Ich lese gern Bücher von Leonhard Frank, zumal Romane und Geschichten, die in und um Würzburg spielen. Wie beurteilen Sie sein Werk? Rainer Oehrlein, Margetshöchheim
Reich-Ranicki: Als der einst, zumal in der Weimarer Republik, sehr erfolgreiche Schriftsteller Leonhard Frank 1950 nach Deutschland zurückkehrte und sich in München niederließ - er war 1933 emigriert -, konnte sich in seiner Heimat kaum jemand an ihn erinnern. Schon in Vergessenheit geraten? Ja, so war es - aber warum eigentlich?
Frank, der Sohn eines armen Würzburger Schreinergesellen, hat nur eine Volksschule besuchen können. Er erlernte das Schlosserhandwerk, arbeitete als Chauffeur und wollte Maler werden. Er trieb sich in München herum und dann in Berlin und kam schließlich auf die kühne Idee, ein Buch über seine Jugenderlebnisse zu schreiben.
Der Roman „Die Räuberbande“ machte Frank sofort bekannt. Er erzählte von den harmlosen Streichen und Abenteuern Würzburger Schüler und Lehrlinge, die sich von Schillers „Räubern“ und den Helden Karl Mays inspirieren ließen. Das Buch kam im richtigen Augenblick: Indem Frank zeigte, wie die Halbwüchsigen gegen ihre Lehrer und Arbeitgeber rebellierten, wurde er zum Sprecher einer ganzen Generation. Mit der Mischung aus handfestem Humor, jugendlicher Unbekümmertheit und schwermütiger Resignation hatte er das Zeitklima genau getroffen.
Auf Schleichwegen nach Deutschland
Ein untrüglicher politischer Instinkt hinderte Frank, sich während des Ersten Weltkriegs dem patriotisch-nationalistischen Chor anzuschließen. Er emigrierte 1915 in die Schweiz und geriet dort (glücklicherweise) unter den Einfluss René Schickeles und seiner pazifistischen Schriften. Franks Geschichten mit dem provozierenden Titel „Der Mensch ist gut“ kamen auf Schleichwegen nach Deutschland. Die Sozialdemokraten ließen 500.000 Exemplare auf Zeitungspapier drucken und an Frontsoldaten verschicken. Das Buch war ein europäisches Ereignis. Doch muten uns diese unterkühlten Geschichten von den Opfern des Krieges und ihren Leiden heute recht fremd an. Erfolgreich waren hingegen zwei erotische Arbeiten: der Roman „Das Ochsenfurter Männerquartett“ und die Novelle „Karl und Anna“.
Die Nationalsozialisten hätten sich mit Frank, der weder Jude noch Kommunist oder Sozialdemokrat war, gern geschmückt. Es kam für Leonhard Frank nicht in Frage: Schon im März 1933 war er in der Schweiz, später in den Vereinigten Staaten. 1950 war er wieder in Deutschland. Es erging ihm nicht besser als vielen emigrierten Schriftstellern: Die neue Generation wollte von seiner Prosa nichts mehr wissen.
Als er 1961 starb, hielten die meisten bundesdeutschen Zeitungen einen Nachruf für überflüssig. Man begnügte sich mit knappen Meldungen. Es wäre heuchlerisch, beklagen zu wollen, dass die meisten seiner Bücher vergessen sind. Aber es wäre ungerecht, zu vergessen, dass Leonhard Frank sich um die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts verdient gemacht hat.