richtungen anzeigt. Daß die intensive
Auseinandersetzung immer über einJahrbuch hinausführen muß, ist eine Binsenweisheit. Das Jahrbuch der Lyrik
verstärkt den Geschmack auf mehr (auch und gerade wenn ich es gegen den
Strich lese, Subtexte mir nur so zufliegen, Fragezeichen die Stirn
umwölken) – auf den Einzeltitel, auf die Jahrzehnt-, Jahrhundert-,
Jahrtausend-Anthologie, auf die Lyrik des anderen Sprachraums (dem in
mehreren Jahrbüchern ein Kapitel eingeräumt wird): Nur so können
wir die Geschichte der Lyrik in ihrer Gesamtheit erkennen, begreifen –
erleben. Mit dem Lesen von Gedichten – beispielsweise im Jahrbuch der Lyrik – ist das wie beim Erwerb des Führerscheins: Kurven kriegen lerne ich erst, indem ich es laufend praktiziere.
Jacobs, Steffen – 15 · 16 · 17 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 25 · 26 Jagelke, Magdalena – 28 Jandl, Ernst – 1 · 2 · 4 · 5 · 6 · 8 · 9 · 11 · 14 · 25 Jankovski, Martin – 27 Janz, Angelika – 23 | Jendryschik, Manfred – 9 · 10 · 16 · 17 · 18 · 23 · 24 · 26 · 27 · 28 Jentzsch, Bernd – 4 Jeschke, Mathias – 21 · 23 Jetze, Franz Christoph – 5 Juarroz, Roberto – 13 · 14 Juritz, Hanne F. – 1 · 2 |
12 Kontexte. Korrespondenzen
The Walking Tree
Das ist der Baum, vor dem uns unsere Mütter
Immer gewarnt haben. Der uns abends nachsteigt,
Mit grünen Lidern winkt und über Zäune klettert.
In seinen Mußestunden hört er Mozart.
Er späht durchs Fenster, hinterläßt an Türen
Gelbe Graffiti. Beim Vortrag im Sophiensaal macht er sich
Ganz eigene Gedanken. Lauscht auf unser Atmen
Und wirft uns Blüten hin, Schnee, der nicht schmilzt.
Christine Thiemt · Jahrbuch der Lyrik 2007
Ich lese das Jahrbuch der Lyrik gleichsam so, wie ich die Bilder
einer Ausstellung betrachte: Dort wandere ich stundenlang von Gemälde zu
Gemälde, von Graphik zu Graphik, von Collage zu Collage, hier lese ich,
mir die Nacht um die Ohren schlagend, Wort um Wort, Vers um Vers,
Strophe um Strophe, Gedicht um Gedicht – in der Reihenfolge der seit
1979 gepflegten BuchwaldschenHängung, die auf in Kapitel
montierte Zusammenklänge setzt, die naturgemäß auch gern wider den
Stachel löcken. So nehme ich direkt Anteil an den bewußt oder
unabsichtlich hervorgerufenen kreativ-knorrigen (gelenkigen)
Korrespondenzen der Gedichte, der Verse, der Wörter und dieser in
frischfarbiger Umgebung immer wieder überraschend wirkenden Gestalt. Ich
erlebe dabei eine luftige (bisweilen auch beschwerliche) Berg- und
Talwanderung, wie ich sie bereits in Ohne Punkt & Komma. Lyrik in den 90er Jahren beschrieben habe: Gedichte
lesen ist eine metabolistische Achterbahnfahrt, ein Auf und Ab, ein
Quer und Kreuz durch die Großhirn-, Stammhirn- und Neokortex-Windungen,
ich werde absolut, voll und ganz, radikal und total in Anspruch
genommen, die Phantasie wird beflügelt, das Blut ist in permanenter
Wallung, plötzlich runzle ich die Stirn, warum bin ich dermaßen wütend,
und nichts als Fragen und Ratlosigkeit offenbaren sich: ganz wie im
richtigen Leben. Ich lese die Gedichte im neuen Kontext durchweg ganz anders als im Gedichtbuch des Autors, wo sich die Gedichte einer
Handschrift gleichsam wie von selbst zusammenfügen, während sie im
Sammelband oft zu schrillen Farbformkombinationen montiert werden,
die mich auf meiner Lesereise immer wieder neu ordentlich in Fahrt
bringen.
Kaas, Harald – 5 Kalbhenn, Marlies – 26 Kalinke, Viktor – 22 · 24 Kaminski, Astrid – 26 Karschnia, Alexander – 24 Karsunke, Yaak – 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 12 Kasnitz, Adrian – 27 Kattner, Heinz – 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 15 · 17 · 18 · 20 Kehle, Matthias – 10 · 17 · 24 · 27 Keil, Myriam – 28 Kelter, Jochen – 1 · 2 Kemény, István – 17 Kempf, Joseph – 1 · 18 Kempff, Diana – 5 Kempker, Birgit – 16 Kessler, Elisabeth – 6 Kielar, Marzanna B. – 18 Kilic, Ilse – 11 Killert, Gabriele H. – 20 Kirsch, Rainer – 4 · 6 · 7 · 10 · 11 · 15 · 18 · 19 · 21 · 25 Kirsch, Sarah – 1 · 5 · 6 · 7 · 8 · 10 · 11 · 15 · 16 · 19 · 22 · 25 Kirsch, Sebastian – 17 Kirsten, Wulf – 11 · 12 · 14 · 15 · 18 · 19 · 20 · 21 · 26 Kittler, Hartwig – 10 Kiwus, Karin – 10 · 22 · 25 Kizer, Carolyn – 19 Kling, Thomas – 5 · 6 · 7 · 8 · 14 · 16 · 19 · 25 · 26 Klink, Dieter – 3 Kloos, Barbara Maria – 23 · 24 · 26 · 27 Klopstock, Friedrich Gottlieb – 10 Klünner, Lothar – 19 · 21 Klüssendorf, Angelika – 9 Kneip, Matthias – 23 · 24 Kobus, Nicolai – 21 · 23 · 25 · 27 Koch, Michael – 28 Koch, Ulrich – 10 Köberl, Oswald – 28 Köhler, Barbara – 9 · 11 · 16 · 19 · 23 Köhler, Monika – 15 Köhler, Synke – 27 · 28 Köhn, Monika – 7 · 8 · 9 · 15 · 25 Koepsell, Kornelia – 22 · 23 · 24 · 26 · 27 Kofler, Gerhard – 17 · 19 · 26 Kohlus, Claudia – 27 Kokot, Sascha – 28 Kolbe, Uwe – 4 · 5 · 7 · 8 · 9 · 11 · 15 · 18 Kolleritsch, Alfred – 4 · 5 · 6 · 14 · 17 · 19 · 25 | Komers, Rainer – 28 Komunyakaa, Yusef – 18 Kondrat, Kristiane – 28 Koneffke, Jan – 4 · 5 · 6 · 7 Kopland, Rutger – 5 Kouwenaar, Gerrit – 13 · 25 Kovadloff, Santiago – 14 Koziol, Andreas – 7 · 19 · 26 Kraft, Gisela – 1 · 2 Krämer, Thorsten – 16 Kraus, Dagmara – 27 Krause, Christoph – 16 Krause, Dieter – 20 · 24 Krauß, Angela – 18 Krausser, Helmut – 18 · 24 Krechel, Ursula – 3 · 4 · 5 · 6 · 8 · 15 · 18 · 19 · 20 · 22 · 23 · 25 · 26 Kreipe, Birgit – 28 Krese, Maruša – 27 Kreidl, Margret – 12 Kreis, Christian – 28 Krier, Jean – 17 · 18 · 19 · 21 · 22 · 24 · 26 · 27 Krolow, Karl 1– · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 11 · 25 Krüger, Michael – 4 · 5 · 6 · 8 · 9 · 10 · 13 · 14 · 16 · 17 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Krynicki, Ryszard – 13 Kubin, Wolfgang – 21 Küchenmeister, Nadja – 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Küchler, Sabine – 14 · 15 · 16 · 17 · 20 · 22 Kühn, Johannes – 11 · 12 · 14 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Kugel, Marco – 23 Kuhlbrodt, Jan – 22 · 23 · 27 · 28 Kuhligk, Björn – 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Kuhn, Leokadia – 23 · 24 Kuhn, Leokadia – 23 Kuhnert, Clemens – 22 Kukorelly, Endre – 17 Kulessa, Hanne – 9 Kunert, Günter – 2 · 3 · 4 · 5 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 15 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Kunst, Thomas – 21 Kunz, Marco – 22 · 24 Kusters, Weil – 13 Kusz, Fitzgerald – 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 Kutsch, Axel – 7 · 12 · 26 · 27 · 28 |
13 Lyrikleselust
Im Anschluß an die soeben in Kontexte. Korrespondenzen formulierten Gedanken drängt sich unversehens die Frage in den Vordergrund: Lesen Lyriker das Jahrbuch der Lyrik? (Besorgen sie es sich, wenn sie nicht darin vertreten sind?) Überhaupt – wer liest das Jahrbuch der Lyrik?
Die gedruckte Auflage liegt, wenn ich richtig informiert bin, bei ca.
3.000 Exemplaren – viel, wenn ich diese Zahl mit jenen vergleiche, die
wir von Einzeltiteln nach 2000 kennen, die sich – fast ausschließlich –
im unteren dreistelligen Bereich bewegen. In den Kundenrezensionen
bei Amazon lerne ich einige Leserinnen und Leser mit sehr interessanten
Kommentaren kennen. Ich bin gespannt, mit wem ich (außer den üblichen
Verdächtigen) in diesem Jahr ins Gespräch übers Jahrbuch der Lyrik
kommen werde. Ein Gespräch über Lyrik ist (fast) kein Verbrechen. Oder
doch? Christa Wißkirchen jedenfalls macht sich in der Glosse Scharfer, aromatischer Sud (Jahrbuch der Lyrik 2011, S. 223–226) fröhliche Gedanken zur lyrischen Schieflage der Nation.
Lange, Norbert – 23 · 26 · 28 Lange-Müller, Katja – 7 · 15 Langer, Rudolf – 1 · 2 Langer, Christine – 26 Langstein-Jäger, Elke – 12 Lanzendörfer, Frank – 6 Lappert, Rolf – 8 · 12 Larsen, Marianne – 7 Laschen, Gregor – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 10 · 11 · 13 · 14 · 20 · 25 · 26 · 28 Laubscher, Werner – 14 Ledebur, Benedikt – 26 Lehman, David – 18 · 19 Lehnert, Christian – 28 Leithardt, Jutta – 5 · 6 Lentz, Michael – 10 · 11 · 12 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 Lenz, Hermann – 14 · 15 Leß, Georg – 28 | Leupold, Dagmar – 5 · 6 · 7 · 9 · 10 · 15 · 16 · 18 · 20 · 22 · 25 · 27 · 28 Lewejohann, Sünje – 27 · 28 Lian, Yang – 10 · 13 Liebert, Juliane – 27 Lieckfeld, Claus-Peter – 1 Linthicum, John – 9 Lippert, Maik – 22 · 24 · 27 Lojo, María Rosa – 14 Lorenc, Kito – 4 · 6 · 11 · 12 · 16 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 28 Loschütz, Gert – 1 · 4 · 5 · 6 Lubina, Vesna – 28 Lucke, Carsten – 8 Lückoff, Dietrich – 3 Lugmeier, Ludwig – 7 · 8 Luidl, Philipp – 7 · 8 · 17 · 18 · 21 · 22 · 23 · 24 Lusheng, Guo – 10 |
14 Mediale Mechanismen
Mehr und mehr verlagert sich lyrisches Geschehen ins Internet bzw.
wird auf Events und Festivals erlebt. Eine neue Rezeption ist in den
letzten Jahrzehnten entstanden – Leser wandern weg vom gedruckten hin
zum am Bildschirm aufscheinenden bzw. als Performance präsentierten
Wort. Für die kurze Form des Gedichts scheint das Internet als Medium
und Forum ein geradezu ideales Medium zu sein. Trotz dieser Mutmaßung
werden jährlich mehr Lyrikbände gedruckt denn je – wenn auch in
überschaubaren Auflagen oder auf BOD-Basis. Erworben werden Lyrikbände
von immer weniger Menschen. Es gehört nicht zu den reflexartigen
Reaktionsweisen der überwältigenden Mehrzahl der Menschen, sich beim
Besuch einer Lyrikveranstaltung das dazugehörige Buch zu kaufen (wie
›man‹ eben im Kino unweigerlich den Eimer Popcorn, den Liter Cola kauft:
Seitdem das Lichtspieltheater nicht mehr in erster Linie für den Film
da ist, gehe ich nicht mehr hin, kaufe mir die DVD des Films und noch
mehr Lyrikbände). Wenn Gedichtbücher besprochen werden, dann in
erster Linie im Internet – obwohl auch die Wochenzeitung DIE ZEIT in den
letzten Jahren mehrfach auf breitem Raum auf eine Art und Weise auf
Lyrik aufmerksam gemacht hat, die zwar die Auflagen der Lyrikbücher
nicht erhöht, dafür die Lachmuskeln ordentlich strapaziert hat.
Herrlich. Da wird mit luftleeren Worthülsen hochgejubelt oder in
großformatigen Photographien als Lyrikmodel präsentiert, was nicht Rang
und Namen hat. Hochgejubelt (oder total verrissen) wird ja von den
Medienmachern immer schon gern – aber auch gelesen?
Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.
Gotthold Ephraim Lessing
MacBeth, Georg – 11 Maintz, Christian – 23 · 24 Makota, Ooka – 13 Malinowski, Ivan – 7 Malkowski, Rainer – 4 · 7 · 9 · 25 Mall, Ekkehard – 15 · 18 Mall, Sepp – 17 · 18 · 19 · 21 · 23 Mandel, Doris Claudia – 28 Marquardt, Axel – 4 · 9 · 25 Martens, Klaus – 12 Marti, Kurt – 11 Martin, Marie T. – 28 Martin, Peter – 18 Martin, Thomas – 16 · 18 Marx, Rainer – 15 Materni, Undine – 24 · 28 Matheis, Jörg – 19 Matthies, Frank-Wolf – 5 Mauritz, Hartwig – 28 Mautz, Kurt – 15 Mayer König, Wolfgang – 1 · 2 · 3 Mayröcker, Friederike – 2 · 3 · 4 · 5 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 12 · 13 · 14 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Meckel, Christoph – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 14 · 15 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 25 · 26 | Mehring, Walter – 1 Meister, Ernst – 4 · 25 Merten, Katrin Marie – 27 Mertens, Christel – 11 · 17 · 20 · 21 Merz, Klaus – 16 · 17 · 19 · 20 · 21 Meyer, Detlev – 2 · 3 Michel, Sascha – 12 · 14 Mickel, Karl – 4 · 5 · 6 · 9 · 11 · 13 · 18 · 25 Micovich, Jo – 1 Middleton, Christopher – 13 Mitchell, Susan – 19 Modick, Klaus – 15 Modoi, Juliana – 6 Mörike, Eduard – 10 Mon, Franz – 15 · 17 · 18 · 19 · 22 · 25 · 26 · 27 Monhardt, Stefan – 23 Moosmann, Elisabeth – 2 Morshäuser, Bodo – 1 · 2 · 3 · 4 Mosebach, Martin – 12 Mühlichen, Marianne – 27 Müller, Herta – 20 · 21 · 22 · 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Müller, Rainer-René – 1 · 3 Münzner, Andreas – 27 · 28 Müssle, Hans Peter – 16 · 18 Mungenast, Romedius – 17 · 25 |
15 Neugier, ungestillt.
Jürgen Brôcan: Aber wo befindet sich das Gedicht heute, in Deutschland?
Ein ketzerischer Gedanke zum Schluss: Die Poesie des Zwanzigsten
Jahrhunderts hat mit gutem Recht und ungestillter Neugier viele neue
Möglichkeiten erschlossen. Sind alle haltbar? Die Diskussion über
„Dichtung heute“ müsste nicht nur formal argumentieren, sondern auch
ein Instrumentarium entwickeln, das das Unwesentliche vom Wesentlichen
trennt, hin zu einer Post-Banalität. Denn dem Gedicht in Deutschland
fehlt manchmal Weite, Raum, es ist manchmal eine Kleinstaaterei in
Wörtern, mit der Provinzhauptstadt des eigenen Kopfes.
Kathrin Schmidt: Es gab schöne Entdeckungen. In nicht wenigen
Stapeln mittelmäßiger Gedichte glänzte eines hervor. Sofort nach dem
ersten Erlebnis dieser Art nahm ich mir vor, keinen Autor vor der
letzten Seite seines eingereichten Manuskripts beiseite zulegen. Ich
glaube, das habe ich durchgehalten. Mit dem Ergebnis, recht viele neue
Namen ins Spiel gebracht zu haben. Das sollten wir zusammen zu Ende
spielen: neugierig sein, wieder und wieder lesen, uns ärgern,
aufhorchen, enttäuschte Miene machen, frohlocken – alles ist erlaubt.
Wenn es nur die Spannung auf das Jahr danach erhält.
(Montage aus: Jahrbuch der Lyrik 2011)
Naef, Sabina – 21 Nagy, Lajos Parti – 17 Nakitsch, Marian – 14 Naum, Gellu – 18 Nehmer, Joachim – 21 · 25 Nendza, Jürgen – 22 · 23 · 24 · 26 Neuert, Marcus – 28 Neuffer, Susanne – 19 · 22 · 24 Neugebauer, Jörg – 21 · 22 · 24 · 26 Nichols, Grace – 11 | Nieke, Gert – 1 · 21 Niemiec, Maciej – 18 Noon, Alistair – 17 Nooteboom, Cees – 13 Nordbrandt, Henrik – 7 Nordhaus, Jean – 19 Novak, Helga M. – 2 · 4 · 5 · 8 · 14 · 15 · 24 · 25 Nowack, Nicolas – 17 · 18 · 19 · 22 |
16 O-Ton: Gowohnhot · Doso · Obdoch · Loso
Die guten Obdachlosen
nur Ellen lebt, aus Gewohnheit und Dosen
gewaltsam in die Stadt gezogen, kriegt den Wald nicht raus
das knarrende Gebälk, das Hüftgelenk hält Ellen immer wach
ganz still dagegen ging ein Fuchs
zwischen den Erdbeerblättern seinen Würmern nach
was waren wir für Kinder, was für Spiele, wie lange, wie viele
im Sandkasten erstarrte eins zu Glas
da hatte uns ein anderes längst in den Wald gezogen
stürmisch grün, der Froschteich raucht
drehten Brücken von sechs auf Viertel vor drei
schliefen immer noch nicht, wer jetzt kein Baumhaus baut
die Nägel brachen oft nicht von allein, die Hosentaschen rissen ein
für jedes freie Geldstück wuchs ein Zahn
fauler Kameratrick
ach, einmal noch Kind sein, sagt Shelly zu Ellen, dann schnell einen Strick
ein Tempel buckelt vor den Fenstern, sieht hinein, mühsamer wird das Dunkelwerden
fauler Schnitt
Georg Leß · Jahrbuch der Lyrik 2011
Oberhollenzer, Josef – 17 · 18 · 20 Oberländer, Harry – 7 · 9 · 27 · 28 Ochs, Gerhard – 1 Ören, Aras – 1 · 2 · 3 Oleschinski, Brigitte – 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 13 · 25 | Opitz, Hellmuth – 11 · 12 · 18 · 19 · 20 · 22 · 24 · 25 · 27 · 28 Orozco, Olga – 14 Óskar, Jón – 8 Ostermeier, Albert – 17 Oteriño, Rafael Felipe – 14 Over, Jutta – 26 |
17 Präzisionspaket · Punch · Pointengedicht
Carsten Klook: In dem hier vorgelegten Paket gibt es sehr, sehr viel
zu entdecken: die Sprache in ihrer – dem Journalismus wohltuend
abgewandten – Präzision, den schönen Gedanken, den Lockruf der
(vermeintlichen) Zeitlosigkeit, die so intensiv und schön gefühlte
Vergeblichkeit allen Seins und des Schreibens allemal, die Lust am
Weitermachen, der Marathon der Sekunden usw. usf.
Steffen Rizz: Die Lyrik hat viele Provinzen, Subtilität und
Geheimnis sind zwei ihrer traditionsreichsten. Stolterfoht preist das
„Un-Geläufige“, das sich gegen das übliche Funktionieren und Verstehen
von Sprache sperrt. Gerade in solcher Verweigerung besteht seiner
Meinung nach die Chance auf Erkenntniszuwachs. Daher gilt der Punch
auch und vor allem dem Cerebrum, des Autors wie des Lesers: Wirf die
gewohnten Wortketten ab, frische deine Wahrnehmung auf! Leicht gesagt,
schwer getan. Und nicht alle Texte lohnen ja die Mühe. Was Ann Cotten
hier beiträgt, wird viele Leser bloß in den Tiefschlaf treiben. Wie
anmutig bewegen sich dagegen die Motive durch Carl-Christian Elzes
Sonett mit dem lapidaren Titel „es ist“. Ein wunderbares Ensemble
bilden die drei aufeinander folgenden Gedichte von Lutz Seiler, die von
Ortschaften und Ortsbezeichnungen handeln, vom Wohnen und Sprechen:
„du mußt / für jedes wort die schwere / unterfangen, alles / was
darunter ist, zu gast im ohr, an / deinem tisch.“ Der Einzelne und die
Wörter, in denen er haust und in denen sich nach und nach die
Erfahrungen eines ganzen Lebens konzentrieren, ein kiloschwerer Hauch –
so präzise, so vieldeutig spricht davon nur Lyrik und nur die
meisterliche. Wer aber mal seine Zähne beim Ausbeißen testen und
erfahren will, wie ein Gedicht nach dem Leser schnappt und dann bockt,
sollte sich die drei Texte von Marcel Beyer vornehmen, wahres Futter für
ein ganzes Jahr. Man liest, man starrt, man fragt sich und puzzelt und
wirft das Buch gegen die Wand. Trotzdem: schiere Magie, betörend.
Daniel Graf: Ein Hit auch der „spaziergang“ von Carl-Christian Elze,
der in Wirklichkeit eine tour de force ist, eine Jonglage mit dem
Absurden und eine Demonstration dessen, was Dichtung zur Not auch an den
Haaren herbeiziehen kann, wenn man ihre Mittel beherrscht. Und dann,
drei Seiten weiter, Friederike Mayröcker: mannomann, welche Größe, immer
noch. Überhaupt ist ein gehöriger Anteil Spiel und Sinnlichkeit in
diesem Jahrbuch. Und Witz: als dialektales Pointengedicht bei
Fitzgerald Kusz; als sensible Zeitdiagnose bei Martin Jankowski; als
Tonspur in den gesellschaftskritischen Mixes von Gerald Fiebig und Tom
Bresemann. Nicht zuletzt wartet die Anthologie mit ein paar
beachtlichen „Entdeckungen“ auf.
(Montage aus: Carsten Klook (textem) zum 25. Jahrbuch der Lyrik · Steffen Rizz (Titelmagazin) zum Jahrbuch der Lyrik 2008 · Daniel Graf (Titelmagazin) zum Jahrbuch der Lyrik 2009)
Paepcke, Lotte – 1 · 2 · 5 · 6 Palmer, Michael – 13 · 19 Papenfuß(-Gorek), Bert – 3 · 6 · 7 · 9 · 11 · 16 · 19 · 25 · 26 Pasternak, Boris – 13 Pastior, Oskar – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 9 · 10 · 11 · 12 · 13 · 15 · 16 · 17 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 Peinemann, Steve B. – 1 · 2 Petersdorff, Dirk von – 9 · 10 · 11 · 12 · 16 · 18 · 22 · 23 · 25 Petras, Ole – 24 · 26 Petri, György – 13 · 17 · 25 Petschner, Raimund – 2 Pétursson, Hannes – 8 Pick, Eva Paula – 28 Picker, Marion – 23 Pietraß, Richard – 1 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 9 · 12 · 16 · 20 · 21 · 22 · 23 · 25 · 28 | Pinsky, Robert – 19 Piontek, Peter – 22 · 23 · 25 Pizarnik, Alejandra – 13 · 14 Plepelic, Zvonko – 1 · 2 · 3 Plessen, Elisabeth – 3 · 4 · 7 · 8 · 9 · 10 Poehler, Jennifer – 16 Pohl, Ronald – 17 · 26 Politycki, Matthias – 8 · 9 · 10 · 12 · 13 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 22 · 24 · 25 Polmans, Sebastian – 28 Popp, Steffen – 23 · 26 · 27 · 28 Porchia, Antonio – 14 Poschmann, Marion – 27 Pratz, Fritz – 1 Praunheim, Rosa von – 6 Preiwuß, Kerstin – 28 |
18 Quälgeister
So kann man leben:
jeden Tag
ein paar Sätze aufschreiben.
Rainer Malkowski · 25. Jahrbuch der Lyrik
Wörter, Absätze, Kapitel, Zeilen, Verse, Strophen: Quälgeister, wohin
ich schaue, wenn ich schreibe. Will ich nicht ›eigentlich‹ ein
›gemütliches‹ Leben führen??? (Nein.) Ich schreibe, um zu schreiben.
(Die herrliche Frage: Warum schreiben Sie? Die einfache Antwort: Warum
nicht?) Der inspirierende Augenblick, in dem mir ein Wort, ein
Vers, eine Zeile zufällt: Urzelle des Gedichts, des Essays: schön. (Und
ohne dieses Moment geht es bei mir nicht.) Gut wird es danach (Buchstaben geraten aneinander, / kämpfen / etwas aus · Rainer Malkowski), dann nämlich, wenn die blutsaugenden Geister quälen – rapping at my chamber door. Der Moment des Loslassens: pure Qual. (Also hinauszögern, hinauszögern: weiter am Text, wie ich in Jochen Schimmangs Gedicht im Jahrbuch der Lyrik 2004 lese.)
19 Quellgeister · Querschnitt
Achtundzwanzig Q-Wörter in Gedichten des Jahrbuchs der Lyrik
Es gibt Jahrbücher, in denen der Buchstabe Q so gut wie nie vorkommt, aber wenn, dann geht bisweilen die Post ab: Auf Quarksack möchte ich nicht mehr verzichten. Wählen Sie aus den 28 Funden – Quelle: Jahrbuch der Lyrik · querbeet) Ihren Favoriten – oder suchen / (er)finden einen dazu:
Quack · Quadrate · Quälerei · Quallen · Qualen · Qualm · Quarksack ·
Quarsarchen · Quartier · Quastenmütze · Quatsch · Quatripeden · Quecken
· Quellgeister · Quengelszungen · Querbeet · querfeldein · Querschnitt ·
querschnittslahm · Quichotte · quicken · quieken · Quille · Quintett ·
quirlig · Quietschlaut · Quitten · Quodlibet
In den achtundzwanzig Jahrbüchern habe ich kein Gedicht gefunden, in dem mehr Q-Wörter vorkommen als in diesem:
AUF DIE KNOCHEN gegangen
auf den Knochen gegangen
gekocht geradezu die kleinen Fibrillen.
Das nervt, wenn es den Nerv trifft
So an die Wurzeln gehen
beispielsweise der Quecken
der quicken Quecken eigene
Qualität unter den Hartnäckigen
Den harten Nacken gebeugt
vor dieser Tiefgründigkeit
von Wurzelgeflecht
Vor dieser Weitläufigkeit
Des Selbsterhaltungstriebes
Der die Flora befördert wenn es sein muss
Von dem einen zum anderen
Das Wandern ist auch der Quecke
Geläufig querfeldein
Und am liebsten das Querbeet
Eine einzige (Lust)
Brigitte Struzyk · Jahrbuch der Lyrik 2011
20 Randbemerkungen
Sag mir nicht, wie Gedichte zu schreiben sind.
Christian Saalberg · Jahrbuch der Lyrik 2004
Harry Oberländer: Bei Rilkes Frage
„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn?“ ist der Zweifel, dass da
nichts ist, mitformuliert. Es ist der Zweifel der Moderne, der uns
spätestens seit Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab
begleitet und Rilkes Frage ihre unvergängliche Aktualität verleiht.
Dann hat diese schlichte Zeile Bobrowskis „Ich weiß, er versteht mich“
keine theologische, sondern eine anthropologische Bedeutung. Ohne sie
können wir nicht leben und keine Gedichte schreiben, selbst wenn wir
allein sind im leeren All.
Ulf Stolterfoht: Mir scheint sich diese
Sensation der Un-Geläufigkeit am deutlichsten im Nicht- oder Kaum- oder
Nicht-so-richtig-Verstehen zu manifestieren, während noch die
überraschendste Pointe davon lebt, auf irgendeine Art und Weise, aber
nun doch: verstanden zu werden. Credo: Das Verstehen in der Lyrik hat
der Teufel gesehen! (Das Mystifizieren und Hineingeheimnissen
natürlich auch, da es das Verstehen nur noch zusätzlich nobilitiert,
indem es den Kreis der Sehenden im Nebel künstlich verknappt.) Dass sich
unter den eingesandten Manuskripten einige Gedichte fanden, die sich
einen Dreck ums Verstandenwerden scheren, und dass ein paar davon von
uns bis dahin vollkommen unbekannten Autoren stammen, war für mich die
allergrößte Freude.
Axel Kutsch: Verstehen oder nicht
verstehen – das ist doch nicht die Frage. Die Frage kann nur lauten:
Gelungen oder nicht gelungen? Und da spielt es keine Rolle, ob ein
Gedicht sich rasch erschließt oder verschlüsselt Rätsel aufgibt.
Abgewrackte Pointen (und Metaphern) verursachen ebenso Brechreiz wie
verschwommene Verse vorgetäuschter Dunkelheit, bei denen die Dürftigkeit
jedoch nicht immer auf Anhieb zu durchschauen ist.
Hans Thill: Soll keiner denken, daß er
ein unverständliches Gedicht schreiben kann. Die vielfältigen
Verknüpfungen der Sprache, Operationen der Logik, Assoziationen,
Anklänge, Erinnerungen usw. eröffnen eine Welt unendlicher
Möglichkeiten. Die Sprache ist ein menschliches Organ. Die
Leserphantasie fügt sich einen Sinn zusammen, sie füllt die Lücken im
Text wie der unter Amnesie Leidende seine Gedächtnislücken auf dem Weg
der Konfabulation. Sie baut Brücken. So erfährt jeder Text unzählige
Interpretationen, die Intention des Autors wäre nur eine unter vielen.
Christoph Buchwald: Die poetologischen
Konzepte, Sprech- und Denkweisen von Oskar Pastior, Karl Mickel und
Robert Gernhardt (um drei zu nennen, die ihr Lebenswerk abgeschlossen
haben), sind zu verschieden, als dass sie über den einen normativen
ästhetischen Kamm geschoren werden könnten. Was anhand eines Gedichts
dagegen durchaus formuliert werden kann, ist sein Misslingen, die
Beschreibung dessen, was schief, ungenau, redundant, klischeehaft, banal
ist und die ureigensten, die spezifischen Möglichkeiten des Gedichts nicht nutzt.
(Montage aus: 25. Jahrbuch der Lyrik · Jahrbuch der Lyrik 2008 · 2009 · 2011)
PS Wenn ich ein Gedicht schreibe, schere ich mich einen Dreck um den Faktor ›Verstehen‹ oder ›Nichtverstehen‹ usw.
(Je länger ich die beiden Wörter reflektiere, um so stärker fließen sie
unauflöslich ineinander.) Nachdem das letzte Wort des Gedichts gesetzt
ist, lese ich es als erster Leser und staune: ein Gedicht. Der Gedanke,
ob ich es verstehe (oder nicht), kommt mir auch jetzt nicht. Trotzdem
verstehe ich natürlich manche meiner Gedichte (nicht). Ich verstehe
(nicht), daß manche Leser sie auch verstehen wollen (oder nicht?). Beim
Poesiefestival in Konstanz im November 2010, wo ich mich mit Ulf
Stolterfoht und allen anderen 20 Autorinnen und Autoren nicht nur gut,
sondern prächtig verstehe, rufe ich nach der passionierten Performance
von Keston Sutherland und Ron Winkler, bei der die englischen, deutschen
Wörter nur so auf mich niederprasseln, total begeistert in die Runde,
daß ich nicht verstehe, daß Gedichte irgendetwas mit ›Verstehen‹ (also
›Nichtverstehen‹) zu tun haben sollen. Gedichte sind Gedichte. Ich
verstehe in diesem manischen Moment selber (nicht), welcher Teufel mich
reitet.
Raiser, Martin – 22 Rakovszky, Zsuzsa – 17 Rakusa, Ilma – 13 Rathenow, Lutz – 2 · 3 · 5 · 7 · 8 Rautenberg, Arne – 23 Ravikovitch, Dahlia – 9 Ray, Regina – 24 Reading, Peter – 11 Real, Anna – 19 · 20 · 22 · 24 · 28 Reber, Sabine – 19 Reese, Lothar – 5 Reetz, Bärbel – 17 · 19 Reich, Asher – 9 Reich, Stephan – 28 Reimann, Andreas – 21 Reimert, Karla – 27 Reinecke, Bertram – 26 Reinfrank, Arno – 3 Reinshagen, Gerlind – 1 · 5 · 8 Reinshagen, Helmhold – 1 Reisner, Stefan – 1 Reyer, Lars – 23 · 24 · 25 · 27 Reynolds, Oliver – 11 Rheinsberg, Anna – 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 Richter, Nikola – 24 · 27 Riechelmann, Hartwig – 2 · 3 Riedl, Josef Anton – 16 · 22 · 25 · 27 | Rifbjerg, Klaus – 7 · 13 Riha, Karl – 15 · 16 Rinck, Monika – 23 · 26 · 27 Ritter, Roman – 6 · 7 · 8 · 9 · 10 Robayna, Andrés Sánchez – 12 Roda, Roda – 10 Röhler, Andreas – 6 · 9 Röhnert, Jan Volker – 20 · 21 · 24 · 28 Roloff, Marcus – 23 · 28 Roos, Peter – 1 Rosei, Peter – 2 · 4 · 7 · 8 · 11 · 12 · 16 · 19 · 20 · 26 Rosenau, Christian – 27 · 28 Rosenlöcher, Thomas – 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 11 · 18 · 19 · 25 Rosenthal, Rüdiger – 2 · 3 · 5 · 6 · 7 Rost, Hendrik – 19 · 20 · 21 · 24 · 26 · 28 Roth, Dieter – 16 · 25 Roth, Friederike – 1 · 2 · 3 · 4 · 25 · 26 Rothemann, Sabine – 15 Rothmann, Ralf – 3 · 18 · 25 Rudolph, Andre – 27 · 28 Rübner, Tuvia – 9 Rückert, Friedrich – 10 Rühm, Gerhard – 15 · 17 · 25 · 26 · 27 Rühmkorf, Peter – 2 · 5 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 15 · 16 · 17 · 18 · 19 · 23 · 25 · 27 |
21 Statistik. Spielerei
Der Anthologist braucht ein weites Herz,
aber die Richterskala ist nur nach oben offen.
Robert Gernhardt
Über 400 der bislang rund 850 Autorinnen und Autoren sind einmal im
Jahrbuch der Lyrik vertreten, rund 250 zwei- bis viermal, etwa 120 fünf-
bis zehnmal, um die 30 elf- bis fünfzehn Mal, weitere 10 sechzehn bis
neunzehn Mal sowie 8 Autorinnen und Autoren zwanzig bis sechsundzwanzig
Mal. Kein Autor ist in allen Jahrbüchern vertreten. Michael Buselmeier
und Friederike Mayröcker sind mit 26 Beteiligungen dabei, es folgen Elke
Erb (25), Ludwig Fels (24), Günter Kunert (23), Rolf Haufs (22), Oskar
Pastior (22) und Harald Hartung (20). Diese Zahlen sprechen für eine
Offenheit des Jahrbuchs, die ich lange Zeit so nicht erkannt habe. Das
aktuelle 28. Jahrbuch vermittelt diese Tendenz zur Offenheit besonders
deutlich: Von 138 Autorinnen und Autoren sind 48 zum erstenmal dabei.
Unterschiedlichste Jahrgänge tummeln sich unter den Newcomern, eine
erfrischend bunte Mischung von jung und alt. Mehr als 40 Autorennamen
sind mir noch nirgendwo anders begegnet. Der Eindruck, daß es in erster
Linie um die Gedichte geht, wird von Kathrin Schmidt im Nachwort des Jahrbuchs der Lyrik 2011 bestätigt:
Freundinnen und Freunde hatten ebenso eingereicht wie
Bekannte. Im Bemühen, das nicht zum Problem werden zu lassen, habe ich
wirklich nur jene Texte ausgewählt, die mich überzeugten. Vielleicht
habe ich es mir mit dem einen oder der anderen verdorben, aber (mich)
nicht überzeugende Texte wären für die Autoren kein schönes
Aushängeschild gewesen, fand ich. Zwar ist eine Ähnlichkeit meiner
Person mit einer göttlicherseits installierten Messlatte einfach nicht
vorhanden, aber wenn ich dieses Buch mit herausgeben soll, muss ich mich
zumindest ein wenig ums Messlattenspiel scheren. Die Auswahl soll ja
auch meine Handschrift tragen, durch meinen Filter mit all seinen
Unwägbarkeiten und Fehlstellen so etwas wie einen persönlichen Einschlag
erhalten. Und ein gutes Gedicht schreibt sich nicht alle Tage, manchmal
nicht einmal alle Jahre!
Was nun ein ›gutes‹ Gedicht ist, darüber gehen die immer wieder auch bloß menschlichallzumenschlichen
Auffassungen der bislang dreißig Herausgeber und achthundertfünfzig
Autorinnen und Autoren – bei aller Belesenheit, bei aller Erfahrung, bei
allem Wissen, Können und Gespür um das unerhörte Wort, den
gelungenen Vers, die herausragende Strophe, das einzigartige Gedicht –
immer wieder radikal, total und meilenweit auseinander (wie die Randbemerkungen
exemplarisch zeigen), um sich bei den einzelnen überragenden Gedichten,
wortlos nickend, wie von selbst wieder zu treffen. So entsteht im Laufe
der Jahre seit 1979 eine kleine Geschichte der Lyrik – exemplarisch,
imponderabel, vital –, von der wir nie wissen, wie sie weitergeht. Ich
bin gespannt auf kommende Überraschungen.
Saalberg, Christian – 21 · 24 Sabal, Jorge García – 14 Sadlon, Magdalena – 5 · 8 SAID – 20 Sakowski, Rolf – 3 Salomon, Peter – 1 · 21 · 24 · 26 Salzinger, Helmut – 14 Samson, Horst – 3 · 7 · 27 Sánchez Robayana, Andrés – 12 Sandig, Ulrike Almut – 24 · 27 · 28 Sanjosé, Axel – 15 · 19 · 20 · 21 · 22 · 24 · 26 · 27 · 28 Sartorius, Joachim – 13 · 16 · 17 · 18 · 20 · 21 · 24 · 25 · 26 Sauernheimer, Peter – 1 Sayer, Walle – 11 · 12 · 15 · 17 · 19 · 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 28 Schaarschmidt, Siegfried – 12 · 14 · 15 · 16 · 18 Schäfer, Hans Dieter – 1 · 2 · 3 · 4 Schaefer, Oda – 1 Schappert, Roland – 20 Schedlinski, Rainer – 6 · 7 · 8 · 9 · 11 · 14 · 15 Schenk, Johannes – 1 Schernikau, Ronald M. – 6 Scherstjanoi, Valeri – 15 · 22 · 25 · 26 Schertenleib, Hansjörg – 6 · 7 · 8 · 9 · 11 · 12 · 16 Scheuermann, Silke – 20 · 21 · 22 · 24 · 25 · 27 · 28 Schieke, Jörg – 21 · 22 Schiffer, Wolfgang – 1 · 2 · 3 · 4 · 6 · 7 · 25 Schiffner, Sabine – 16 · 22 · 23 Schimmang, Jochen – 19 · 21 Schindler-Wunderlich, Vera – 26 · 27 · 28 Schlag, Evelyn – 17 · 26 · 27 Schlageter, Kerstin Rose – 21 Schleeh, Michael – 22 · 23 Schleinitz, Astrid – 24 · 28 Schlesak, Dieter – 9 · 12 Schlesinger, Peter – 1 Schmatz, Ferdinand – 17 · 20 Schmelcke, Hans – 2 Schmid, Nathalie – 23 · 24 Schmidgall, Renate – 18 Schmidt, Kathrin – 19 · 20 · 26 · 28 Schmitter, Elke – 11 · 15 · 25 Schmitzer, Stefan – 26 · 27 Schneditz, Alf – 9 Schneider, Peter – 6 Scho, Sabine – 26 Schoch, Johann Georg – 10 Schoor, Uwe – 28 Schönecker, Tilmann – 22 Schrott, Raoul – 16 · 17 · 22 · 23 · 25 Schuemmer, Silke Andrea – 17 · 27 Schuldt – 5 · 15 | Schulz, Christiane – 24 Schulz, Tom – 22 · 24 · 28 Schutting, Jutta – 5 · 6 · 7 · 8 Schwarz, Christoph – 9 · 10 · 11 · 12 · 22 · 24 Schwarz, Jörg – 9 Schwarzenberger, Paul – 22 · 26 Schwedes, Johanna – 23 · 24 Seel, Daniela – 27 · 28 Seemann, Karl – 5 · 6 · 20 Seidlhofer, Waltraud – 17 Seiler, Hellmut – 18 · 19 · 20 · 21 Seiler, Lutz – 15 · 16 · 18 · 19 · 21 · 22 · 23 · 25 · 26 · 27 · 28 Selg, Anette – 28 Sellwig, Franziska – 2 Sessner, Max – 21 · 23 · 28 Setz, Clemens – 24 Showghi, Farhad – 20 · 23 · 25 · 26 Sielaff, Volker – 19 · 24 · 25 Sigel, Kurt – 1 · 2 · 3 Silberer, Renate – 28 Siles, Jaime – 12 · 13 Silkin, Jon – 11 Simic, Charles – 13 · 18 Simon, Eva – 21 · 25 Skudlarek, Jan – 27 Skwara, Erich Wolfgang – 1 · 9 Söllner, Werner – 14 Soergel, Tabea – 24 Soik, Helmut Maria – 1 Sollberger, Adi – 12 Sonne, Jørgen – 7 Speier, Michael – 1 Stainer, Pauline – 11 Stasiuk, Andrzej – 18 Stegmann, Markus – 28 Steiert, Björn – 23 Steinbacher, Christian – 22 · 26 Steiner, Thomas – 28 Stephan, Susanne – 24 Stevens, Wallace – 13 Stewart, Susan – 19 Stolterfoht, Ulf – 10 · 16 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 25 · 26 · 27 · 28 Stolz, Rainer – 19 · 26 · 28 Strand, Mark – 13 · 18 Strasser, Johano – 3 Strauß, Martin – 18 · 19 · 20 · 22 · 25 · 26 Streubel, Manfred – 14 Ströhm, Arthur – 12 Stroheker, Tina – 18 · 19 Strunge, Michael – 7 Struzyk, Brigitte – 5 · 6 · 7 · 19 · 20 · 22 · 23 · 24 · 25 · 26 · 28 Surdum, Kundeyt – 5 · 6 Swietlicki, Marcin – 18 |
22 Texte · Tapfer · In der Tat
Kathrin Schmidt: Mit der Menge der zu
lesenden Gedichte wird zwar nichts einfacher, jedoch scheint sich das
Hirn zu schärfen. Dachte ich jedenfalls. Schneller als zu Beginn hatte
ich am Ende meine Entscheidungen gefällt, und dennoch fühlte ich mich
dabei sicherer. Wie trügerisch das sein konnte, bewies mir Christoph
Buchwald mit übersehenen Texten, die meine Aufmerksamkeit verdient
hätten. Was mich tröstete, war, dass es ihm andersherum genauso ging.
Hoffen wir also, dass sich das ausgeglichen hat und uns möglichst wenige
Gedichte durch die berühmten Lappen gerutscht sind.
Christoph Buchwald: Sämtliche bis
Redaktionsschluß eingesandten Gedichte werden von tapferen Mitarbeitern
des Verlages kopiert und an den Mitherausgeber geschickt, so daß der
(oder die) unabhängig vom ständigen Herausgeber lesen und zuordnen kann:
dem Stapel „auf jeden Fall“ aufnehmen, dem Stapel „vielleicht“
aufnehmen oder dem Stapel „kommt leider nicht in Frage“. Die
Übereinstimmung der Auswähler liegt erstaunlich hoch, im Mittel der
zwanzig Jahrbuchausgaben bei ca. 95%. Lyrik ist zum allergrößten Teil
eben keine Frage des Geschmacks, sondern vor allem eine des
Handwerks. Die differierenden 5% sind dann bei der Schlußredaktion der
Herausgeber der poetologisch spannendste Part.
Ulf Stolterfoht: Christoph Buchwald hat in der Tat eine tendenziell andere Auswahl getroffen, sei es, dass er Autoren vorschlug, die bei mir nicht auf
dem „Auf-jeden-Fall-Stapel“ lagen, sei es, dass wir innerhalb der
zugesandten Gedichte eines Autors verschiedene Gedichte präferierten.
Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, heißt das in Zahlen: Bei gut
der Hälfte der in diesem 26. Jahrbuch der Lyrik abgedruckten Gedichte
waren wir uns einig und hatten bei denselben Autoren dieselben Gedichte
angekreuzt. Circa zehn Prozent waren beim Mitherausgeber allenfalls im
„Vielleicht-Stapel“ zu finden, daß heißt: mehr oder weniger
durchgefallen; die übrigen knapp vierzig Prozent der Gedichte waren
wechselseitige Überzeugungsarbeit. […] Glücklich bin ich darüber, daß
wir sehr rasch Wege gefunden haben, uns auch das jeweils Fernliegende
und Abseitige einsichtig oder doch zumindest schmackhaft zu machen.
(Montage aus: Jahrbuch der Lyrik 2003 · Jahrbuch der Lyrik 2008 · Jahrbuch der Lyrik 2011)
Tänzer, Gerhard – 1 Tafdrup, Pia – 7 Tammen, Johann P. – 1 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 11 · 15 · 20 · 21 · 22 · 25 Tandori, Dezsö – 17 Tank, Marita – 28 Taschau, Hannelies – 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 8 · 9 · 12 Tate, James – 18 Techel, Sabine – 7 · 9 · 12 · 14 · 15 · 19 · 22 · 25 Teissl, Christian – 24 Tellkamp, Uwe – 21 · 22 · 23 · 24 · 27 Thelen, Albert Vigoleis – 1 · 2 · 9 · 25 Thenior, Ralf – 4 · 5 · 6 · 10 Theobaldy, Jürgen – 4 · 7 · 13 · 14 · 18 · 19 · 21 Thiel, Lothar – 16 · 17 Thiemt, Christine – 22 · 24 · 25 Thill, Hans – 9 · 11 · 12 · 14 · 16 · 17 · 19 · 20 · 22 · 23 · 26 · 27 · 28 | Thümler, Walter – 19 Tietze, Oliver – 23 Ting, Shu – 10 Tkaczyk, Wilhelm – 10 Töppe, Frank – 10 Törne, Volker von – 1 · 3 Toker, Eliahu – 14 Tolnai, Otto – 17 Toorn, Willem van – 13 Totok, William – 6 Tragelehn, B. K. – 18 · 19 · 21 Trahms, Gisela – 27 Traxler, Mathias – 27 Treichel, Hans-Ulrich – 2 · 4 · 6 · 15 · 17 · 18 · 19 · 20 · 21 · 22 · 24 · 25 Trethewey, Natasha – 19 Tritschel, Tom – 12 Trojan, Sandra – 24 Tumler, Franz – 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 |
23 Unmögliches
und es stimmt zum Verrecken
Gedichte heute sind nichts anderes als Botschaften
extraterrestrischer Saurier, ausgebrütet in ihren galaktischen Eiern
durch die paar Jahrtausende Sprache und Schrift und kosmischer Musik.
Alles, was universal ist, ist zehn oder hundert Meter weiter völlig
unbekannt. Man sagt, man hat die Poesie im Bauch, dort, wo die Seele
wohnt, nicht direkt mitten in der Scheiße, aber knapp daneben. Ab und zu
darf jemand, der nichts dagegen hat, dass man ihn Lyriker nennt,
aufsteigen, um dann von ein paar Germanisten gemustert zu werden, ob der
Proband grübeltauglich sei. Den Taufschein unterschreibt der im
Zweifelsfall wohlmeinende Literaturkritiker. Prügel und Knüppel
schwingen all jene, die es nie schafften, ein (gutes) Gedicht zu
schreiben, oder jene, die nie im Leben eines lasen. Und trotzdem: Hoch
gepriesen entschwebt so mancher dorthin, wo pathosgeile Weiber
rumhängen, scharf auf das letzte Gefühl. Der Markt für Gedichte ist
ungefähr so gut wie der Markt für abgelaufene Schuhsohlen, aber immer
wieder gibt es Leute, die sich ihre Flügel umschnallen oder barfuß über
Aschefelder wandeln, dem ganzen Elend ringsum eine Kraft abgewinnend,
durch die dieses Kinogefühl entsteht: so als ob jemand da droben auf der
Leinwand etwas ganz und gar Unmögliches sagt – und es stimmt zum
Verrecken.
Ludwig Fels · Jahrbuch der Lyrik 2011
Uetz, Christian – 16 · 22 Uhlmann, Joachim – 1 · 3 · 19 · 27 Urweider, Raphael – 27 | Unger, Sebastian – 20 Utschick, Wolfgang – 8 · 26 |
24 Verschiedene Verlage
Der in Düsseldorf angesiedelte claassen Verlag entschließt sich 1979,
mit Christoph Buchwald und einem von ihm ausgewählten Mitherausgeber
das Jahrbuch der Lyrik zu publizieren – nicht ahnend, daß in
Königstein im Taunus parallel ein vergleichbares Projekt in die Tat
umgesetzt wird: Was hier Buchwald und claassen gemeinsam angehen, tun
dort Athenäum und Karl Otto Conrady (der 1977 Das große deutsche Gedichtbuch herausgebracht hat, das heute als Der Große Conrady längst zu dem Standardwerk der Lyrik im deutschen Sprachraum geworden ist). Während das Jahrbuch der Lyrik (von dem claassen die ersten 3 Ausgaben publiziert) zum Langzeitstaffellauf wird, verabschiedet sich das Jahrbuch für Lyrik
nach der dritten Ausgabe (die zweite von Conrady und Beate Pinkerneil,
die dritte von Günter Kunert ediert). 1984 bis 1994 übernimmt
Luchterhand (zunächst noch in Darmstadt, später in München beheimatet)
das Jahrbuch der Lyrik für 9, 1995 bis 2004 C.H.Beck (München) für 10, 2005 bis 2009 S. Fischer (Frankfurt am Main) für 5 Ausgaben (darunter das 25. Jahrbuch der Lyrik mit den schönsten
Gedichten aus 25 Jahren), um 2011 den Stafettenstab an die Deutsche
Verlags-Anstalt in München weiterzureichen, die (abgesehen vom
gleichsam aus der Reihe fallenden 25. Jahrbuch) das mit 272 Seiten und 138 Autorinnen und Autoren bislang umfangreichste Jahrbuch der Lyrik veröffentlicht –
mit aus rund 900 Einsendungen ausgewählten Werken, die als Zeitzeugen
für dieses Jahr stehen können – ein inspirierendes Panorama bislang
unveröffentlichter zeitgenössischer Gedichte.
Valentin, Thomas – 1 Vallazza, Alma – 20 Valverde, Álvaro – 12 Vanderbeke, Birgit – 9 Vesper, Guntram – 1 · 3 · 4 · 5 | Vinderman, Paulina – 14 Vogel, Isabella – 28 Voß, Florian – 23 · 24 · 26 · 27 Vries, Wim de – 5 |
25 Wahlqualen
Die Qual der Wahl ist nicht die Qual der Wahl
Christoph Buchwald · Jahrbuch der Lyrik 2008
900 Einsendungen? (An die neuntausend Gedichte waren zu sichten, rechnet Kathrin Schmidt im Nachwort zum Jahrbuch der Lyrik 2011 vor, und bereits im Jahrbuch der Lyrik 2
von 1980 berichtet Christoph Buchwald von 7.000 eingereichten
Gedichten.) Ich nehme einfach einmal ein Mittel von 7.936,5 eingesandten
Gedichten pro Jahrbuch an und multipliziere diese Zahl mit 28. Der
Taschenrechner beginnt zu summen, er schüttelt sich und wird warm in der
Hand, bis er ächzend die Zahl 222.222 ausspuckt.
Zweihundertzweiundzwanzigtausendzweihunderzweiundzwanzig. So viele
Gedichte habe ich zwar auch gelesen, aber nicht als Manuskripte, sondern
in Büchern, also ausgewählt, korrigiert, lektoriert, schön gesetzt und
gebunden. Das bleibt immer noch geistige Knochenarbeit über weite
Strecken, denn wie viele geglückte Gedichte sind darunter?
Auf die Frage, ob Herausgeber von Lyrikanthologien Masochisten seien,
antwortet Axel Kutsch ganz im Geiste des Radiosenders aus Eriwan: Im Prinzip nicht. Den Rest der Antwort können Sie sich denken – wobei das Fazit sehr positiv ausfällt: Allerdings
bleiben immer genug annehmbare bis hervorragende neue Gedichte auch
weniger bekannter Verfasser, mit denen man Jahr für Jahr lesenswerte und
niveauvolle Anthologien füllen kann. Da kommt Entdeckerfreude auf, die
für den vielen Schrott entschädigt.
Die Menschen!
Erstaunlich, wie einer dastehn kann,
an einem Geländer zum Beispiel, etwas erhöht,
und wundert sich über die Menschen.
Die Menschen! sagt er. Wie sie es treiben!
Und schräg nach unten
deutet er mitten ins Merkwürdige. Bis dann
jäh der Nacken zuckt
von einem scharfen Handschlag. Das war
nicht gezielt, doch getroffen.
Christa Wißkirchen · Jahrbuch der Lyrik 9 · 1993
Wagner, Achim – 26 Wagner, Jan – 20 · 21 · 22 · 23 · 24 · 26 · 27 · 28 Wagner, Richard – 6 · 7 · 8 · 9 · 10 · 19 · 20 · 24 · 28 Waldhoff, Werner – 2 Walser, Martin – 19 Walther, J. Monika – 3 · 6 Wandeler-Deck, Elisabeth – 27 Waterhouse, Peter – 5 · 6 · 7 · 8 · 16 · 20 · 25 · 27 Weber, Martina – 22 · 23 · 24 · 26 · 27 · 28 Weinhals, Bruno – 11 Wellbrock, Jürgen – 1 · 2 · 3 · 4 · 11 · 12 · 21 Wenig, Mirko – 28 Wenzel, Christoph – 24 · 27 Werf, Fritz – 1 Wewerka, Michael – 1 Weyrauch, Wolfgang – 1 Wheeler, Susan – 18 | Wichner, Ernest – 4 · 7 · 9 · 10 · 15 · 16 · 26 · 28 Wiebusch, Ruth – 23 Wilke, Udo – 6 Williams, Hugo – 11 Williams, William Carlos – 13 Winkler, Bastian – 28 Winkler, Katja – 26 Winkler, Ron – 21 · 24 · 26 · 27 · 28 Wißkirchen, Christa – 9 · 10 · 11 · 12 · 15 · 18 · 19 · 21 · 24 · 26 · 27 · 28 Wohmann, Gabriele – 4 · 5 · 6 · 7 · 8 · 9 · 10 Wolf, Ror – 5 · 7 · 9 · 12 · 25 · 26 Wolf, Uljana – 24 · 25 · 26 · 27 · 28 Wolff, Michael – 21 Wolfgramm, Torsten – 12 Wühr, Paul – 7 · 8 · 15 Würtenberger, Ingrid – 1 Wüstefeld, Michael – 9 · 18 |
26 X für U
Ach, wie bin ich der Dichter müde!
Friedrich Nietzsche
Warum sagtest du doch, daß die Dichter zu viel lügen?
Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu denen,
welche man nach ihrem Warum fragen darf. Doch was sagte dir einst
Zarathustra? Daß die Dichter zu viel lügen? – Aber auch Zarathustra ist
ein Dichter. Glaubst du nun, daß er hier die Wahrheit redete? Warum
glaubst du das? Aber gesetzt, daß jemand allen Ernstes sagte, die
Dichter lügen zu viel: so hat er Recht, – wir lügen zu viel. Wir wissen
auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir schon lügen. Und
wer von uns Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? Manch giftiger
Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche ward da
getan. Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig
Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind.
Friedrich Nietzsche · Also sprach Zarathustra · Von den Dichtern
27 MaYröcker, Friederike
zum 10. Todestag von Ernst Jandl
„gestern war ich auf dem Ätna droben, da
fiel der grosze Sizilianer mir ein der
einst des Stundenzählens satt, vertraut
mit der Seele der Welt, in seiner kühnen
Lebenslust sich da hinabwarf in die herrlichen
Flammen . . “
Hölderlin, Empedokles
ist dir was so frag ich ihn, ich bin so allerhand, bin in den Berg
hineingeritten. Er ist sehr still ich lieb ihn weil er still ist,
er leckt die Steine ab in seinem Grab dasz sie von neuem glänzen
sollen : Steine vom Meer in Griechenland, er hat zu tun er zeigt
mir dann den abgeleckten Stein : prächtiges Kleinod Maserung 1
Trittstein zwischen hier und dort. Sein nackter Fusz zerbrochen, im
hochgewachsenen Gras vom Regen sumpfig, mit bloszen Füszen durch
die nasse Wiese er ist so still ich liebe ihn weil er so still, er
spricht kein Wort zu mir er blickt mich an gebrochnen Auges, sein
Kämmerchen aus Schlamm und Regenbogen – ob ich ihn je
gekannt, fra-
ge ich mich, komm lasz uns pflücken die ersoffnen Blumen die violetten
Schwertlilien gelben Iris. Schwimmgürtel, Unterwelt. Geschwister
sind wir, haben nämliche Temperamente, hält sich die
Ohren zu mit 1 Polster, Vogelschwarm
Friederike Mayröcker · Jahrbuch der Lyrik 2011
Yau, John – 13 Yawei, Li – 10 | Yau, John – 13 Yawei, Li – 10 |
28 Zufall · Zusammenhang
Der Text Jahrbuch der Lyrik 1979 – 2011, dem ich den Untertitel Ein alphabetischer Staffellauf mit Wort-, Namen-, Zahlenspielen
gebe, fällt mir in den Tagen vom 15. bis 25. Februar 2011 zu. Bis zum
14. Februar ahne ich nicht, daß ich an den folgenden Tagen 28 Seiten
dieser Art – exzerpierend, formulierend, montierend (immer wieder
Sibelius‘ von Christian Ferras gespieltes Violinkonzert hörend) –
niederschreiben werde. Der Himmel ist (obwohl ich ihn kaum zu sehen
kriege: Die beiden Schreib- und Bücherzimmer liegen im Souterrain)
immer heiter an solchen Zufallstagen, an denen ich unverhofft ein neues
Dokument öffne und die ersten Wörter zu schreiben beginne. Ich schreibe,
wenn die gute Gelegenheit sich einstellt, an die ich immer glaube, die
naturgemäß aber auch immer wieder auf sich warten läßt. Naturgemäß?
Königin Friederike Mayröcker schreibt immer: Tag und Nacht ·
unausgesetzt · von früh bis spät · beständig · ohne Unterlass ·
andauernd · fortwährend · stets · anhaltend · unaufhörlich · permanent –
wobei ihre dichtung eine meinen hals ausrenkende höhe erreicht hat,
die so sehr weiter zu steigern ihre absicht ist, daß sie das alter von
150 zu erreichen proklamiert hat · Ernst Jandl). Rund um die Uhr schreiben: eine Traumvorstellung. (Wann käme ich da zum Lesen???) Jedem seine Lebensweise.
Im Gespräch mit Asta Scheib (am 17. Januar 1987) höre ich Thomas Bernhard sagen: Ich
tue alles nur für mich selbst. Alle Menschen tun alles für sich selbst.
Ob sie seiltanzen oder Brot backen oder Schaffner bei der Eisenbahn
sind oder Kunstflieger. Nur bei Kunstfliegern gibt es Veranstaltungen,
wo die Leute halt hinaufschauen. Während er schön fliegt, warten die
darauf, daß er runterfliegt. Bei Schriftstellern ist das auch so. Im
Unterschied zum Kunstflieger, der nur einmal herunterfliegt und dann
meistens kaputt und tot ist, ist der Schriftsteller auch kaputt und tot,
aber er wird immer wieder lebendig. Es gibt immer wieder eine
Veranstaltung. Je älter er wird, je höher fliegt er. Bis man ihn eines
Tages nicht mehr sieht und sich fragt: „Komisch, warum fällt er nicht
mehr runter?“ Ich kann nur bestätigen: Ich tue alles für mich selbst.
Auch diesen Text schreibe ich nur für mich selbst, und es ist ›sehr‹ schade,
daß ich schon fast am Ende angekommen bin. Nach jedem zu Ende
geschriebenen Text macht sich das Gefühl breit, es sei der letzte, den
ich schreibe. Indem ich diesen mißmutigen Gedanken um 10 Uhr 20 am 22.
Februar 2011 notier, klingelt’s an der Tür, ich blick unwillkürlich von
Bildschirm und Tastatur hoch aus dem Fenster in den blauen Himmel,
spring die Treppe rauf, reiß die Tür auf, wohl wissend, wer bzw. was
mich erwartet. Die Freude ist doppelt: Postbote Guido drückt mir,
fröhlich lächelnd, zwei Büchersendungen in die Hand, in denen ich die
neuen Gedichtbände von Michael Arenz – Noch nicht ganz aber fast – und Stefan Döring – morgestern – finde. Ich unterbreche die Schreibarbeit, setze mich vor die großen Fenster im Wohnzimmer, in das die reine Sonne (Horst Samson) auf kalte Hände scheint, greife zu der im Verlag Peter Engstler erschienenen blauen Broschüre Dörings (zum schreiben eines gedichts / braucht man nichts), gehe, bei diesem Reim, bei jenem Vers verharrend, einen wortschritt nach dem andern, sehe, am Ende, den satz der nur aus luft ist, werfe den Blick auf Uwe Pfeifers Frau mit Glas auf dem Umschlag der weißen Broschüre aus der Silver Horse Edition, lese das traurige Gedicht About Glass, das so vielversprechend beginnt: Ein Mann / jenseits der 50 / betritt einen Buchladen, verlasse mit dem Mann das Geschäft und lese weiter von der Weltaus Glas und – Gott.
Ich schreibe, weil ich Vergnügen am Schreiben habe: Dieses Vergnügen
empfinde ich besonders intensiv, wenn das Schreiben gleichsam reine
Knochenarbeit ist, wenn ich – oft mit sehr kalten Händen und Füßen –
dasitze, ratlos die Seiten rauf-, runterscrolle, rastlos vom einen in
den anderen Raum haste, um in Büchern nach dem einen (oder dem anderen)
Wort zu suchen – das erste Wort für die Überschrift dieser letzten Notiz
fällt mir beim Blättern in Knaurs Großem Wörterbuch der deutschen Sprache
zu – und schließlich – plötzlich finden die Wörter zusammen und
klingen, wie ich es mir erhoffe, wünsche und vorstelle – doch wieder ein gutes Stück weiterzukommen.
Den Bäckern, Schaffnern, Kunstfliegern und Schriftstellern möchte ich
übrigens in diesem speziellen Zusammenhang die Herausgeber
beigesellen, die auch alles für sich selbst tun, denn alle Menschen tun [ja] alles für sich selbst. Da darf ich trotzdem mal leise danke sagen, denn ohne die Herausgeber wären die Schriftsteller alle kaputt und tot – und würden nicht mehr lebendig.
Zao, Zhang – 13 Zarnegin, Kathy – 16 Zauner, Hansjörg – 11 Zehntner, Christoph – 11 · 25 Zeller, Eva Christina – 26 · 28 Ziebritzki, Henning – 19 · 20 · 23 · 28 | Zimmer, Dieter E. 1 Zingg, Martin – 19 · 23 · 26 · 28 Zoch, Michael – 28 Zornack, Annemarie – 1 Zschorsch, Gerald – 12 |
PSAlle, deren Gedichte ich (zusammen mit dem jeweiligen
Mitherausgeber) schnöde abgewiesen habe oder in Zukunft nicht
berücksichtigen kann, bitte ich schon jetzt um Milde, Nachsicht und
Vergebung. Auch vier Augen können irren.
Christoph Buchwald · 25. Jahrbuch der Lyrik
Abschied
Es ist eine alte Übung, so zu beginnen,
daß man vorher nichts weiß / und nachher
nichts gewußt haben wird, gefahrlos.
Elke Erb · Jahrbuch der Lyrik 2004
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Weiterführend →
Einen Essay über das Tun von Theo Breuer als Herausgeber, Essayist und nicht zuletzt als Lyriker lesen Sie hier.