Texte, die auf die Bühne drängen
Erfreulicherweise haben sich in den letzten Jahren nicht nur im Rheinland eine ganze Reihe von Initiativen mit dem Ziel zusammengefunden, Arbeiten junger Literatur- und Theaterschaffender zu präsentieren. Damit bilden sie wichtige Anlaufstellen und Experimentierfelder innerhalb eines etablierten und meist auf wenige „big names“ fokussierten Kulturbetriebs, der seinem Nachwuchs gerne Spitzenleistungen abverlangt, ihm dafür aber nur selten überhaupt Gelegenheit in Form entsprechender Projekte, Bühnen und Festivals gibt.
Zwei dieser Initiativen waren es denn auch, die nun unter dem programmatischen Namen „Auftakt“ das erste Festival für szenische Texte ins Leben gerufen haben: Die monatlich stattfindende Kölner Lesereihe Land in Sicht bietet seit 2014 jungen AutorInnen eine Bühne zur Präsentation von Texten aller Genres, während das Netzwerk Cheers for Fears regelmäßig junge Theaterschaffende an Rhein und Ruhr zusammenbringt, um aktuelle Arbeiten vorzustellen und zu diskutieren.
Als weiteren Kooperationspartner und Location des Festivals konnte man das „Britney“, die neue Spielstätte des Schauspiel Köln am Offenbachplatz gewinnen. Das junge Kuratorenteam um Andrea Imler, Charlotte Sprenger, Pinar Karabulut und Matthias Köhler zeigt hier nicht nur Stücke unter eigener Regie, sondern hat mit einem Programm aus wechselnden Festivals, Lesungen, Konzerten oder Ausstellungen in kürzester Zeit einen neuen Treffpunkt für die lokale Kreativszene im Herzen Kölns etabliert.
Das Experiment „Auftakt“ rund um den szenischen Text vollzog sich in mehreren Phasen: Aus den vielen bis Ende März von AutorInnen unter 35 eingeschickten Texten (ohne Genreeingrenzung) wählte das Team von Land in Sicht fünf Beiträge aus, die zum Abschluss des Festivals am 27. Mai im „Britney“ szenisch auf die Bühne gebracht werden sollten. Für die Umsetzung konnte Cheers unterdessen eine Reihe junger SchauspielerInnen und DramaturgInnen aus dem eigenen Netzwerk sowie im „Britney“ selbst gewinnen. Alle Akteure trafen sich dann erst zwei Tage vor den geplanten Aufführungen in Köln und fanden sich je nach Interesse zu Teams zusammen, die sich jeweils einem der Texte annahmen. Die AutorInnen hatten dabei bis auf ein kurzes Gespräch keinerlei Einfluss auf die folgende szenische Bearbeitung ihrer Texte; diese oblag nun ganz den Teams aus jeweils einem/einer DramaturgIn und den unterschiedlich großen SchauspielerInnen-Teams. Bei einem äußerst knapp bemessenen Zeitrahmen von nur zwei Tagen war dies ein ziemlich sportliches Unterfangen. Währenddessen standen für die AutorInnen Workshops mit Benno Müller vom Hofe, Hörspielproduzent beim WDR, und Anno Bechte, Theaterlektor des Kölner H & S Verlags, auf dem Programm.
Nun aber zu den Texten selbst: Aus den fünf, aus weit über einhundert Einsendungen ausgewählten Texten von Luna Ali, Sophia Hembeck, Achim Jäger, Peter Lünenschloß und Janina Warnk lassen sich durchaus gegenwärtige Trends in der jüngeren, oftmals „schreibgeschulten“ Dramatik herauslesen: Zum einen wäre da die Tendenz zur Verhandlung gesellschaftlich-politischer Reizthemen im Spiegel absurd-grotesker Szenarien (Lünenschloß, Warnk), zum anderen an die metatextuelle bzw. metatheatreale Erforschung der Bedingungen von Literatur und Theater, ja von Sprache und Kommunikation (Ali, Lünenschloß). überhaupt zu nennen. Aber auch jenseits grotesk-metatheatraler Experimente war mit Hembecks „Thailand“ ein eher klassisch dramatisch angelegter Text sowie mit Jägers „Die weiten Steppen der Kasachei“ ein Prosastück mit szenischem Potential vertreten. Mit sprechenden Hupen und Hunden, scheinbar uninszenierbaren Regieanweisungen, Textausstreichungen, langen Dialektpassagen und bis zu dreißigseitigen Textcollagen stellten die fünf Beiträge dabei sowohl die DramaturgInnen als auch die SchauspielerInnen vor einigermaßen große Herausforderungen.
Am Aufführungsabend erwartete das frühsommerlich aufgeheizte Foyer des „Britney“ ein gespanntes Publikum, das trotz hoher Temperaturen und einer gewohnten Fülle an Kölner Parallelevents zahlreich erschienen war. Den wortwörtlichen Auftakt machte der Text „Braun“ von Luna Ali (DLL, Leipzig), der vordergründig von der Entwicklung eines Theaterstücks durch zwei emotional verbandelte Menschen handelt, hintergründig aber um Probleme von Sprache, Kommunikation und kulturellen Grenzziehungen kreist. Unter der Regie und dramaturgischen Bearbeitung von Sarah Wessels performen die Schauspielerinnen Saskia Rudat und Helena Aljona Kühn dieses Ringen um sprachliche Präzision und gegenseitiges Verständnis, das im Text durch zahlreiche Wortausstreichungen angedeutet wird, äußerst intensiv, etwa indem sie sich bei der Wortfindung immer wieder gegenseitig zu überbieten suchten. Wenn die Performerinnen weiterhin einzelne zentrale Sätze, wie etwa die Frage „Warum ziehst du diese Grenze?“, auf die gläserne Fassade des Theaters oder auf Papptafeln schrieben, schaffte es das Team, die abstrakten Gedankenspiele in Alis eingekürztem Text durch inszenatorische Handgriffe gekonnt ins Bildliche zu übersetzen: Die Transparenz und Durchlässigkeit des Theaterraumes zur Stadt hin (als Ideal) wird dabei ebenso sinnfällig wie die illusorische Natur manch kultureller Abgrenzungsversuche, wie sie dieser Tage wieder einmal Konjunktur haben.
Braun, Foto Silviu Guiman
Bei Sophia Hembecks (UdK, Berlin) Kurzstück „Thailand“ über eine krisengeschüttelte Frau und ihren Ehemann, der sich kurzerhand mit einer jüngeren Thai in deren Heimatland abgesetzt hat, war hingegen ein stärkerer dramatischer Rahmen vorgegeben. Jungregisseurin und Britney-Co-Kuratorin Charlotte Sprenger inszenierte diesen Text gemeinsam mit den SchauspielerInnen Penelope Frego, Slim Weidenfeld, Lucia Schulz und Pascale Laxy als szenische Lesung mit sparsamen theatralen und musikalischen Elementen. Um den merkwürdig ineinander verschränkten Handlungsebenen des Stücks (Streit mit Mann, Verkauf des Einfamilienhauses, Anrufe von Callcenteragentinnen) gerecht zu werden, wechselten die Schauspieler zwischen den Rollen oftmals ebenso dynamisch hin und her wie zwischen ihren Positionen auf und vor der Bühne. Auch wenn via Piano eingespielte Klingeltöne oder motivische Zwischenspiele („Kissing You“ aus dem Sountrack zu Romeo + Juliet (1996)) die Lesung geschickt strukturierten, ging angesichts der stetig wechselnden Textebenen und der Unklarheit, wer jetzt eigentlich wen spielt, leider manche Qualität des Textes unter den gegebenen Bedingungen verloren.
Thailand Foto Silviu Guiman
Der ebenso groteske wie stellenweise sperrige Text „Hupe“ von Peter Lünenschloß (DLL, Leipzig) wurde von Andrea Imler, ebenfalls Jungregisseurin und Kuratorin am „Britney“, als klassischer Monolog inszeniert, den Schauspieler Christoph Bertram trotz sparsamer theatraler Mittel äußerst dynamisch und intensiv performte. Dass der Funke nicht vollständig bzw. nur stellenweise von der „sprechenden Hupe“ auf das Publikum überzuspringen vermochte, lag dabei weniger an der Leistung Bertrams, der den Text nahezu auswendig darbot, als vielmehr an der doch recht sprunghaften, bisweilen abschweifenden Textvorlage sowie dem bewussten Verzicht auf eine Inszenierung der oftmals absurden Regieanweisungen. So heißt es etwa in Lünenschloß’ Text:
„Spuckt eine Zahnplombe aus. (...) Wird nass. (...) Geht zu Saturn. (...) Putscht die Regierung weg. (...) Liebt sich. (...) Ist durchsichtig.“
Es wäre sicherlich spannend zu sehen, was dabei herauskommt, wenn man diese Regieanweisungen ernst nimmt...
Hupe Thailand Foto Silviu Guiman
Achim Jägers (Hildesheim) Prosatext „Die weiten Steppen der Kasachei“ beschreibt in breitestem Berliner Dialekt, wie sich zwei als Clowns verkleidete Saufkumpanen im wahrsten Sinne des Wortes durch den Feierabend schlagen. Die Authentizität, mit der Jäger deren Milieu und Wahrnehmung nicht allein sprachlich abbildet, ließ sich allerdings nur bedingt in die von Sabrina Sauer, Lina Spieth und Gizem Kaplan dargebotene und von Alexander Olbrich betreute szenischen Lesung übertragen. Zu stark leben die drei Figuren im Text von ihrem Habitus, zu sehr lebt das ganze Szenario von seiner Dynamik und Verortung im Milieu, als dass all dies im doch notwendigerweise statischen Rahmen einer szenischen Lesung zur Geltungen kommen könnte. Hier hätte es vielleicht mehr Mut zum theatralen Ausproduzieren, zur Bewegung und Pose gebraucht, um den Figuren und ihrem Slang Leben und Glaubwürdigkeit einzuhauchen.
Kasachei Foto Silviu Guiman
Die szenische Textcollage „Cheerleader ohne Arme“ der Kölner Performancekünstlerin Janina Warnk bildete an Abschluss des Lesungsreigens und brachte mit Bernadette Wilhelm, Joana Landsberg, Paul Behrens, Jana Tuchewicz, Ise Papendorf ein nochmals vergleichsweise großes SchauspielerInnenensemble auf die Bühne. Der allerprivateste Rahmen der Kernfamilie wird in Warnks Text zur politischen Kampfarena, in der normative Vorstellungen von Geschlechteridentität , Alter, Behinderung sowie der Tier/Mensch-Grenze in bisweilen surreal-grotesker Überzeichnung konsequent dekonstruiert werden. So begegnet einem hier ein theoriefester, sprechender Hund, die titelgebende Cheerleaderin ohne Arme und nicht zuletzt die tindernde und auch sonst recht smartphoneaffine Oma. Dem Schauspielerteam gelang es unter Anleitung von Franz-Xaver Franz aus Warnks Textcollage eine abwechslungsreiche Revue aus szenischen Dialogen, Rap-Einlagen und Monologen im Stile von Videotutorials zu kondensieren, die über geschickten Musikeinsatz (Bibis „How it is“ und Kreiskys „Menschen brauchen Liebe“) nicht nur Atmosphäre zu schaffen, sondern den Text auch um weitere Bedeutungsebenen anzureichern. Da sei dem Text auch verziehen, wenn er sich gelegentlich in in plumpem Wortwitz ergeht („Der Lachs ist von Ikea“ – (...) „wie kommt der denn da hin, ist er hin geschwommen hahaa“).
Cheerleader Foto Silviu Guiman
Nach diesem literarisch-szenischen Marathon unter erschwerten klimatischen Bedingungen klang der Abend stimmungsvoll mit den DJs-Sets vom lokalen Kollektiv 33 aus. Aber auch für Diskussionsstoff war reichlich gesorgt. Im Nachgang betonten Akteure aller drei beteiligen Gruppen (AutorInnen, DramaturgInnen, SchauspielerInnen), die gegenseitige Abhängigkeit vom jeweils anderen, um das Experiment der szenischen Lesung zum Gelingen zu bringen. Am Ende war es aber auch ein Experiment, bei dem alle Beteiligten wohl mehr praktische Erfahrungen gewinnen konnten als in so manchem Seminar an der Schauspiel-, Kunst-, oder Schreibschule.
Die Begrenzung der szenischen Lesung gegenüber anderen szenischen Formaten wurde dabei aber auch deutlich: Denn anders als ein Theaterstück entbehrt die szenische Lesung mit der weitgehenden Abwesenheit bildlich-darstellerischer Mittel einer zentralen Bedeutungsebene, so dass es gerade Texte mit vielen verschiedenen Figuren und von experimentellem Zuschnitt schwer haben, den/die ZuschauerIn zu erreichen bzw. stärker zu involvieren. So haben gerade die szenischen Umsetzungen der figuren- und handlungsgetragenen Texte von Hembeck, Jäger und Warnk dem Publikum viel Imaginationskraft abverlangt. Eine kurze Einführung in Handlung oder Inhalt der Texte sowie eine Vorstellung ihrer einzelnen Figuren, etwa als Teil der Anmoderation, könnte hier sicherlich schnell Abhilfe schaffen. Außerdem wäre zu überlegen, den Beteiligten mehr Zeit als lediglich zwei Tage einzuräumen, um die Texte angemessen szenisch erarbeiten und umsetzen zu können. Auch eine Verlagerung vom akustisch und räumlich nicht optimal geeigneten Foyer in den Saal des „Britney“ wäre eine Überlegung wert.
Trotz dieser möglichen Verbesserungsspielräume war „Auftakt“ in seiner ersten Auflage ein spannendes Experiment, das zur unbedingten Wiederholung einlädt. Vor allem aber ist dieses Festival ein in dieser Form einmaliges und darum um so willkommeneres Forum zur Vernetzung und zum Austausch unter jungen AutorInnen, TheatermacherInnen und SchauspielerInnen, womit die Bemühungen von Land in Sicht im Bereich der jungen Literatur sowie von Cheers for Fears im Feld der szenischen und darstellenden Künste sinnvoll zusammengeführt werden. In diesem Sinne: Auf ein Neues!
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