Essay

One man’s rhubarb

Über die Poesie von Allen Curnow
Hamburg

Wer den Film Das Piano von Jane Campion gesehen hat, der erinnert sich sicher an den Strand mit dem einsamen Felsen, an dem das Klavier von den Schiffsleuten abgestellt worden war, und wie es allein dort stand, vor dem tosenden Meer, als Verheißung einer Zivilisation, in der Einöde am anderen Ende der Welt. Neuseeland – Zufluchtsort britischer Siedler, mit dem Beiklang von Flucht wie auch Fluch, den der urwüchsige Busch für sie darstellte, schwerste körperliche Arbeit, um dieses Land nach westlichen Vorstellungen zu bebauen. Der Strand, den man dort sieht, heißt Karekare Beach und befindet sich heute eine Autostunde von Auckland entfernt. Er liegt in dem Naturschutzgebiet Waitakere Ranges, und wer über die Piha Road dorthin fährt, muss nur nach der Lone Kauri Road Ausschau halten, die ihn von dort aus dann zum Karekare Beach führt, fast könnte man sagen direkt (schließlich braucht es keinen weiteren Abzweig), aber so sehr wie die Straße sich zum Strand hinab durch den dichten bush schlängelt, würde das doch falsche Vorstellungen wecken. Das vorsichtige Fahren auf der Straße gönnt einem aber auch einen Seitenblick auf eine unscheinbare Einfahrt, hinauf zu einem versteckt liegenden Haus, an deren Tor nur noch Curno steht. Es ist das Haus eines Dichters, eines Klassikers der neuseeländischen Poesie, bzw. war es, zu seinen Lebzeiten. Ein Liebhaber seiner Lyrik hat es angeblich gekauft, die Buchstaben blättern schon vom Namen des Dichters ‒ Curnow müsste es heißen, Allen Curnow.

Er hatte sich hierhin zurückgezogen. Seit wann genau? Mehrmals widmete er der Lone Kauri Road seine Gedichte, so zum Beispiel gleich zweimal in dem Band Trees, Effigies, Moving Objects von 1972, aber auch einen eigenen Gedichtband unter dem Titel The Loop in Lone Kauri Road, 1986. Die Straße, der Strand, sie bilden wiederkehrende Motive in seiner Dichtung. In dem ersten Gedicht von Trees, Effigies, Moving Objects hebt er an: „The first time I looked seaward, westward,/ it was looking back yellowly,// (…).“ Und er entwirft ein Nachsinnen des möglichen Angeblicktwerdens, das eine Landschaft eröffnet, in Metaphern des Lesens, Identifizierens, die sich mit der See, den Inseln Neuseelands in Richtung Antarktis verbinden, „south-away to the cold pole“, der Suche nach dem eigenen Blick, „an eyeball for want of another notion,/ cloud above an ocean (…).“ War es nur eine fixe Idee? Aber was soll so etwas sein, in der Überfülle der wuchernden Natur, den wild tanzenden Vögeln, der stürmischen Meeresbrise, die den Vulkansand über den Strand jagt. In dem zweiten Gedicht zur Lone Kauri Road von 1972 schließt Curnow seine Betrachtung mit den Worten: „A tui clucked, shat, whistled thrice./ My gaze was directed where the branch had been./ An engine fell mute into the shadow of the valley/ where the shadow had been.“ Der fröhliche Gesang des Tui erschallt in den Wäldern von Piha, wieder sucht der Blick den viel zu schnellen Gast, ein Motor verstummt, ohne Nachklang, taucht in den Schatten des Tals, Schatten auch der Vogelflug. Mit Trees, Effigies, Moving Objects und den Jahren in der Lone Kauri Road, wo er bis zu seinem Lebensende 2001 wohnte, verdichtete sich Curnows Poesie zu einer, aus Jahren der metrischen und rhythmischen Versübungen herrührenden, leichten, fast beiläufigen und zugleich ungemein präzisen Setzung der Worte, Zeilen und Verse, so dass in den Gedichten ab 1972 eine Souveränität aufscheint, die unprätentiös, selbstrelativierend und zutiefst ernsthaft Themen weiterverhandelt, die ihn seit seinem Debüt 1933, Valley of Decision, umtrieben: das Meer, die Landschaft Neuseelands, das Selbstbild des Landes und sein Wahrgenommenwerden in der Welt („Nations do not quote/ your newspapers (...)“, wie er in New Zealand City schrieb), der Kolonialismus, die Geschichte und ihre Irrtümer („A fresh start in life/ With a blue-new shovel/ And a rusted belief“, aus seinem wichtigsten Frühwerk, dem Band Not in Narrow Seas von 1939).

Curnow gehörte zur ersten Generation neuseeländischer Lyriker, die innerhalb der englischen Sprache eine Genuinität neuseeländischer Poesie beanspruchten, vom anderen Ende der Welt her kommend, mit einer Geschichte auch der Maori, deren Wortschatz gleichfalls ab 1972 verstärkt in seine eigene Lyrik Eingang fand. „Tane mahuta is a very big tree“ (aus dem Gedicht: A Four Letter Word), mag es zu Anfang noch heißen, aber zunehmend spielte er mit den Worten, kreierte den ‚Tane demiurgos‘ und mischte genüsslich die Sprache der Anderen ins Englische. Einleitend zu der ersten Ausgabe seiner Gesammelten Gedichte von 1933-1973 (ihr folgte eine zweite Sammlung, die Curnow sinnigerweise mit dem Jahr 1972 beginnen ließ, er also dort die Bände Trees, Effigies, Moving Objects sowie An Incorrigible Music von 1973 erneut aufnahm, obwohl sie bereits den ersten Sammelband beendeten, da offenkundig mit diesen Gedichtbänden sein spätes Werk einsetzte und im weiteren sich voll entfaltete) schrieb er von dem Anti-Mythos Neuseelands, zu dem er mit seinen Gedichten beizutragen hoffte. Mit der Betonung neuseeländischer Erfahrungs- und Ausdrucksweisen ging es ihm sicher nicht um die Beanspruchung einer etwaigen ‚Nationalliteratur‘ im Chor der ‚Weltliteraturen‘, sondern um eine generelle, poetische Wahrheit mit sehr spezifischen Wurzeln, im ozeanischen Raum, und die Anerkennung dieser Perspektive, des Anderen im Eigenen (als Aussiedler unter Briten des Empire) wie des Anderen im Anderen (der soviel länger schon ansässigen Maori). Dieses Anliegen unterstrich Curnow mit der Herausgabe der ersten repräsentativen Anthologien neuseeländischer Lyrik: A Book of New Zealand Verse (1945) und The Penguin Book of New Zealand Verse (1960). Vor dem Hintergrund dieses Engagements zeichnet sich aber auch der Übergang zu Curnows späterer Phase ab, wenn er im Vorwort der Collected Poems 1933-1973 festhielt: „I had to get past the severities, not to say rigidities, of our New Zealand anti-myth: away from questions which present themselves as public and answerable, towards the questions which are always private and unanswerable. The geographical anxieties didn’t disappear; but I began to find a personal and poetic use for them, rather than let them use me up.“ Dieser neue, privatere Blickwinkel führte genau in jene traumwandlerische Präzision, von der bereits die Rede war, formal wie auch inhaltlich. Während sich poetelogische Reflexionen vielfach auch in seinem frühen Werk niedergeschlagen haben (In Memory of Dylan Thomas, zum Beispiel, 1953), veröffentlichte Curnow 1973 etwa ein Gedicht, das sich als Poetik wie auch als eine Absage an sie lesen lässt, und darüberhinaus ein Gedicht ist, das in erster Linie nur sich selbst behauptet, in all seiner frechen, ironiegetränkten, poetischen Freude:

TO AN UNFORTUNATE YOUNG LADY WHO
AFTER ATTENDING SIX PUBLIC READINGS BY
THIRTY POETS ASKED, DOES ANYONE CARE?

How right you are, my dear,
Let us make an example of poetry.
It is possible, even for poets,
to live without it, so many do,
and to live with it, most of the time
impossible.

                  Isn’t it the rumble
of something loose behind,
or a fumble
in the back seat of the mind?
Or an innumerable company
of the heavenly host crying
rhubarb rhubarb rhubarb rhubarb
with obbligato innumerable other
syllables in several languages,
some dead?

                   Does anyone care?
One man’s rhubarb is another man’s
artichoke and that’s the reason why
the poetry of earth is never dead
dead dead.

                 Rhubarb to you,
my dear, with cornflakes and cream,
every glorious carefree day and night of your life.        

Der vermeintliche Rückzug ins Private wird auf die Art ein umso tieferes Eintauchen in das soziale Gewebe, in der Darstellung einer grotesken Marathonlesung mit Gedanken an Frühstücksrituale, Cafészenen, ob man seinen Porridge mit Rhabarber mag oder nicht, auch davon bleibt die Poesie nicht unberührt, spricht sie mit aller Empathie für die junge Dame, die von alledem nichts mehr versteht. Selbst Dichtern wird die Dichtung zuviel, manchmal. Und sie finden dafür die richtigen Worte. Manchmal!

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